Ungarns Ratspräsidentschaft - Orban will EU wieder «großartig machen » Von Stella Venohr und Kathrin Lauer, dpa

30.06.2024 13:22

Ungarn gilt oft als Blockierer in der EU. Nun übernimmt das Land die
Ratspräsidentschaft - und will eine neue Rechtsaußenfraktion im
EU-Parlament gründen. Was bedeutet das für die Staatengemeinschaft?

Brüssel/Budapest (dpa) - «Make Europe Great Again» - mit diesem
abgewandelten Wahlkampf-Slogan des amerikanischen Ex-Präsidenten
Donald Trump als Motto übernimmt Ungarn an diesem Montag die
EU-Ratspräsidentschaft. Auf Deutsch bedeutet der Spruch so viel wie
«Macht Europa wieder großartig». Ist das Motto schon ein Hinweis
darauf, was von der EU-Ratspräsidentschaft eines rechtspopulistischen
Viktor Orban zu erwarten ist?

Der ungarische Ministerpräsident gilt als einer der größten
Störenfriede in der EU. Immer wieder gerät Orban mit anderen
Mitgliedstaaten aneinander und blockiert wichtige Abstimmungen -
zuletzt bei der Unterstützung für die von Russland angegriffene
Ukraine.

Orban hat eigene Sichtweise auf ungarische Demokratie

Zudem wurde Ungarn erst kürzlich vom Europäischen Gerichtshof (EuGH)
zu einer Geldstrafe von 200 Millionen Euro verurteilt, weil Budapest
das EU-Asylrecht missachtet hatte. Das stelle eine ganz neue und
außergewöhnlich schwere Verletzung von EU-Recht dar, hieß es. Der
EuGH hat in früheren Urteilen bereits wesentliche Teile des
ungarischen Asylsystems für rechtswidrig erklärt. Auch die
Europäische Kommission wirft Ungarn seit Jahren vor, EU-Standards und
Grundwerte zu missachten und fror deswegen schon Fördermittel in
Milliardenhöhe für das Land ein.

Orban hingegen sieht sich unter anderem durch eine hohe
Wahlbeteiligung in Ungarn bei der Europawahl in seinem Politikkurs
bestätigt. «Das zeigt, dass es der ungarischen Demokratie auch gut
geht, sie sagt vielen Dank, sie ist lebendig und blüht, es gibt
konkurrierende Akteure, es gibt Interesse, es gibt Menschen, die eine
Meinung haben, die sie äußern wollen, die sie zum Ausdruck bringen
wollen, die das öffentliche Leben beeinflussen wollen», sagte er
Mitte Juni dem ungarischen Fernsehsender M1.

Neue Rechtsaußenfraktion im EU-Parlament angestrebt

Um seinen Einfluss auszuweiten, formierte Orban unmittelbar vor der
Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft auch ein Bündnis mit
populistischen Parteien aus Österreich und Tschechien. Es soll die
größte Rechtsaußenfraktion im EU-Parlament werden. Zu der neuen
Gruppierung «Patrioten für Europa» gehören neben seiner Partei Fide
sz
schon mal die österreichische FPÖ und die tschechische ANO.
Abgeordnete aus mindestens vier weiteren EU-Ländern sind nötig, um
eine solche Fraktion gründen zu können. 

Ungewohnte Rolle für Ungarn

Mit der Ratspräsidentschaft kommt Orban nun eine ungewohnte Rolle zu:
Sein Land wird bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Staaten
vermitteln und zahlreiche Ministertreffen leiten müssen. Zuletzt
hatte Belgien diese Aufgabe - alle sechs Monate wechselt der
EU-Ratsvorsitz zwischen den 27 Mitgliedstaaten. Bereits 2011 hatte
Orbans Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft inne, ein Jahr nach dem
Regierungsantritt des Rechtspopulisten. Damals begann Orban, mit
einer Verfassungsänderung die Weichen für sein System zu stellen, das
er 2014 «illiberale Demokratie» nannte. Es ist sein politisches Credo
und Markenzeichen.

«Die Präsidentschaft bedeutet nicht, dass man der Chef von Europa
ist. Die Präsidentschaft bedeutet, dass Sie derjenige sind, der den
Kompromiss machen muss», gab der scheidende belgische
Ministerpräsident Alexander De Croo seinem Budapester Kollegen
zuletzt in Brüssel mit auf den Weg. In einer Position zu sein, in der
man einen Kompromiss eingehen müsse, sei eine interessante Situation.
«Ich kann es Herrn Orban auf jeden Fall empfehlen.»

Kaum neue Gesetzesinitiativen erwartet

Fragt man EU-Diplomaten, hält sich die Begeisterung über den
ungarischen Ratsvorsitz zwar in Grenzen, doch eine große Gefahr für
die EU sieht kaum jemand. Das liegt am Zeitpunkt: Zwar ist die
Ratspräsidentschaft auch dafür verantwortlich, die Gesetzgebung der
EU voranzutreiben. Allerdings müssen sich Parlament und Kommission
kurz nach der Europawahl erst finden. Viele neue Gesetzesinitiativen
sind daher in dieser Phase nicht zu erwarten. 

Budapest kündigte bereits an, den Fokus auf die wirtschaftliche
Wettbewerbsfähigkeit der EU legen zu wollen. Außerdem soll illegale
Migration besser bekämpft werden - unter anderem durch Abkommen mit
Drittstaaten.

Auch der FDP-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Moritz Körner,
rechnet damit, dass Orban hinsichtlich der EU-Gesetzgebung «relativ
wenig Unheil anrichten» kann. «Eingefrorene ungarische Gelder
freigeben kann die Ratspräsidentschaft auch nicht», sagt er. «Medial

und diplomatisch sind aber ungarische Alleingänge leider möglich,
sowohl gegenüber (Russlands Präsidenten Wladimir) Putin als auch
gegenüber Trump, die die EU in Verlegenheit bringen könnten.»

«Budapest entscheidet, worüber gesprochen wird»

Körner moniert zudem, dass es «an Peinlichkeit für die EU kaum zu
überbieten» sei, dass Ungarn die Gespräche über Fragen der
Rechtsstaatlichkeit im nächsten halben Jahr im Rat moderieren werde.
Diesen Punkt sieht der grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund geradezu
als «Ironie». Anders als andere EU-Staaten habe Ungarn das Thema
Rechtsstaat nicht auf seine Prioritätenliste für die
Ratspräsidentschaft gesetzt. Man habe es mit der «korruptesten
Regierung in der EU» zu tun.

Freund bereitet vor allem Sorgen, dass Ungarn als Ratspräsident die
Tagesordnungen aller Treffen bestimme. Budapest entscheide damit,
worüber gesprochen wird und worüber nicht. Und dass Orban seinen
Slogan für die Ratspräsidentschaft Trumps Losung nachempfunden habe,
suggeriere unliebsame Parallelen. «Man kann erraten, auf welcher
Seite er (Orban) steht», betont Freund.