EU legt Beitrittsprozess von Georgien vorerst auf Eis

28.06.2024 00:51

Russlands südlicher Nachbar Georgien bekam von der EU erst im
vergangenen Dezember den Beitrittskandidatenstatus verliehen. Ein
halbes Jahr später stehen nun die Zeichen auf Konfrontation.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Union legt den Beitrittsprozess von
Georgien vorerst auf Eis. Grund ist der aktuelle Kurs der politischen
Führung in Tiflis, wie aus einer Erklärung der Staats- und
Regierungschefs vom Gipfeltreffen in Brüssel hervorgeht.

In dem Text heißt es, der Europäische Rat äußere seine ernsthafte
Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen in Georgien. Die dortigen
Behörden müssten den aktuellen Kurs umkehren, denn dieser gefährde
Georgiens Weg in die EU und führe «de facto zu einem Stopp des
Beitrittsprozesses».

Der EU-Kandidatenstatus war dem 3,7-Millionen-Einwohner-Land erst im
vergangenen Dezember zuerkannt worden, nachdem es kurz nach Beginn
des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die Aufnahme in die
EU beantragt hatte.

Gesetz führte zu Massenprotesten

Als konkretes Beispiel für die negativen Entwicklungen in der
früheren Sowjetrepublik an der Südgrenze Russlands nennen die Staats-
und Regierungschefs ein neues Gesetz zur schärferen Kontrolle der
Zivilgesellschaft. Dieses war im Mai trotz wochenlanger
Massenproteste gegen das «russische Gesetz» vom Parlament
verabschiedet worden. Es überstimmte dabei auch ein Veto der
proeuropäischen Präsidentin Salome Surabischwili. 

Die Regierungspartei Georgischer Traum, die im Parlament die Mehrheit
hält, verschärft mit dem Gesetz konkret die Rechenschaftspflicht von
Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent ihres Geldes
aus dem Ausland erhalten. Sie begründet dies mit höherer Transparenz.
Ein ähnliches Gesetz in Russland stempelt diese vom Ausland
unterstützten Organisationen als «ausländische Agenten» ab.

Mahnungen nach Tiflis

Die Staats- und Regierungschefs der EU sehen in dem georgischen
Gesetz «einen Rückschritt in Bezug auf Empfehlungen der EU-Kommission
für den EU-Beitrittskandidatenstatus. Zum Vorgehen von Behörden gegen
Kritiker schreiben sie, man fordere ein Ende der zunehmenden
Einschüchterungen, Drohungen und körperlichen Angriffe gegen
Vertreter der Zivilgesellschaft, politische Führungspersönlichkeiten
und zivile Aktivisten und Journalisten.

Zudem wird in der Erklärung daran erinnert, dass die Achtung der
Werte und Prinzipien, auf denen die Europäische Union gegründet
seien, für jedes Land, das eine Mitgliedschaft anstrebe, von
wesentlicher Bedeutung seien. Es müsse auch sichergestellt werden,
dass die Parlamentswahlen in diesem Herbst frei und fair seien.

Gute Kontakte nach Moskau

Was genau hinter dem Kurs der Regierung in Tiflis steckt, ist bislang
unklar. Paradox ist, dass die Regierung von Georgischer Traum die
erfolgreichen Gespräche über den EU-Kandidatenstatus geführt hat. Sie

hält nach Worten am EU-Kurs fest - verfolgt aber zugleich gute
Kontakte nach Moskau.

Als ein Treiber des Gesetzes gilt der Parteigründer Bidsina
Iwanischwili, der mit Geschäften in Russland zum Milliardär geworden
ist und zeitweise auch Ministerpräsident war. Er vertrat in der
Vergangenheit die Ansicht, dass sich Georgien vor verderblichem
westlichem Einfluss schützen müsse.