Scholz zu irregulärer Migration: «Die Zahlen müssen runter» Von Anne-Beatrice Clasmann und Gaby Mahlberg, dpa

26.07.2024 15:38

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler.
Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der
Union hält Zurückweisungen an der Grenze für den richtigen Weg.

Berlin/Saarbrücken (dpa) - Bundeskanzler Olaf Scholz hält
Grenzkontrollen für eine sinnvolle Maßnahme zur Begrenzung der
irregulären Migration nach Deutschland. «Generell ist es unsere
Absicht, die deutschen Grenzen weiterhin strikt zu kontrollieren»,
sagte der SPD-Politiker der «Saarbrücker Zeitung». «Wir wollen die

irreguläre Migration begrenzen, das habe ich angekündigt. Die Zahlen
müssen runter.»

Zwar sei Erwerbsmigration nötig und auch erwünscht. «Aber es gibt zu

viele, die irregulär zu uns kommen und angeben, Schutz vor Verfolgung
zu suchen, aber keine Asylgründe angeben können und dann abgelehnt
werden», fügte Scholz hinzu. Er verwies auch auf bestehende
Kontrollen wie etwa an der Grenze zu Frankreich während der
Olympischen Spiele. Diese sollen bis zum 30. September gelten. 

Für die Landgrenzen zu Österreich, der Schweiz, Tschechien und Polen
hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im vergangenen Oktober
stationäre Kontrollen angeordnet und bei der EU-Kommission
angemeldet. Diese laufen weiter, um irreguläre Migration zu begrenzen
und Schleusungskriminalität zu bekämpfen. Befristet sind sie für die

Schweiz, Tschechien und Polen derzeit bis zum 15. Dezember, für
Österreich, wo schon seit Herbst 2015 kontrolliert wird, bis zum 11.
November.

AfD will «lückenlosen» Grenzschutz

Der Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, reicht das
alles nicht aus. Die Co-Vorsitzende sagte: «Wir brauchen auch abseits
der Hauptverkehrswege einen effektiven und lückenlosen Schutz unserer
Grenzen, den Abbau von Anreizen zur illegalen Einwanderung sowie eine
Abschiebeoffensive, die nicht nur durch Ankündigungen, sondern durch
Zahlen von sich reden macht.»

Unionsvize hält mehr Zurückweisungen für möglich und nötig

Skeptische Töne kommen aus der Union, die - auch mit Blick auf den
Personalaufwand für die Bundespolizei - aber eine andere Strategie
vorschlägt. «Wir werden ganz genau beobachten, was die wolkigen Worte
des Bundeskanzlers zu den Grenzkontrollen wert sind», sagte die
stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz, der Deutschen
Presse-Agentur. 

Die Union sei überzeugt, dass Deutschland längerfristig für alle
Grenzabschnitte Kontrollen bei der EU-Kommission anmelden sollte.
Denn nur dann könne die Bundespolizei direkt an der Grenze tätig
werden und dort auch Zurückweisungen vornehmen. Frankreich
praktiziere das schließlich schon länger, ohne dass daran der
Schengen-Raum zerbrochen wäre. «Das heißt ja nicht, dass rund um die

Uhr an jedem Grenzübergang in voller Mannstärke kontrolliert wird und
werden muss», erklärte die CSU-Politikerin. 

Eigentlich sollten im Schengen-Raum, dem die meisten EU-Länder, aber
auch Nicht-EU-Länder wie die Schweiz angehören, keine Grenzkontrollen
stattfinden. Wegen der angespannten Migrationslage kontrollieren aber
inzwischen mehrere Länder an einigen ihrer Schengen-Binnengrenzen.

Über 6400 Zurückweisungen binnen sechs Wochen

Während der Fußball-EM war an allen deutschen Grenzen kontrolliert
worden. Wie das Bundespolizeipräsidium in Potsdam mitteilte, wurden
während im Zeitraum vom 7. Juni bis zum 19. Juli dabei insgesamt
9.172 unerlaubte Einreisen festgestellt. Von diesen Einreisenden ohne
Erlaubnis seien 6.401 Menschen zurückgewiesen worden, hieß es. Die
Polizei nahm den Angaben zufolge außerdem 275 mutmaßliche Schleuser
vorläufig fest.

Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben 121.416 Menschen erstmals
einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
gestellt, rund 19 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine werden aktuell noch gemäß der
EU-Massenzustromrichtlinie aufgenommen. Sie müssen keinen Asylantrag
stellen. 

Nach Einschätzung von Experten haben die zusätzlichen Grenzkontrollen
mit dafür gesorgt, dass seit dem Herbst etwas weniger Schutzsuchende
nach Deutschland kommen. Ein weiterer Faktor sind wohl
Grenzschutzmaßnahmen anderer Staaten, etwa entlang der sogenannten
Balkanroute. Zurückgewiesen werden aktuell praktisch nur Menschen,
die mit einer Wiedereinreisesperre belegt sind oder kein Asylbegehren
äußern. 

Unionspolitiker unterstützen inzwischen überwiegend härteren Kurs

Welche Regeln an den deutschen Grenzen gelten sollten, beschäftigt
die Union bereits seit dem Herbst 2015, als binnen weniger Wochen
Hunderttausende Asylbewerber - davon viele aus Syrien - nach
Deutschland kamen. Die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte
im Februar 2016: «Viele sagen mir in diesen Tagen immer: Es gab auch
ein Leben vor Schengen. Und ich antworte dann: Ich weiß, es gab auch
ein Leben vor der Deutschen Einheit. Da waren die Grenzen noch besser
geschützt.» Heute klingt die Union anders. 

Lindholz findet, die aktuelle Bundesregierung hätte im Zuge der
jüngst beschlossenen europäischen Asylrechtsreform eine Klarstellung
erwirken sollen, «dass wir auch Menschen zurückweisen können, die in

einem anderen EU-Land bereits Aufnahme gefunden haben oder die einen
Asylantrag auch in dem Land, aus dem sie nach Deutschland einreisen
wollen, hätten stellen können». Die aktuelle «Überlastungssituati
on»
sei dafür ein hinreichendes Argument. Da das europäische Asylrecht
seit Jahren von einigen wichtigen Mitgliedstaaten nicht befolgt
werde, sei dessen Vorrang ohnehin «sehr fraglich». Selbst wenn die
Asylreform Wirkung zeigen sollte, würde dies noch mindestens zwei
Jahre dauern.