Wirtschaft im Norden besorgt über Erstarken europafeindlicher Parteien

10.06.2024 14:25

Das Europawahlergebnis mit starken Zuwächsen etwa für die AfD lässt
die Wirtschaft im Norden sorgenvoll in die Zukunft blicken. Die
Ampel-Koalition in Berlin müsse Konsequenzen ziehen, fordert sie.

Hamburg (dpa/lno) - Die Wirtschaft im Norden sieht das Erstarken
extremer oder europafeindlicher Parteien bei der Europawahl mit
großer Sorge und hat die Bundesregierung zu einem Umsteuern
aufgefordert. «Das Ergebnis ist ein alarmierender Weckruf für die
Ampel-Koalition in Berlin, die auch aus Sicht der norddeutschen
Wirtschaft bisher die völlig falschen Akzente gesetzt hat», sagte der
Präsident des Unternehmensverbands UVNord, Philipp Murmann, am
Montag. Die Menschen machten sich Sorgen um die Wirtschaft, ihre
Arbeitsplätze und die innere Sicherheit. Doch geboten bekämen sie
Lösungen zum Cannabiskonsum und zur Geschlechtsidentifizierung.

Der Präsident des Arbeitgeberverbands Nordmetall, Folkmar Ukena,
sagte mit Blick auf die hohe Wahlbeteiligung in Deutschland von fast
65 Prozent: «Dass insbesondere die Parteien an den extremen Rändern
viele Wählerinnen und Wähler mobilisieren konnten, lässt mich mit
Sorge auf die anstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und
Brandenburg, aber auch auf die Bundestagswahl 2025 blicken.» Das
deutsche Europawahlergebnis bezeichnete er als eine «eindeutige
Klatsche für SPD und Grüne» und forderte alle demokratischen Parteien

auf, Konsequenzen zu ziehen.

«Die deutsche Industrie braucht weniger Regulierung und Bürokratie,
höhere Wettbewerbsfähigkeit statt höherer Energiekosten und mehr
Außenhandel statt Protektionismus», sagte Ukena. UVNord-Chef Murmann
wiederum betonte: «Unsere Hoffnung ruht jetzt darauf, dass die
mehrheitlich demokratischen Fraktionen sich zusammenschließen und
einen klaren und pragmatischen Kurs für ein wirtschaftlich und
politisch starkes Europa einschlagen.»

Der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg, Matthias Boxberger,
warnte: «Die europäische Idee darf nicht im Populismus untergehen!»
Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Wohlstand seien eng mit den offenen
Grenzen innerhalb der EU verwoben. «Die gemeinsame Währung,
einheitliche Normen sowie eine starke gesamteuropäische Stimme bei
Verhandlungen kann nur ein Europa ermöglichen, das gute
Rahmenbedingungen für die Wirtschaft setzt und sich nicht in
Detailregelungen verliert.» Nur wenn es Europa gelinge, die
nachhaltige Transformation der Industrie mit globaler
Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden, folgten andere Regionen diesem
Modell.

Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) verlangte vom
neuen Europäischen Parlament und der künftigen EU-Kommission einen
neuen Fokus auf den maritimen Sektor. «Um den Herausforderungen
unserer Zeit begegnen zu können, brauchen wir starke Häfen», sagte
ZDS-Präsidentin Angela Titzrath. Wirtschaftskraft, Energiewende und
Wehrhaftigkeit setzten leistungsfähige Seehäfen und effiziente
Verkehrsanbindungen voraus. «Für eine starke Europäische Union muss
die maritime Logistik daher Priorität haben.»

Angesichts der vielen Krisen müsse sich die EU auf ihre Stärken
besinnen: gemeinsames Handeln, einen freien Binnenmarkt, eine offene
und selbstbewusste Handelspolitik sowie fairer Wettbewerb. «All das
sollte auch in eine umfassende europäische Hafenstrategie sowie eine
gemeinsame maritime Industriestrategie einfließen», forderte die
Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA),
Titzrath. Zudem müssten das Beihilferecht für Häfen und Schifffahrt
modernisiert, die Leitlinien für staatliche Beihilfen überprüft und
der Emissionshandel für die Schifffahrt verbessert werden. «Hier ist
schnelles Handeln der EU gefragt, denn Reedereien sind längst dabei,
neue Ladungsdrehkreuze außerhalb der EU zu etablieren», erklärte
Titzrath.

Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis hat die Union die Europawahl
in Deutschland am Sonntag mit großem Abstand gewonnen - vor der AfD,
die zweitstärkste Kraft wurde. Demnach legten CDU und CSU zusammen
auf 30,0 Prozent zu. Die AfD verbesserte sich deutlich auf 15,9
Prozent. Die regierenden Parteien der Ampel-Koalition mussten alle
Einbußen hinnehmen: Die SPD fiel auf 13,9 Prozent und erzielte damit
ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl, die Grünen
stürzten noch stärker ab auf 11,9 Prozent, die FDP erlitt mit 5,2
Prozent leichte Einbußen. Das neu gegründete linke Bündnis Sahra
Wagenknecht (BSW) kam aus dem Stand auf 6,2 Prozent, die Linke auf
2,7 Prozent.