Trotz Uneinigkeit: EU-Chefdiplomat blockt Treffen in Ungarn Von Ansgar Haase, dpa

22.07.2024 19:31

Ungarns Ministerpräsident Orban hat mit einer unabgesprochenen Reise
zu Kremlchef Wladimir Putin innerhalb der EU für Empörung gesorgt.
Nun trifft der EU-Chefdiplomat eine umstrittene Entscheidung.

Brüssel (dpa) - EU-Chefdiplomat Josep Borrell hat in Reaktion auf die
Reisen des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban nach Moskau und
Peking den Boykott eines von Ungarn geplanten Außenministertreffens
in Budapest angekündigt. Er werde stattdessen nach Ende der
Sommerpause zu einem Treffen nach Brüssel einladen, kündigte der
Spanier in Brüssel an.

Borrell traf die Entscheidung nach einem EU-Außenministertreffen in
Brüssel und gegen den erklärten Willen von Ländern wie Deutschland,
Spanien und Luxemburg. Unklar blieb zunächst, welche konkreten Folgen
sie haben wird. Borrell sagte, er habe versucht, Einigkeit unter den
EU-Staaten über das Vorgehen herzustellen. Dies sei aber leider nicht
möglich gewesen. Betroffen von der Entscheidung ist auch ein
informelles Treffen der Verteidigungsminister der EU-Staaten, das
eigentlich ebenfalls in der letzten August-Woche in Budapest
stattfinden sollte. Für dieses Thema ist Borrell in der EU auch
zuständig.

Bei dem Außenministertreffen in Brüssel hatte sich am Montag eine
ganze Reihe von Teilnehmern klar gegen Borrells Vorschlag für einen
Boykott von Beratungen in der ungarischen Hauptstadt positioniert. So
sprach etwa Luxemburgs Außenminister Xavier Bettel von Schwachsinn
und warb dafür, nach Budapest zu reisen und dort der ungarischen
Regierung klar und deutlich seine Meinung zu sagen. Klar gegen den
Borrell-Vorstoß äußerten sich auch Länder wie Spanien und Slowenien
.

Hinter den Kulissen äußerten sich nach Angaben von Diplomaten auch
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sowie Vertreter von
Ländern wie Frankreich und Italien ähnlich. Auf der anderen Seite
standen hingegen unter anderem Länder aus Nordosteuropa wie Polen.
Litauen und Schweden hatten als Reaktion auf die Alleingänge Orbans
bereits vor Tagen angekündigt, vorübergehend keine Ministerinnen und
Minister zu Treffen nach Ungarn zu schicken.

Als Kompromissvorschlag stand am Montag nach Angaben von Polens
Außenminister Radoslaw Sikorski kurzzeitig im Raum, das von Ungarn
geplante Außenministertreffen in der von Russland angegriffenen
Ukraine zu organisieren. Dies scheiterte aber daran, dass Ungarn
hätte zustimmen müssen.

Diskussion läuft seit Tagen

Über mögliche Reaktionen der EU auf Orbans Treffen mit Russlands
Präsident Wladimir Putin, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping
und Ex-US-Präsident Donald Trump wird bereits seit Tagen diskutiert.
Als besonders ärgerlich gelten sie, weil Ungarn derzeit die
rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat. Es wird befürchtet, dass
im Ausland der Eindruck entsteht, Orban spreche bei Treffen im Namen
der Europäischen Union. Inhaltlich wird vor allem kritisiert, dass
vor allem die Reise zu Putin als Entgegenkommen gewertet werden
konnte.

Orban spricht von «Friedensmission»

Borrell nannte das Vorgehen Orbans bei dem Außenministertreffen
«völlig inakzeptabel» und erinnerte an den in den EU-Verträgen
festgeschriebenen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Nach diesem
unterstützen die Mitgliedstaaten die Außen- und Sicherheitspolitik
der Union aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der
gegenseitigen Solidarität.

Dabei bezog Borrell auch Äußerungen von Ungarns Außenminister Peter
Szijjarto ein. Dieser hatte jüngst in einer Rede im UN-Sicherheitsrat
den Eindruck erweckt, als würde die EU den Krieg in der Ukraine durch
ihre Politik und ihre Waffenlieferungen befeuern.

Orban spricht von einer «Friedensmission». Der Ungar vertritt seit
langem den Standpunkt, dass der politische Kurs von EU und Nato zu
einer Ausweitung des Krieges über die Ukraine hinaus führen könnte.
Aus Sicht der Ukraine sind Verhandlungen allerdings sinnlos, solange
Russland keinerlei Bereitschaft zeigt, sich aus den besetzten
Gebieten zurückzuziehen.

Ungarischer Minister lässt die Muskeln spielen

In einem Brief an EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb Orban nach
seinen Reisen, die EU sollte jetzt die Initiative ergreifen und mit
China Gespräche über eine mögliche große Friedenskonferenz führen
.
Gleichzeitig sollten die wegen des Ukraine-Kriegs eingestellte
diplomatische Kommunikation mit Russland wieder aufgenommen werden.

Die deutsche Außenministerin Baerbock ging auf diese Forderungen bei
dem Außenministertreffen nicht ein. Sie kritisierte die Reisen als
«Ego-Trips», die bei vielen Akteuren auf der Welt Irritationen
ausgelöst hätten.

Szijjarto veröffentlichte zum Außenministertreffen ein Foto von sich,
das ihn in einem engen T-Shirt und mit durchtrainiertem Oberkörper
zeigt. Dazu schrieb er, er reise mit politischer kugelsicherer Weste
nach Brüssel und sei auf ein politisches «Feuergefecht» vorbereitet.

Den Amtskollegen warf er vor, über das Scheitern der eigenen
Ukraine-Politik frustriert zu sein. Zudem wies er darauf hin, dass es
seit der «Friedensmission» von Orban zahlreiche andere Gespräche
gegeben habe - so unter anderem zwischen den Verteidigungsministern
der USA und Russlands sowie zwischen dem ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj und Trump.