Nach EU-Gipfel: Für von der Leyen beginnt Endspurt im Rennen um Topjob Von Ansgar Haase, dpa

28.06.2024 14:04

Für Ursula von der Leyen verläuft der Kampf um eine zweite Amtszeit
als EU-Kommissionschefin bislang ohne große Probleme. Ein Fehler in
den nächsten Wochen könnte allerdings noch alles zunichtemachen.

Brüssel (dpa) - Für Ursula von der Leyen beginnt nach ihrer
Nominierung durch die europäischen Staats- und Regierungschefs der
Endspurt im Rennen um eine zweite Amtszeit als Präsidentin der
EU-Kommission. Um ihren Spitzenposten für weitere fünf Jahre behalten
zu können, muss die deutsche Politikerin in den nächsten Wochen eine
Mehrheit der Abgeordneten im neuen EU-Parlament hinter sich bringen.

Das informelle Bündnis, das ihre europäischen Parteienfamilie EVP mit
den Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (Renew) bildet, hat dort
zwar theoretisch eine komfortable Mehrheit von etwa 400 der 720
Stimmen. Es wird aber für möglich gehalten, dass manche Abgeordnete
in der geheimen Wahl von der Fraktionslinie abweichen und der
Deutschen nicht ihre Stimme geben. Das Votum erfolgt nach derzeitiger
Planung am 18. Juli. Sollte von der Leyen in der Abstimmung
durchfallen, müssten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten
einen anderen Kandidaten aufstellen.

Die nächsten Wochen sind entscheidend

Von der Leyen kündigte am Freitag nach ihrer Nominierung beim
EU-Gipfel in Brüssel an, in den nächsten Wochen mit unterschiedlichen
Parteien und Gruppen im Europäischen Parlament reden zu wollen.
Wichtig für sie sei, dass diese pro-europäisch, pro-ukrainisch und
pro Rechtsstaatlichkeit seien, sagte sie. Bundeskanzler Olaf Scholz
zeigte sich zuversichtlich, dass von der Leyen gewählt wird. «Die
Präsidentin hat ja doch einen ganz guten Ruf im Parlament», sagte der
SPD-Politiker nach dem Treffen.

Zusätzliche Stimmen könnte von der Leyen vor allem von
Grünen-Abgeordneten bekommen. So hatte der frühere europäische
Grünen-Chef und scheidende deutsche EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer
seine Parteifreunde jüngst zur Unterstützung ihrer Wiederwahl
aufgerufen und dies damit begründet, dass das von Scholz und anderen
führenden europäischen Staats- und Regierungschefs ausgehandelte
Paket zur Neubesetzung der EU-Spitzenposten nach der Europawahl das
Beste sei, was man bekommen könne.

Früherer portugiesischer Regierungschef hat EU-Topjob sicher

Das Paket umfasst neben der Nominierung von der Leyens auch noch die
Entscheidung, dass der sozialdemokratische frühere portugiesische
Regierungschef António Costa nächster Präsident des Europäischen
Rates wird und die estnische Regierungschefin Kaja Kallas zur
EU-Außenbeauftragten ernannt werden soll. Costa wird dann als
Nachfolger des Belgiers Charles Michel dafür zuständig sein, die
EU-Gipfel vorzubereiten und die Arbeitssitzungen zu leiten. Kallas
würde nach Bestätigung der neuen EU-Kommission durch das Parlament
auf den Spanier Josep Borrell folgen.

Die Präsidentschaft der EU-Kommission ist allerdings die mit Abstand
wichtigste Position. Dem Amtsinhaber sind rund 32 000 Mitarbeiter
unterstellt, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen.
Zudem sitzt die Kommissionspräsidentin bei fast allen großen
internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin
mit am Tisch.

Offenheit nach Rechts ist Angriffspunkt

Nicht einfach werden die Gespräche für von der Leyen vor allem
deswegen, weil sie und ihre Parteienfamilie EVP im Wahlkampf auch
eine Zusammenarbeit mit der rechten italienischen Ministerpräsidentin
Giorgia Meloni und deren Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens)
nicht ausgeschlossen hatten. Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen
Grünen im Europäischen Parlament, äußerte sich deswegen am Freitag

zurückhaltend zu einer möglichen Unterstützung. «Es liegt in den
Händen von Ursula von der Leyen, eine pro-europäische und stabile
Mehrheit für ihre Wiederwahl im Parlament zu bilden», sagte er. 

Andresens Kollege Michael Bloss erklärte, die Grünen stünden bereit,

Verantwortung für Europa zu übernehmen, da eine Mehrheit mit
«Anti-Europäern» eine Eiszeit für ein starkes Europa bedeuten wür
de.
Von der Leyen müsse sich aber klarer zum sogenannten Green Deal
bekennen, der das Erreichen der EU-Klimaschutzziele sicherstellen
soll.

Rechtspopulisten zetern

Hilfreich könnte für von der Leyen aber nun sein, dass sich Meloni in
der Nacht zum Freitag bei der Abstimmung enthielt und danach
wortstark darüber schimpfte, dass sie bei den Vorab-Verhandlungen
über das Personalpaket außen vor blieb. Kanzler Scholz hingegen
machte deutlich, dass er letzteres für richtig hält. Er sei davon
überzeugt, dass es gut sei, wenn Parteien aus rechtspopulistischen
Parteienfamilien nicht Basis der Unterstützung für von der Leyen,
sagte er. Damit schloss er auch den ungarischen Regierungschef Viktor
Orban ein, der beim EU-Gipfel als einziger gegen von der Leyen
stimmt.