Macrons riskantes Spiel: Mit Parlamentsneuwahl Rechte aufhalten? Von Rachel Boßmeyer, dpa

10.06.2024 15:27

Nach der Schlappe bei der Europawahl zieht Macron drastische
Konsequenzen. Mit einer Parlamentsneuwahl will er seine Mehrheit
ausbauen und die Rechtsnationalen bremsen. Es ist ein gewagter Poker.

Paris (dpa) - Nach dem haushohen Gewinn der Rechtsnationalen bei der
Europawahl in Frankreich will Präsident Emmanuel Macron den weiteren
Vormarsch der Truppe um Marine Le Pen mit einem gewagten Schritt
aufhalten. Schon in wenigen Wochen sollen die Französinnen und
Franzosen die Nationalversammlung neu wählen. Macron, um dessen
Posten es bei dem Votum nicht geht, hofft auf eine größere Mehrheit
seines Mitte-Lagers für seine verbleibenden drei Jahre Amtszeit. «Wir
treten an, um zu gewinnen», hieß es aus Macrons Umfeld. Nur wie?

Regierung seit langem unter Druck

Während Macron auf der internationalen Bühne gerne den Vorreiter
gibt, kämpft sich sein Lager zu Hause schon seit knapp zwei Jahren in
der Nationalversammlung ab. Denn es hatte dort keine absolute
Mehrheit mehr und konnte angesichts der vorherrschenden Kampf- und
Konfrontationskultur in der Kammer nur äußerst mühselig und häufig

mit harter Hand und Umgehung von Abstimmungen ihre Vorhaben
durchsetzen. Schon seit längerem schwelte ein drohendes
Misstrauensvotum im Herbst über der Regierung. Die krachende
Niederlage bei der Europawahl, in der Macron und seine Verbündeten
nicht einmal die Hälfte der Stimmen einholten, die das
rechtsnationale Rassemblement National (RN) auf sich vereinte, setzte
den Präsidenten weiter unter Druck. Nun wagt er die Flucht nach vorn.

Macron will Mehrheit ausbauen, aber mit wem?

Macron setzt auf Klarheit und meint damit, dass er seine relative
Mehrheit ausbauen will. Doch mit wem? Das ist bisher vollkommen
unklar. Der Chef der Präsidentenpartei Renaissance, Stéphane
Séjourné, streckte bereits die Hand aus: Man wolle überall dort, wo
aktuell Abgeordnete aus dem republikanischen Feld, die sich für ein
klares Projekt für Frankreich einsetzen wollen, im Parlament sitzen,
keine Gegenkandidaten aufstellen. Berichten zufolge soll das für
Abgeordnete aller Parteien mit Ausnahme von RN und der Linkspartei La
France insoumise gelten.

Die Républicains, für die es nach Jahren im Abwärtskurs ums
politische Überleben geht, erteilten einer Kooperation mit Macron
noch am Sonntagabend eine klare Absage. Grüne und Sozialisten
kritisierten die Entscheidung des Präsidenten, die Parlamentskammer
aufzulösen zumindest scharf. Möglicherweise kann Macron davon
profitieren, dass das linke Lager von seinem Schritt überrascht wurde
und sich erst einmal intern sortieren muss.

Sollte Macron bei den Rechtsnationalen auf einen Vorsprung durch den
Überraschungseffekt gehofft haben, hat er sich verkalkuliert. Aus der
Partei hieß es, dass es bereits Pläne für eine Parlamentsauflösung

und vorgezogene Neuwahlen samt Kandidatenliste gebe. Le Pen zeigte
sich noch am Sonntagabend selbstsicher und bereit, Macht zu
übernehmen.

Angst vor der Implosion

Die Angst ist in Teilen Frankreichs groß, dass Macrons Schuss nach
hinten losgehen könnte. RN, das Le Pen mit ihrem jahrelangen
«Entteufelungskurs» bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählba
r
gemacht hat, holte immerhin in mehr als 90 Prozent der französischen
Gemeinden die meisten Stimmen bei der Europawahl. Sollten die
Rechtsnationalen die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung
erhalten, wäre Macron faktisch gezwungen, einen von ihnen zum
Regierungschef zu ernennen.

Ob ein solches Szenario eintreten könnte, ist vollkommen ungewiss.
Bei der Parlamentswahl 2022 war das Macron-Lager auf 245 Sitze
gekommen, RN nur auf 89. Sollte RN die Mehrheit holen, wäre das
beachtlich. Eine Umfrage vom Dezember mitten im aufgeheizten Streit
um das Immigrationsgesetz deutete jedoch auf erheblichen Stimmzuwachs
für RN hin - möglicherweise bis zur Mehrheit. Auch wenn unklar ist,
was kommt, lehrt die Geschichte, dass Macrons Spiel riskant ist. Als
der damalige konservative Präsident Jacques Chirac 1997 die
Nationalversammlung auflöste, büßte sein Lager bei der Neuwahl die
absolute Mehrheit ein und die Sozialisten gewannen die Oberhand.

Die Ernennung eines Premiers aus einem anderen Lager tat Macrons
Umfeld dennoch ab. «Der Präsident folgt dieser Logik nicht.» Es gebe

eine Mehrheit für Parteien, die nicht die Werte der Rechtsextremen
teilten. Klar ist, Macron will die Parlamentswahl zu einem
gemeinsamen Kampf gegen Rechts deklarieren.

Folgen für Deutschland und Europa

Sollte Macrons Poker nicht aufgehen, wäre das für Deutschland und
Europa fatal. Macron würde deutlich an Macht verlieren und könnte
seinen außenpolitischen Kurs nicht mehr so einfach durchsetzen. Ein
Kompromisskurs zwischen Europafreund Macron sowie Euroskeptiker und
RN-Chef Jordan Bardella, der auch auf mehr Abstand zu Deutschland
gehen will, ist nur schwer vorstellbar. Auch innenpolitisch dürfte
Frankreich dann in eine chaotische Situation abrutschen, in der es
international nicht mehr der derzeit verlässliche Partner sein kann.

Gelingt es Macron hingegen, tatsächlich stabilere
Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, könnte das auch den
internationalen Partnern zugutekommen, weil der Staatschef dann nicht
immer wieder Zeit und Energie aufbringen muss, das innenpolitische
Schwelfeuer zu löschen. Fest steht jedoch, dass Macron und auch
Außenminister Séjourné, der den Wahlkampf der Präsidentenpartei
organisiert, in den kommenden vier Wochen international wohl
kürzertreten werden. Die Partner müssen bereits beim G7-Gipfel in
wenigen Tagen in Italien mit einem Macron im Wahlkampfmodus und den
Blick aufs Inland gerichtet rechnen.

Frankreich blickt aufs Jahr 2027

Macron und sein Lager betonen rund um die Parlamentsneuwahl
gebetsmühlenartig, dass der Präsident der einzige politische
Verantwortliche sei, der mit Blick auf die nächste
Präsidentschaftswahl 2027 kein persönliches Interesse habe. Doch so
einfach ist das Ganze nicht. Zwar wird Macron nach zwei Amtszeiten
nicht mehr antreten können. Doch will der Liberale um jeden Preis
verhindern, den Weg für eine rechtsnationale Präsidentin geebnet zu
haben. Wäre sein Erbe, Le Pen zu seiner Nachfolge verholfen zu haben,
wäre Macrons Kurs gescheitert.