Nach Ampel-Wahlfiasko: Durchhalteparolen vor der Bewährungsprobe Von Michael Fischer, Martina Herzog, Carsten Hoffmann, Jörg Blank, dpa

10.06.2024 18:46

Viel schlimmer hätte es für die Ampel bei der Europawahl kaum kommen
können. Trotz des Desasters will sie zusammenbleiben. Ob das wirklich
noch funktioniert, wird sich bis Anfang Juli zeigen.

Berlin (dpa) - Trotz teils dramatischer Verluste bei der Europawahl
haben die Ampel-Parteien Forderungen nach einer Neuwahl des
Bundestags zurückgewiesen. Die Parteispitzen von SPD, FDP und Grünen
sprachen am Montag Bundeskanzler Olaf Scholz das Vertrauen aus, der
das schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten bei einer
gesamtstaatlichen Wahl seit mehr als 130 Jahren mitzuverantworten
hat. 

Ob die Zusammenarbeit in dem angeschlagenen Bündnis tatsächlich noch
funktioniert, werden nun die nächsten Wochen zeigen. Die
Haushaltsverhandlungen werden zur Bewährungsprobe für die
Regierungskoalition. Am 3. Juli will das Kabinett seine Pläne
vorlegen.

Scholz: Müssen unsere Arbeit machen

Scholz selbst rief die Ampel dazu auf, weiter ihre Arbeit zu machen.
«Das Wahlergebnis war für alle drei Regierungsparteien schlecht»,
sagte er nach einem Treffen mit dem Präsidenten Chiles, Gabriel
Boric, in Berlin. «Keiner ist gut beraten, der jetzt einfach zur
Tagesordnung übergehen will. Gleichzeitig geht es aber auch darum,
dass wir unsere Arbeit machen, dafür zu sorgen, dass unser Land
modern wird, dass es vorankommt.» Man müsse sich nun darauf
vorbereiten, «dass die Zustimmung immer größer werden wird, sodass
man auch bei der nächsten Bundestagswahl die Ergebnisse dieser Arbeit
zur Wahl stellen kann.» 

Die Frage, welche Verantwortung er selbst für die Wahlniederlage
trägt, beantwortete Scholz nicht. Mit 13,9 Prozent hatte seine SPD am
Sonntag das schlechteste Ergebnis eingefahren, seit sie 1891 erstmals
unter diesem Namen bei einer gesamtstaatlichen Wahl antrat. Im
Wahlkampf hatte sich der Kanzler bewusst in die erste Reihe gestellt,
ließ sich an der Seite von Spitzenkandidatin Katarina Barley
plakatieren und trat auf mehreren Großveranstaltungen als Top Act
auf. Das Wahlergebnis geht deshalb auch auf sein Konto. 

Generalsekretär Kevin Kühnert nahm ihn am Montag in Schutz. Dass der
Wahlkampf schlecht gelaufen sei, heiße nicht, dass er ohne Scholz auf
den Plakaten besser gelaufen wäre, sagte er trotzig. «Wir gewinnen
zusammen und wir verlieren zusammen, das ist unsere gemeinsame
Wahlniederlage.»

Lindner sieht «keinen Grund, Vertrauen infrage zu stellen»

Auch FDP-Chef Christian Lindner zog die Führungsfähigkeit des
Kanzlers und die Ampel als Regierungsmodell nicht in Zweifel. «Wir
haben ein gemeinsames Regierungsprogramm, einen Koalitionsvertrag, an
dem wir gemeinsam arbeiten. Und solange sich alle zu der
Arbeitsgrundlage bekennen, gibt es ja keinen Grund, Vertrauen infrage
zu stellen», sagte er. 

Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Omid Nouripour. «Es braucht kein
e
Vertrauensfrage», sagte er auf eine Journalistenfrage nach dem
Rückhalt für die Koalition und Kanzler Scholz. Man habe mit SPD und
FDP einen Vertrag für vier Jahre geschlossen, an dem man festhalte.

Haushaltsverhandlungen mit harten Bandagen

Was auf den Ampel-Pressekonferenzen gesagt wurde, sind aber zunächst
einmal nur Durchhalteparolen. Ob die Ampel wirklich noch
funktioniert, wird sich in den Haushaltsverhandlungen zeigen, die
ohnehin schon schwierig genug sind. SPD-Chef Lars Klingbeil hat als
Konsequenz aus dem Wahlergebnis bereits angekündigt, mit harten
Bandagen für die Belange seiner Klientel einzutreten. «Unsere Leute
wollen uns kämpfen sehen.» Und Kühnert kündigte an: «Einen
Sparhaushalt auf Kosten des sozialen Zusammenhalts - den kann, den
wird es mit der Sozialdemokratie nicht geben.» 

Dem stehen das strikte Festhalten von Finanzminister Lindner an der
Schuldenbremse und das Nein der FDP zu Steuererhöhungen entgegen.
Noch am Wahlabend bekräftigte der FDP-Chef stattdessen seine
Forderung nach einem «Update» für das Bürgergeld. Lösungen für
die
offenen Haushaltsfragen sind noch nicht in Sicht. Der 3. Juli soll
der Tag der Wahrheit werden. Dann soll das Kabinett den Haushalt
beschließen.

Söder: Noch keine Vorentscheidung der K-Frage

Die Neuwahl-Forderungen waren schon am Sonntagabend vor allem aus der
Union gekommen. CDU-Chef Friedrich Merz sagte am Montag, das Ergebnis
sei für die Parteien der Bundesregierung «ein komplettes Desaster».
Was das Ergebnis der Union von 30 Prozent angeht, stapelte er tief.
Dies sei «an der Untergrenze» dessen, was er erwartet habe, und
Ansporn für weitere Herausforderungen. 

CSU-Chef Markus Söder betonte, dass mit dem Ergebnis die
Kanzlerkandidaten-Frage der Union noch nicht geklärt sei. «Nein, das
war keine Vorentscheidung. Kann es ja auch gar nicht sein
ehrlicherweise», sagte er dem Sender n-tv auf eine entsprechende
Frage. «Denn es muss zu dem Zeitpunkt, wenn eine Bundestagswahl ist,
die richtige Zeit für die Vorbereitung kommen.» So sei es vereinbart.
CDU-Chef Merz und er arbeiteten wirklich engstens zusammen.