Orban will rechtes Parteienbündnis schmieden - «Neue Ära» für Eur opa

30.06.2024 16:11

Im Kampf gegen die «Brüsseler Eliten» lässt der Poltergeist der EU

nicht locker. Viktor Orban sammelt Gleichgesinnte um sich, um die
Europäische Union aufzumischen. Macht die AfD auch mit?

Wien (dpa) - Einen Tag vor Übernahme der Ratspräsidentschaft in der
Europäischen Union (EU) hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban
die Gründung einer neuen Rechtsaußen-Fraktion im Parlament
angekündigt. Die Gruppierung «Patrioten für Europa» umfasse neben d
er
ungarischen Regierungspartei Fidesz die rechte österreichische FPÖ
und die liberal-populistische tschechische ANO, sagte Fidesz-Chef
Orban am Sonntag in Wien im Beisein von FPÖ-Chef Herbert Kickl und
dem ANO-Vorsitzenden Andrej Babis. Das Bündnis sei für weitere
Parteien offen, die sich zu dem am Sonntag von den drei
Parteivorsitzenden unterzeichneten «Patriotischen Manifest»
bekennen. 

Mit dem erhofften Zulauf zu den «Patrioten» würde die Gruppierung zur

«größten Fraktion der rechtsgerichteten Kräfte Europas» aufsteige
n,
so Orban. «Ein neues Zeitalter beginnt», führte er weiter aus. Die
neue Fraktion werde Europa «auch gegen den Willen der Brüsseler
Eliten verändern». Das «Patriotische Manifest» enthält die bekann
ten
Positionen rechter, rechts-populistischer und rechtsextremer
Parteien: Ablehnung von Migration und «Green Deal», keine
Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine sowie Rückbau
der Integration in der EU zwecks Stärkung der Souveränität der
Nationalstaaten. 

«Diese Allianz soll eine Trägerrakete darstellen», sagte FPÖ-Chef
Kickl. Der ANO-Vorsitzende und tschechische Ex-Premier Andrej Babis
erklärte, dass die neue Fraktion im Europäischen Parlament vor allem
auf die Verteidigung der nationalstaatlichen Souveränität gegenüber
der EU, den Kampf gegen illegale Migration und die Rücknahme der
Klima-Maßnahmen des «Green Deal» setze. 

Die Oppositionspartei FPÖ, die oppositionelle ANO und der
rechtspopulistische Fidesz bekamen bei der EU-Wahl in ihren
jeweiligen Ländern die meisten Stimmen. Fidesz stellt elf Abgeordnete
im neuen Europaparlament, ANO sieben und die FPÖ sechs. Insgesamt
verfügen sie damit über 24 der 705 Vertreter in dem EU-Gremium. Für
die Bildung einer Fraktion sind insgesamt mindestens 23 Abgeordnete
aus 7 Ländern erforderlich. 

Weder Orban noch Kickl noch Babis deuteten am Sonntag an, welche
Parteien aus welchen Ländern mit Sitzen im Europaparlament sich der
neuen Fraktion anschließen könnten. Inhaltlich bestehen vor allem bei
Fidesz und FPÖ viele Berührungspunkte mit der AfD, die kurz vor der
Europawahl am 9. Juni aus der rechten ID-Fraktion ausgeschlossen
worden war. 

Wohlwollende Signale aus dem AfD-Hinterland

Am Rande des AfD-Bundesparteitags in Essen wollte sich AfD-Chef Tino
Chrupalla am Sonntag auf Anfrage nicht zu Orbans Plänen äußern. Beim

Eröffnungsspiel der Fußball-EM in München hatte er im Stadion ein
Selfie mit Orban verfertigt und dieses auf seinem Instagram-Kanal
geteilt. Der AfD-Europaparlamentarier Marc Jongen äußerte sich
hingegen im Deutschlandfunk wohlwollend. «Also wenn es nach mir
ginge, dann würden wir dieser Fraktion auch sehr gerne beitreten»,
sagte er. Das «Patriotische Manifest» könne seine Partei «sofort
unterschreiben». Inhaltlich sei man «Orban sehr nahe», man arbeite
daran, «eine formelle Zusammenarbeit in der Zukunft herzustellen».

Ungarn übernimmt am Montag turnusgemäß den halbjährigen Vorsitz in

der EU. Orban, der das Land seit 14 Jahren regiert, ist in der EU
umstritten. Unter dem Vorwand des «souveränen Regierungshandelns» hat

er nach Ansicht von Kritikern den Rechtsstaat und die Demokratie in
Ungarn abgebaut und damit gegen Geist und Buchstaben der Europäischen
Verträge, der Grundlagendokumente der EU, verstoßen. Dazu gehöre
auch, dass er zentrale Segmente der Volkswirtschaft - darunter Banken
und den Telekom-Sektor - unter die Kontrolle ihm nahestehender
Oligarchen gebracht habe. 

Gegen Ungarn läuft wegen verschiedener massiver Verstöße ein
sogenanntes Artikel-7-Verfahren, das mit dem Entzug der Stimmrechte
in der EU enden könnte. Weiterhin hält die EU mehrere Milliarden Euro
an Fördergeldern zurück, die Ungarn zustehen würden, deren Auszahlung

aber aufgrund des Rechtsstaatsmechanismus der EU ausgesetzt ist. Als
Regierungschef des Vorsitzlandes kann Orban allerdings in diese
Vorgänge nicht eingreifen. Einen gewissen Spielraum hat er beim
Setzen von Themen und bei der Lenkung von Debatten in den
EU-Spitzengremien.

Die Abgeordnetengruppe der von Orban geführten Fidesz-Partei war
wiederum im Europaparlament isoliert, nachdem sie 2021 aus der
Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der auch
CDU und CSU angehören, nach jahrelangen Streitigkeiten hinausgedrängt
worden war. Der Versuch Orbans nach der Europawahl, seine
Fidesz-Abgeordneten in der rechten Fraktion Europäische Konservative
und Reformer (EKR) unterzubringen, scheiterte an der ablehnenden
Haltung der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die
bestimmenden Kräfte in der EKR, Melonis Fratelli d'Italia und die
polnische PiS, halten Orbans Nähe zu Russland für unannehmbar. 

Orban und der Fidesz vertreten offen Positionen des äußersten rechten
Randes des europäischen Parteienspektrums, darunter die
Verschwörungserzählung vom «Bevölkerungsaustausch»: «Globale El
iten»,
unter ihnen der ungarischstämmige US-Milliardär und Philanthrop
George Soros, würden die Einwanderung von Muslimen nach Europa nach
Kräften fördern, um die europäischen Völker ihrer «christlichen u
nd
nationalen Identität» zu berauben, wird da behauptet. Belege dafür
gibt es keine.