Selenskyj für Abkommen mit EU in Brüssel erwartet - Nacht im Überblick

27.06.2024 05:00

Die von Russland angegriffene Ukraine will die Zeit bis zur Aufnahme
in die Nato mit Sicherheitsabkommen überbrücken. Viele gibt es schon.
Nun soll eine große neue Vereinbarung hinzukommen.

Kiew/Brüssel (dpa) - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
wird an diesem Donnerstag zu politischen Gesprächen in Brüssel
erwartet. Wie mehrere EU-Beamte der Deutschen Presse-Agentur sagten,
soll dabei auch eine Vereinbarung über die Sicherheitszusammenarbeit
zwischen der Ukraine und der EU unterzeichnet werden. Der Text dafür
war am Montagabend vom Ausschuss der ständigen Vertreter der
Regierungen der EU-Mitgliedstaaten gebilligt und danach formell
angenommen worden. 

Als möglich gilt, dass Selenskyj am Donnerstag auch zeitweise als
Gast am Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 27
EU-Staaten teilnimmt. Eine Bestätigung gab es dafür zunächst nicht.
Die Ukraine ist EU-Beitrittskandidatin und hofft auf rasche Aufnahme.

Auch ukrainische Medien berichten, dass Selenskyj in Brüssel erwartet
wird. Die Vereinbarung von Sicherheitsabkommen geht auf eine
Initiative der Mitglieder der G7-Gruppe westlicher Wirtschaftsmächte
zurück. Sie hatten am Rande des Nato-Gipfels im litauischen Vilnius
im vergangenen Jahr vereinbart, dass einzelne Staaten mit der Ukraine
bilaterale Vereinbarungen abschließen sollten, um deren Sicherheit
langfristig zu gewährleisten. Die EU schloss sich an. 

Schon mehrere Sicherheitsabkommen - auch mit den USA

Länder wie Großbritannien, Deutschland und Frankreich machten im
Januar und Februar den Anfang. Am Rande des G7-Gipfels folgte Mitte
Juni ein Abkommen mit dem wichtigsten Partner, das helfen soll beim
Weg der Ukraine in die Nato. Die USA und die Ukraine schlossen ein
Sicherheitsabkommen mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Die
Amerikaner sagen Kiew darin unter anderem weitere militärische
Unterstützung, Kooperation mit Blick auf die Rüstungsindustrie und
den Austausch von Geheimdienstinformationen zu. US-Präsident Joe
Biden und Selenskyj unterzeichneten die Vereinbarung am Rande des
G7-Gipfels in Süditalien.

Mit den bilateralen Abkommen werden der Ukraine unter anderem
Waffenlieferungen, Finanzhilfen und politische Kooperation
zugesichert. Sie sollen helfen, die Zeit bis zum angestrebten
Nato-Beitritt des Landes zu überbrücken. Deutschland hat der Ukraine
beispielsweise zugesagt, seine militärische Unterstützung
fortzusetzen und auszubauen - unter anderem durch weitere
Waffenlieferungen und die Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und
Soldaten.

Zuletzt war Selenskyj Ende Mai in Brüssel, um ein Sicherheitsabkommen
zwischen seinem Land und Belgien zu unterzeichnen. Mit ihr wird der
Ukraine unter anderem die Lieferung von 30 Kampfjets vom Typ F-16
zugesagt. Mit der Übergabe soll noch in diesem Jahr begonnen werden.
2028 soll die Lieferung abgeschlossen sein.

Abkommen bisher ohne Sicherheitsgarantien

Die Vereinigten Staaten sicherten der Ukraine mit dem Abkommen
weitere Hilfe gegen den Angriffskrieg Russlands und potenzielle
künftige Attacken zu, ohne jedoch Sicherheitsgarantien zu geben. Der
US-Regierung geht es nach eigenen Angaben darum, die Ukraine
weiterhin in die Lage zu versetzen, sich selbst zu verteidigen. Die
Vereinbarung macht auch keine Zusagen zur Lieferung bestimmter
Waffensysteme. Der Text des geplanten Abkommens mit der EU war
zunächst nicht bekannt.

Die Vereinbarung mit den USA regelt in groben Zügen eine Kooperation
beider Länder auf allen möglichen Ebenen, auch mit Blick auf
militärische Ausrüstung, Trainings und Manöver. Zugleich wird die
Ukraine zu verschiedenen Reformen aufgerufen: etwa im Bereich Justiz,
Strafverfolgung und bei der Bekämpfung von Korruption, aber auch bei
den militärischen Fähigkeiten und Strukturen, um perspektivisch
Standards der Nato zu erreichen.

«Die Vereinigten Staaten bekräftigen, dass die Zukunft der Ukraine in
der Nato liegt», heißt es in dem Dokument, das die US-Regierung
veröffentlichte. Klar ist damit aber auch, dass es für die Ukraine
aus Sicht der USA noch ein weiter Weg bis in das Militärbündnis ist.
Die US-Regierung wertete das Abkommen mit Kiew als Botschaft an
Moskau: dass sie sich zur anhaltenden und längerfristigen
Unterstützung der Ukraine bekenne. 

Russland war am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert und
führt seitdem einen großangelegten Angriffskrieg gegen das
Nachbarland. Echte Sicherheitsgarantien hat bisher noch kein Land
gegeben. Der Machtapparat in Moskau hatte die Abkommen als Gesten der
Solidarität mit der Ukraine abgetan, ohne konkrete Folgen für die
Sicherheit des Landes. Russland ist gegen einen Nato-Beitritt der
Ukraine, weil es dadurch nach eigenen Angaben seine Sicherheit
bedroht sieht. Kremlchef Wladimir Putin hatte als ein Kriegsziel die
Entmilitarisierung des Landes genannt. Russland hat große Teile im
Osten und im Süden des Landes besetzt.

Die Ukraine bemüht sich intensiv um eine Nato-Mitgliedschaft. Dass
das Land bald in das Militärbündnis aufgenommen werden könnte, ist
aber auch wegen des Krieges eher unwahrscheinlich. Die Ukraine
erhofft sich Sicherheitsgarantien. Im Verteidigungsbündnis gilt im
Fall eines Angriffs die militärische Beistandspflicht aller
Nato-Staaten.