Sachsen-Anhalt macht großen Schritt nach rechts

10.06.2024 16:50

Ob bei der Europawahl oder in den Kommunen: Die AfD - als gesichert
rechtsextremistisch eingestuft - hat massiv Stimmen dazugewonnen in
Sachsen-Anhalt. Was Politiker und Wissenschaftler dazu sagen.

Magdeburg (dpa/sa) - Nach zweistelligen Zugewinnen ist die AfD in
Sachsen-Anhalt vor der CDU stärkste Kraft bei der Europa- und
Kommunalwahl geworden. Die Wahlergebnisse haben in der Landespolitik
teils Besorgnis ausgelöst. Linken-Fraktionschefin Eva von Angern
sagte, sie habe Angst vor der politischen Zukunft, «was das mit uns,
mit der Gesellschaft machen wird». Auch Vertreter anderer Parteien
zeigten sich nachdenklich und kündigten eine Aufarbeitung der
Wahlergebnisse an.

AfD-Co-Fraktionschef Ulrich Siegmund betonte am Montag den
Regierungsanspruch seiner Partei auf Landesebene. «Wir sind die neue
Volkspartei in diesem Land», sagte Siegmund. «Wir bereiten uns jetzt
ganz klar auf eine Regierungsverantwortung 2026 in diesem Land vor.»
In zwei Jahren findet in Sachsen-Anhalt die nächste Landtagswahl
statt. «Unser Plan ist es, hier allein zu regieren.»

Siegmund kritisierte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der im
Kontext mit den AfD-Wahlerfolgen von einem ganz schlimmen Tag für
Deutschland gesprochen hatte. Er sei schockiert über Haseloffs
Äußerungen, sagte Siegmund. Die Bewertung einer demokratischen Wahl
als Gefahr für die Demokratie sei «geschichtsvergessen» und «zutief
st
antidemokratisch». 

Viele Geländegewinne für die AfD im Osten

Die AfD habe viele «Geländegewinne» im Osten erzielt und ihre
kommunale Verankerung gestärkt, erklärte der Soziologe und
Extremismusforscher Matthias Quent. Wenn die AfD stärkste Fraktion
sei, könne man noch weniger an ihr vorbei Politik betreiben. «Das ist
ja auch die Strategie, sich über die kommunalen Parlamente so zu
normalisieren, dass dann in nächster Instanz auf der Länderebene eben
auch eine Zusammenarbeit in greifbarere Nähe rückt.» Insgesamt sei
dies «ein großer Schritt nach rechts für die Kommunen».

Siegmund räumte auf Nachfrage von Journalisten ein, dass die AfD
nicht alle Sitze im Land besetzen kann. Es gebe einige Kommunen, wo
die AfD mehr Sitze bekommen habe als Kandidaten angetreten seien,
sagte er.

Die Europawahl hat die AfD in Sachsen-Anhalt klar gewonnen. Nach
vorläufigem Ergebnis kamen die Rechtspopulisten auf 30,5 Prozent der
Stimmen - ein Plus von 10,2 Prozentpunkten im Vergleich zur
vergangenen Europawahl 2019. Die CDU landete mit 22,8 Prozent (minus
0,4) auf dem zweiten Platz. Das neu gegründete Bündnis Sahra
Wagenknecht (BSW) erreichte aus dem Stand 15 Prozent. Die SPD lag bei
8,7 Prozent und musste ebenfalls Verluste hinnehmen.

Grüne (3,9 Prozent) und FDP (2,5 Prozent) in Sachsen-Anhalt lagen dem
vorläufigen Ergebnis zufolge jeweils unter vier Prozent. Die Linke
erhielt 4,8 Prozent - das entspricht einem Minus von fast zehn
Prozent im Vergleich zur Wahl 2019. Von Angern sprach von einem
desaströsen Ergebnis. Die Partei müsse sich fragen, wie man sich
inhaltlich, strategisch und personell neu aufstellen müsse.

Im Land waren etwa 1,8 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen. Die
Wahlbeteiligung lag bei rund 62 Prozent und damit höher als bei den
vorangegangenen Europawahlen.

Zwei neue Europaabgeordnete aus dem Land

In das Europaparlament ziehen jetzt die CDU-Politikerin Alexandra
Mehnert und Arno Bausemer von der AfD als Vertreter aus
Sachsen-Anhalt ein. Das zeigt eine Übersicht der Bundeswahlleiterin
zu den vorläufig gewählten Bewerbern. Die Politikwissenschaftlerin
Mehnert, lange Jahre bei der Konrad-Adenauer-Stiftung tätig, war
Spitzenkandidatin der CDU im Land. Bausemer ist Kommunalpolitiker aus
der Altmark, er stand auf Platz 10 der AfD-Liste für die Europawahl.
Er war Ende vergangenen Jahres von einem AfD-Parteikonvent wegen
ungenauer Angaben im Lebenslauf gerügt worden, behielt aber seinen
Listenplatz.

Auch bei den Stadtrats- und Kreistagswahlen gewann die AfD vor der
CDU. Die Rechtspopulisten, die vom Verfassungsschutz als gesichert
rechtsextremistisch eingestuft sind, kamen mit der Auszählung von
2591 von 2594 Wahlbezirken landesweit auf 28,1 Prozent. Das entsprach
einem Zugewinn von 11,6 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2019.
Die CDU erhielt 26,7 Prozent. Nach Verlusten vereinigte die SPD 11,9
Prozent (minus 1,8 Prozent) der Stimmen auf sich, die Linke 8,3
Prozent (minus 6,7 Prozent), die Grünen 4,5 Prozent (minus 3,9
Prozent) und die FDP 3,4 Prozent (minus 2,5 Prozent). 

In mehr als jeder dritten Gemeinde besitzt die AfD jetzt die Mehrheit
in den Gemeinderäten. Bei den Landkreisen bekam die AfD in neun von
14 Landkreisen und kreisfreien Städten die meisten Stimmen. Bei den
Zahlen handelt es sich laut der Landeswahlleitung um das vorläufige
Ergebnis. In den drei fehlenden Wahlbezirken sei die Auszählung
unterbrochen worden. Die Zahlen fließen dann in das endgültige
Ergebnis ein, das in ein, zwei Wochen veröffentlicht wird, wie es
hieß. 

Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Andreas Dittmann (SPD),
sieht durch den Wahlerfolg der AfD möglicherweise auch eine
veränderte Diskussionskultur in den künftigen Gemeinderäten.
Allerdings gehe es auf kommunaler Ebene häufig weniger um Partei und
Ideologie, sondern mehr um Sachfragen. «An der Stelle wird es
zwangsläufig Schnittmengen in Abstimmungen geben», sagte Dittmann.
Der Präsident des Landkreistages Sachsen-Anhalt, Götz Ulrich (CDU),
hofft auf ein verändertes Bewusstsein der Landes- und Bundespolitik.
Die kommunale Ebene müsse jetzt unter der Unzufriedenheit mit der
Bundespolitik leiden. 

Die Wahlbeteiligung lag mit 60,8 Prozent deutlich höher als noch 2019
mit 53,6 Prozent. CDU-Fraktionschef Guido Heuer sagte am Montag, das
Ergebnis der Christdemokraten bei den Kommunalwahlen sei nicht
zufriedenstellend. Es gehe nun aber um eine gute Sachpolitik vor Ort,
wenn die AfD dabei zufällig zustimme, «dann ist das so».

Landesbischof beunruhigt über Entwicklung

Der Soziologe und Extremismusforscher Quent betonte, es gebe unter
den AfD-Wählern einen harten Kern rechtsextrem eingestellter
Menschen. «Die wird man auch durch gute Politik nicht erreichen.» Die
Wahlergebnisse seien aber deutlich höher ausgefallen als in den
vergangenen Jahren und dies sei nicht mit dem harten Kern
rechtsextrem eingestellter Menschen zu erklären. Viele Arbeiter und
Angestellte fühlten sich nicht repräsentiert von den anderen Parteien
und machten deshalb ihre Kreuze bei der AfD, sagte Quent.

Vertreter von SPD, Grünen und FDP in Sachsen-Anhalt sehen den
Hauptgrund für das schlechte Abschneiden im Agieren der
Bundesregierung. Die Performance der Ampel sei «komplett schlecht»,
sagte Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann.
SPD-Vizefraktionschef Falko Grube forderte Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) auf, nach den jüngsten Konflikten in der Regierung nun mehr auf
den Tisch zu hauen. FDP-Fraktionschef Andreas Silbersack sagte, die
Ampel müsse eine Politik machen, bei der sich die Menschen nicht
abgekoppelt fühlten.

Der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in
Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, sagte zu den massiven Gewinnen
der AfD und anderer Rechtspopulisten: «Damit sind Kräfte gestärkt
worden, die die Europäische Union bekämpfen und abwickeln wollen.
Mich beunruhigt diese Entwicklung.» Kramer ergänzte: «Die Kirchen
stehen ein für den Grund, auf dem dieses Europa gebaut ist, die
Achtung der Menschenwürde, Freiheit und Demokratie, Gleichheit und
Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte. Diese Werte
sind für uns nicht verhandelbar.»