Keine Eile bei der Zinswende - EZB lässt Zinsen unverändert Von Alexander Sturm, dpa

18.07.2024 16:56

Die Inflation sinkt langsam, die Konjunktur im Euroraum schwächelt,
doch die Notenbank lässt sich Zeit: Sie hält die Leitzinsen konstant.
Das könnte sich aber im Herbst ändern.

 

Frankfurt/Main (dpa) - Die Europäische Zentralbank lässt die Zinsen
im Euroraum trotz der zuletzt gesunkenen Inflation unverändert. Bei
ihrer im Juni begonnen Zinswende lassen sich die Währungshüter rund
um EZB-Präsidentin Christine Lagarde Zeit. Sie beschlossen in
Frankfurt, den Leitzins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der
Notenbank besorgen können, bei 4,25 Prozent zu belassen. Der
Einlagenzins, den Geldhäuser erhalten, wenn sie überschüssiges Geld
bei der Notenbank parken, bleibt bei 3,75 Prozent. 

Damit verzichtet die EZB darauf, ihre Geldpolitik direkt weiter zu
lockern. Viele Ökonomen erwarten aber, dass die Notenbank bei ihrer
nächsten Sitzung Mitte September die Zinsen senkt. 

Alle Augen auf September

Für die Entscheidung nach der Sommerpause ließ sich die EZB alle
Türen offen und vermied klare Hinweise. Künftige Zinsentscheidungen
seien weiter abhängig von den Konjunkturdaten, bekräftigte Lagarde.
Man entscheide von Sitzung zu Sitzung. 

Lagarde verwies auf immer noch hohen Preisdruck: Die Gesamtinflation
im Euroraum dürfte bis weit ins nächste Jahr über dem Zielwert
bleiben, sagte sie. Auf der anderen Seite dürfte sich der Trend zu
hohem Lohnwachstum, der den Währungshütern Sorge bereitet, im
Jahresverlauf abschwächen und es bestünden Konjunkturrisiken: Die
Wirtschaft der Eurozone sei im zweiten Quartal «wahrscheinlich
langsamer gewachsen» als im ersten. 

EZB bleibt vorsichtig

Um die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auf Rekordhöhe
gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen, hatte die EZB seit
Juli 2022 zehnmal in Folge die Zinsen erhöht, ehe sie eine Pause
einlegte. Im Juni senkte die EZB dann erstmals seit der
Inflationswelle die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte. 

Die EZB muss mit ihrer Geldpolitik einen Spagat bewältigen. Hohe
Zinsen machen Kredite teuer. Das kann die wirtschaftliche Nachfrage
bremsen und hohen Inflationsraten entgegenwirken. Teurere Kredite
sind zugleich eine Last für die Wirtschaft und Privatleute, die sich
Geld leihen - etwa Hausbauer. Senkt die EZB die Zinsen wiederum zu
schnell, läuft sie Gefahr, dass die Inflation wieder anzieht. 

«Der Kampf der europäischen Währungshüter gegen zu hohe
Inflationsraten ist noch nicht gewonnen», warnt Heiner Herkenhoff,
Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. Für die Zinsentscheidung am

12. September fordert er Augenmaß. «Die EZB sollte die Zinsen nur
dann senken, wenn sie sicher sein kann, dass die Inflation im
Euroraum verlässlich auf die 2-Prozent-Marke zusteuert.» 

Inflation sinkt - aber langsam

Zuletzt hatte sich die Inflation im Währungsraum abgeschwächt. Die
Rate fiel im Juni auf 2,5 Prozent nach 2,6 Prozent im Mai. Die
Inflation nähert sich damit dem Ziel der EZB, die mittelfristig eine
jährliche Rate von zwei Prozent im Währungsraum anstrebt und hier
Preisstabilität gewahrt sieht. 

Doch der Rückgang der Inflation im Euroraum ist zäh. Sorge bereitet
Ökonomen auch, dass die Teuerungsrate ohne die schwankungsanfälligen
Preise für Energie und Nahrungsmitteln, die «Kerninflation», im Juni

bei 2,9 Prozent stagnierte. 

Kritik an Lockerung

Manche Ökonomen kritisieren daher die Zinswende der EZB. Der EZB-Rat
dürfte die Leitzinsen bereits auf der nächsten Sitzung im September
senken, «sofern es die Inflationsdaten halbwegs hergeben», meint
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Weitere Schritte sollten im
Dezember und im März nächsten Jahres folgen. Er monierte: «Diese
Zinswende ist jedoch verfrüht, weil das Inflationsproblem noch nicht
gelöst ist.» 

Derzeit sehe es gut aus für eine nächste Zinssenkung im September,
meint auch Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank. Eine sehr
plausible Annahme für alle, die Geld sparen oder aufnehmen wollten,
laute, «dass sowohl die kurzfristigen Zinsen als auch die
langfristigen Zinsen in den kommenden Quartalen weiter sinken
werden». 

Sparzinsen bereits gesunken

Die jüngste Zinssenkung der EZB im Juni spüren Sparer bereits bei
ihrer Bank. Nach einer Analyse des Vergleichsportals Verivox zahlten
überregionale Geldhäuser zum Stichtag 15. Juli im Schnitt 1,69
Prozent für Tagesgeld. Anfang Juni waren es noch 1,72 Prozent. Bei
Sparkassen (0,62 Prozent) und regionalen Genossenschaftsbanken (0,64
Prozent) gab es im Mittel wesentlich weniger. 

«Viele Banken und Sparkassen haben die jüngste Leitzinssenkung der
Europäischen Zentralbank schnell an die Sparerinnen und Sparer
weitergereicht», so Verivox. Auch die Festgeldzinsen über zwei Jahre
fielen - von im Schnitt 2,82 Prozent Anfang Juni auf zuletzt 2,79
Prozent. 

Keine Erleichterung für Hausbauer

Weniger erfreulich sieht es für Schuldner aus. Baufinanzierungen etwa
sind zwar etwas billiger als im vergangenen Herbst, seit mehreren
Monaten haben sich die Konditionen aber auf erhöhtem Niveau
eingependelt. Die Zinsen für Kredite mit 10 Jahren Zinsbindung lagen
laut FMH-Finanzberatung zuletzt bei rund 3,7 Prozent und bei 3,85
Prozent für eine 15-jährige Bindung. Zumindest in den kommenden
Wochen dürfte es bei den Bauzinsen kaum Bewegung geben, erwarten
Kreditvermittler.