EU beginnt Beitrittsgespräche mit der Ukraine - Die Nacht im Überblick

25.06.2024 05:00

Für die Ukraine ist es mitten in ihrem Kampf gegen die russische
Invasion ein Triumph: Die EU spricht mit dem Land über den geplanten
Beitritt. Moskau hingegen setzt trotz neuer Sanktionen auf Krieg.

Luxemburg/Kiew (dpa) - Die EU beginnt an diesem Dienstag die
Gespräche für spätere Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und
Moldau. Die Unterredungen werden am Rande eines EU-Ministertreffens
in Luxemburg organisiert, nachdem in der vergangenen Woche die
sogenannten Verhandlungsrahmen beschlossen worden waren. Mit ihnen
werden die Leitlinien und Grundsätze für die Verhandlungen
festgelegt. Es handelt sich nur um den Startschuss für den Prozess,
Verhandlungen im eigentlichen Sinne gibt es noch nicht.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem
«historischen Ereignis». «Das ist der Tag, auf den die Ukraine seit
Jahrzehnten zustrebt. Und nun wird es Wirklichkeit. Die Ukraine wird
niemals vom Pfad zu einem vereinten Europa abzubringen sein, zu
unserem gemeinsamen Zuhause für alle europäischen Nationen», sagte
Selenskyj in seiner in Kiew am Montagabend verbreiteten
Videobotschaft.

Der Beginn von Beitrittsgesprächen mit der von Russland angegriffenen
Ukraine und deren kleinem Nachbarstaat Moldau war bereits bei einem
EU-Gipfel im Dezember grundsätzlich beschlossen worden. Gleichzeitig
wurde aber vereinbart, dass vor dem Verhandlungsstart alle
Reformauflagen erfüllt sein müssen. Dies bescheinigte die zuständige

EU-Kommission der Ukraine erst in diesem Monat, nachdem unter anderem
Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, für einen besseren Schutz von
nationalen Minderheiten und zur Einschränkung des politischen
Einflusses von Oligarchen ergriffen worden waren.

Europastaatsministerin Lührmann: «Historischer Tag»

Europastaatsministerin Anna Lührmann (Grüne) sagte: «Heute ist ein
historischer Tag für Europa! Wir eröffnen die EU-Beitrittsgespräche
mit der Ukraine und Moldau.» Ihr Besuch in der Ukraine und in Moldau
vorige Woche habe sie beeindruckt. «Beide Länder haben trotz der
russischen Bomben, der Desinformations-Kampagnen und der
Destabilisierungversuche große Fortschritte erzielt», sagte sie.

Für die Menschen in der Ukraine gilt die Eröffnung von
EU-Beitrittsverhandlungen vor allem als wichtiges Zeichen dafür, dass
es sich lohnt, den Abwehrkampf gegen Russland weiter fortzusetzen.
Wie lange es nach einem Start der Gespräche bis zum EU-Beitritt
dauern könnte, ist aber völlig offen. 

Theoretisch könnte ein Beitrittskandidat auch nie Mitglied werden.
Bei der Ukraine gilt es derzeit so auch als ausgeschlossen, dass sie
vor dem Ende des russischen Angriffskriegs EU-Mitglied wird. Denn
dann könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags
militärischen Beistand einfordern - und die EU wäre Kriegspartei.

Selenskyj wechselt Kommandeur von Militäreinheit aus

Die Ukraine wehrt sich seit mehr als zwei Jahren mit westlicher Hilfe
gegen die russische Invasion. Nach Berichten über hohe Verluste in
den ukrainischen Streitkräften hat Präsident Selenskyj den
Generalleutnant Jurij Sodol vom Posten des Kommandeurs der
Vereinigten Kräfte entlassen. Gründe für den Schritt nannte er nicht.

Zuvor hatte aber der Stabschef der umstrittenen Asow-Brigade, Bohdan
Krotewytsch, Medien zufolge Anzeige gegen Sodol erstattet. Er warf
dem Kommandeur fahrlässige Befehle vor, die zu großen Verlusten
geführt hätten.

Medien zufolge gab es nicht zuletzt in der Obersten Rada, dem
Parlament in Kiew, Vorwürfe gegen Sodol: Er habe ukrainische Soldaten
schlecht auf Einsätze vorbereitet - zum Beispiel in der umkämpften
Region Charkiw. 

In seiner Videobotschaft verurteilte Selenskyj außerdem einen
russischen Raketenangriff auf die Stadt Pokrowsk im ostukrainischen
Gebiet Donezk. Vier Menschen seien getötet, Dutzende weitere verletzt
worden, sagte der Präsident. Er kündigte einen Vergeltungsschlag nach
dem russischen Angriff an. «Und unsere Antwort wird ganz fair sein.»

Russland tut neue EU-Sanktionen als wirkungslos ab

Die EU hatte zuvor ihr 14. Sanktionspaket beschlossen, um Russlands
Kriegswirtschaft zu stoppen. Moskau tat die neuen Strafmaßnahmen aber
einmal mehr als wirkungslos ab. Vielmehr schade sich die EU wieder
selbst, teilte das Außenministerium in Moskau mit. Der Westen schaue
weder auf die Folgen für die eigene Wirtschaft noch für den Wohlstand
der Menschen in der EU, sagte Vize-Außenminister Alexander Gruschko. 

«Der Sinn der Sanktionen bestand darin, die russische Wirtschaft zu
strangulieren, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu zerstören.
Erreicht hat die EU das Gegenteil», sagte Gruschko. Russland warnte
zudem vor erneut steigenden Energiepreisen in der EU.

Die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten billigten die Sanktionen in
Luxemburg zusammen mit weiteren neuen Strafmaßnahmen wegen des
russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Das Außenministerium in
Moskau teilte am Abend mit, dass im Gegenzug weitere Vertreter aus
Politik und Wirtschaft sowie von Institutionen aus der EU mit einem
Einreiseverbot in Russland belegt würden. Details wurden nicht
genannt.

Das Sanktionspaket beinhaltet erstmals weitreichende Sanktionen gegen
Russlands milliardenschwere Geschäfte mit Flüssigerdgas (LNG).
Vorgesehen ist, dass Häfen wie der im belgischen Zeebrugge künftig
nicht mehr zur Verschiffung von russischem LNG in Drittstaaten
genutzt werden dürfen. Dies soll dazu führen, dass Russland wegen
mangelnder Transportkapazitäten weniger Flüssigerdgas verkaufen kann
und weniger Gewinne erzielt, die für die Fortsetzung des
Angriffskriegs gegen die Ukraine verwendet werden könnten.

Russische Analysten sprachen von einem Schlag gegen LNG-Produzenten.
Allerdings seien die Sanktionen vergleichsweise weich; und es gebe
eine Übergangszeit, die es russischen Unternehmen ermögliche, wie
etwa beim Ölembargo neue Abnehmer und alternative Routen zu finden.
Schon jetzt profitieren Indien und China - insgesamt der asiatische
Raum - von den vergleichsweise günstigen Energie-Angeboten der
Rohstoffgroßmacht Russland.