Frust und Euphorie - Parteien in Sachsen werten Wahlergebnisse aus

10.06.2024 15:15

Nach den Europa- und Kommunalwahlen suchen die Parteien in Sachsen
nach Erklärungen und blicken bereits auf die Landtagswahl am 1.
September. Manchen von ihnen dürften stürmische Zeiten bevorstehen.

Dresden (dpa/sn) - Nach den Europa- und Kommunalwahlen in Sachsen
blicken die sächsischen Parteien nun mit gemischten Gefühlen auf die
Landtagswahl am 1. September. Als große Gewinner konnten sich am
Montag bei der ersten Wahlanalyse nur die AfD und das Bündnis Sahra
Wagenknecht präsentieren. AfD-Landeschef Jörg Urban rief die anderen
Parteien dazu auf, die Brandmauer gegen seine Partei zu überdenken.
«Die Partei, die die meiste Wählerzustimmung hat, kann man nicht auf
Dauer ignorieren», sagte er in Dresden und hoffte auf «Bewegung im
Parteienspektrum». Ohne die AfD werde man keine konservative Politik
mehr machen können. 

Die Offerte richtete sich in erster Linie an die CDU von
Ministerpräsident Michael Kretschmer. Generalsekretär Alexander
Dierks lehnte aber eine Kooperation mit der vom Verfassungsschutz als
rechtsextrem eingestuften sächsischen AfD strikt ab. «Wir haben klare
inhaltliche Gründe, warum es keine Zusammenarbeit mit dieser Partei
geben kann», sagte Dierks. Alle hätten beobachten können, wie diese
Partei sich in den vergangenen Jahren aufgestellt habe. Ziel der
Union bleibe es, bei der Landtagswahl am 1. September stärkste Kraft
im Freistaat zu werden. Sachsen brauche eine handlungsfähige und von
einer Mehrheit getragene Regierung in der bürgerlichen Mitte. 

Die AfD hatte die Europawahl im Freistaat Sachsen klar für sich
entschieden. Nach dem vorläufigen Ergebnis holte sie 31,8 Prozent der
Stimmen. Die CDU musste sich mit 21,8 Prozent geschlagen geben. Das
Bündnis Sahra Wagenknecht kam aus dem Stand auf 12,6 Prozent,
dahinter landeten mit einigem Abstand SPD (6,9), Grüne (5,9) und
Linke (4,9). Die Kommunalwahl war bis Montagnachmittag noch nicht
komplett ausgezählt. Aber auch hier standen vielerorts schon starke
Stimmengewinne für die AfD fest. 

Für BSW-Landeschef Jörg Scheibe ist das Ergebnis ein Beleg dafür,
dass viele Bürger mit der herrschenden Politik sehr unzufrieden sind
und sich dort nicht wiederfinden. Das Bündnis Sahra Wagenknecht habe
von den Wählern einen großen Vertrauensvorschuss erhalten. Das gelte
auch für die Kommunalwahlen. «Überall dort, wo wir zu den
Kommunalwahlen angetreten sind, haben wir große bis sehr große
Erfolge gezielt.» Das gebe Rückenwind für die Landtagswahl. Es gehe
für das BSW nun darum, mit möglichst vielen Kandidaten in den Landtag
einzuziehen. «Uns geht es um Inhalte. Wir wollen von unseren Inhalten
so viel wie möglich umsetzen.» Einen Ministerpräsidenten der AfD
könne man sich nicht vorstellen. Man sehe sich in der Mitte der
Gesellschaft verortet. 

Nach den Worten von Grünen-Chefin Christin Furtenbacher ist es keiner
der demokratischen Parteien gelungen, ihre Themen anzubringen und den
Menschen die Sorgen zu nehmen. «Wir sind mit unserem Ergebnis
deutlich unter unseren Möglichkeiten geblieben. Vor uns liegt viel
Arbeit.» Für die Co-Vorsitzende Marie Müser stand nach dem
Wahlergebnis die «demokratische Regierbarkeit» Sachsens auf dem
Spiel. Alle demokratischen Parteien hätten nun eine gemeinsame
Pflicht und Verantwortung. Es müsse Schluss sein mit gegenseitigem
Fingerzeigen und Schuldzuweisungen. Man habe zuletzt auch
Denunziationen und krasse Angriffe in Richtung Ampel-Regierung auch
unter den demokratischen Mitbewerbern erlebt: «Wir dürfen jetzt das
politische Klima nicht weiter vergiften, denn die Lage ist ernst.»

Die Linken attestierten sich selbst ein schlechtes Ergebnis. Man sei
enttäuscht, sagte Landesgeschäftsführer Lars Kleba. «Wir haben viel

Schatten, wir haben auch ein wenig Licht», sagte er und verwies auf
das Ergebnis in Leipzig, wo die Linken hinter der CDU im Stadtrat
zweitstärkste Fraktion wurden. Es gebe noch ein paar Strohhalme, an
die man sich klammern könne. Parteichef Stefan Hartmann hält das
Ergebnis von 4,9 Prozent für die bevorstehende Landtagswahl für eine
herausfordernde, aber lösbare Aufgabe. Das Ergebnis stimme die Partei
kämpferisch. «Wir werden jetzt um jede einzelne Stimme werben.»

Thomas Weidinger, Landeschef der Freien Wähler (FW), ging in seiner
Analyse noch einmal auf den Begriff Brandmauer ein. Das Ergebnis der
Europawahl zeige, dass die Brandmauer-Politik katastrophal
gescheitert sei. Die FW in Sachsen würden sich von extremen
Positionen klar abgrenzen. «Allerdings heißt für uns Abgrenzung nicht

Ausgrenzung.» Die AfD sei hinter der Brandmauer immer stärker
geworden. Die Bürger in Sachsen würden sich nicht sagen lassen
wollen, wen sie wählen dürften und wen nicht: «Sie wollen gehört
werden und sie wollen, dass die Politik sich mit ihren Problemen und
mit ihren Sorgen beschäftigt (...) Wenn sich das nicht ändert, wird
es am 1. September nicht viel anders aussehen.»