EU und Serbien schmieden Lithium-Pakt für E-Autos Von Michael Fischer, Kathrin Lauer und Marek Majewski, dpa

19.07.2024 16:23

Für Serbien geht es um Milliarden-Einnahmen, für die EU um die
Verringerung der Abhängigkeit von China. Die Förderung eines der
größten Lithium-Vorkommen Europas hat aber auch eine Kehrseite.

Belgrad (dpa) - Die Europäische Union und Serbien wollen gemeinsam
eines der größten Lithium-Vorkommen Europas im Wert von mehreren
Milliarden Euro für die Herstellung von Batterien vor allem für
Elektroautos erschließen.

In Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz, Serbiens Präsident
Aleksandar Vucic und EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic wurde in
Belgrad eine Absichtserklärung unterzeichnet, die eine
umweltverträgliche Förderung des weltweit extrem begehrten
Leichtmetalls im westserbischen Jadar-Tal ermöglichen soll. In
Serbien gibt es allerdings erheblichen Widerstand von Umweltschützern
gegen das Projekt.

Scholz versicherte, dass es den «höchsten Standards» des
Umweltschutzes entsprechen werde. Sefcovic sprach von einem
«historischen Tag» und wertete das Abkommen als Schritt Serbiens in
Richtung EU. Am euphorischsten äußerte sich Vucic nach der
Unterzeichnungszeremonie: «Für uns wird dies einen Wendepunkt und
einen Quantensprung in die Zukunft darstellen, etwas, das wir nicht
für möglich gehalten hätten.»

Größte Direktinvestition in der Geschichte Serbiens

Für beide Seiten geht es bei dem Rohstoff-Abkommen um viel. Für
Serbien handelt es sich um die größte ausländische Direktinvestition

seiner Geschichte. Ziel der Regierung in Belgrad ist es, eine
Wertschöpfungskette für Elektromobilität vom Abbau des Rohstoffs bis

zur Batteriefertigung aufzubauen. Das bedeutet Staatseinnahmen,
Arbeitsplätze und Investitionen, die Vucic auf sechs Milliarden Euro
schätzte. Unter anderem habe Scholz ihm versichert, dass in Serbien
auch eine Batterie-Fabrik entstehen werde.

China zog den Kürzeren

Deutschland und die EU wollen mit dem Projekt vor allem die
Abhängigkeit von China reduzieren. Die zweitgrößte Volkswirtschaft
der Welt kontrolliert einen großen Teil des Abbaus und der
Verarbeitung von Lithium weltweit. Scholz sagt, man könne diese
Abhängigkeit nicht als Problem begreifen und gleichzeitig vor eigenen
Bergbauprojekten zurückschrecken könne. «Wir müssen das jetzt
hinkriegen», sagte er.

Auch China hatte sich um die Ausbeutung der Vorkommen in Serbien
bemüht, im Mai war Präsident Xi Jinping sogar nach Belgrad gereist.
Dass man sich trotzdem nun als Europäer durchgesetzt hat, wird von
deutscher Seite als großer Erfolg gefeiert, der vielleicht auch
Ausstrahlungskraft auf weitere Rohstoff-Projekte haben könnte.

Lithium für mehr als eine Million E-Autos im Jahr

Das Abkommen hat eine längere Vorgeschichte. Bereits vor drei Jahren
gab der australische Bergbaugigant Rio Tinto bekannt, dafür eine
Milliardeninvestition tätigen zu wollen. Nach Schätzung des
Unternehmens kann das geplante Bergwerk jährlich 58.000 Tonnen
Lithium produzieren. Das würde serbischen Medienberichten zufolge den
Bedarf von 1,1 Millionen Elektro-Fahrzeugen decken, was etwa 17
Prozent der europäischen Produktion entspreche. Die Autohersteller
Mercedes-Benz und Stellantis verhandeln mit Rio Tinto bereits über
eine Beteiligung. Diese beiden und weitere Unternehmen
unterzeichneten am Freitag ebenfalls Absichtserklärungen.

Umweltschützer sorgen sich um Trinkwasserversorgung

Das Projekt ist aber hochumstritten. Umweltschützer kritisieren unter
anderem, dass Lithium-Bergbau das Grundwasser mit Schwermetallen
verunreinige und daher eine Gefahr für die Trinkwasserversorgung der
Anwohner darstelle. Ein Vertreter der Umweltorganisation Ökologischer
Aufstand, Aleksandar Jovanovic Cuta, nannte das Abkommen ein
«Todesurteil» für die Abbauregion. Gegner des Projekts wollten
während der Unterzeichnungszeremonie eigentlich vor dem
Präsidentenpalast demonstrieren, der aber weiträumig abgesperrt
wurde.

Serbische Opposition wirft EU-Staaten Anbiederung an Vucic vor

Neben der Kritik der Umweltschützer gibt es auch rechtsstaatliche
Bedenken gegen das Projekt. Die serbische Regierung hatte den Weg für
die Unterzeichnung erst vor wenigen Tagen freigemacht. Sie berief
sich auf ein kurz vorher ergangenes Urteil des Verfassungsgerichts,
das den 2022 nach Massenprotesten beschlossenen Planungsstopp
rückgängig machte. 

Für die serbische Opposition ist der Umgang mit dem Lithium
inzwischen eins der wichtigsten Themen. Sie wirft EU-Staaten wie
Deutschland vor, sich wegen der serbischen Rohstoffvorkommen Vucic
anzubiedern. Dem serbischen Präsidenten werden Abbau der Demokratie
und des Rechtsstaats sowie ein enger Draht zu Russland vorgeworfen.

Scholz dankt dem «lieben Gott» - Vucic schickt Kampfjet-Eskorte

Scholz verzichtete bei der Unterzeichnungszeremonie darauf, die
Probleme offen anzusprechen. Er erinnerte aber daran, dass, wer in
die Europäische Union wolle, «mit gößter Anstrengung die
Anforderungen erfüllen» müsse - gerade was Rechtsstaatlichkeit,
Demokratie und Meinungsfreiheit angehe.

Sonst dominierte an diesem Tag die Harmonie zwischen Scholz und
Vucic, der den Kanzler bei An- und Abreise als Ehrerbietung sogar von
serbischen Kampfjets eskortieren ließ. Der Kanzler wurde bei der
Pressekonferenz seinerseits für seine Verhältnisse ungewöhnlich
pathetisch. «Ich will es für diejenigen sagen, die ein bisschen
gläubig sind, und diejenigen, die sich zumindest an diesen Bildern
auch gerne orientieren», sagte der SPD-Politiker, der selbst aus der
Kirche ausgetreten ist. «Der liebe Gott hat es möglich gemacht, dass
einer der begehrtesten Rohstoffe der Welt in größter Qualität in
diesem Land ist. Und vielleicht kann es auch als Glück für das Land
genutzt werden.»