Sommer, Sand und Streik - Italiens Strandbäder machen dicht Von Christoph Sator, dpa
08.08.2024 12:56
Ein Streik am Strand? Doch, in Italien gibt es das tatsächlich. Mit
einem «Sonnenschirm-Protest» machen die mächtigen Pächterfamilien d
er
Privatbäder Front gegen Rom und EU. Es geht um sehr viel Geld.
Ostia (dpa) - Der August ist seit jeher der Monat, in dem sie in
Ostia das meiste Geld verdienen. Im «Tibidabo», einem der schönen
alten Bäder am Stadtstrand von Rom, eröffnet 1935, hängen sie am
Kassenhäuschen oft schon vormittags das Schild «Ombrelloni essauriti»
aus: keine Sonnenschirme mehr zu haben, alles bis zum Abend
ausgebucht. In Italien empfiehlt es sich in diesen Tagen, gleich
morgens um neun am Meer zu sein. Gut möglich allerdings, dass das an
diesem Freitag auch nichts bringt.
Mitten in der Hauptsaison wollen die Pächter von vielen der
landesweit 7.200 Strandbäder, den stabilimenti balneari, erstmals in
den Streik treten: zunächst einmal nur morgens für zweieinhalb
Stunden. Aber wenn sich die Regierung der rechten Ministerpräsidentin
Giorgia Meloni nicht bewegt, sollen die Bäder Mitte August, immer
noch in der Ferienzeit, einen halben Tag geschlossen bleiben und Ende
des Monats schließlich einen ganzen. Hintergrund ist eine
EU-Richtlinie, um deren Umsetzung sich Italien seit bald 20 Jahren
herummogelt.
Auf Ausländer mit Handtüchern blickt man gern herab
Für die Millionen Urlauber an den mehr als 7.500 Kilometern
Mittelmeerküste käme solch ein Streik nun nicht unbedingt einer
Katastrophe gleich. Aber eine Pein wäre es für viele schon. Die
Strandliege (italienisch: lettino) und der Sonnenschirm (ombrellone)
gehören gewissermaßen zu den nationalen Kulturgütern. Auf Ausländer
,
die sich am Strand einfach nur mit einem Handtuch auf Körner oder
Steine fallen lassen, blickt man hier gern von oben herab - und wenn
es nur aus 20 Zentimetern Höhe ist.
Die bequemere Lage hat allerdings ihren Preis. Im landesweiten
Durchschnitt lag die Tagesmiete für zwei Liegen und Sonnenschirm
vergangenes Jahr nach Angaben der nationalen Beobachtungsstelle für
das Badewesen - die gibt es - bei 30 Euro. Nach oben sind den Tarifen
kaum Grenzen gesetzt: In Beach Clubs in der Toskana oder an der
Amalfiküste werden auch mehrere Hundert Euro gezahlt. Viele Familien
sind mit ihren stabilimenti schwerreich geworden.
Strände gehören eigentlich dem Staat
Dabei gehört Italiens Küste eigentlich dem Staat - also allen. Jedoch
ist mehr als die Hälfte der Strände an Privatleute verpachtet, oft
schon seit Jahrzehnten, oft unter der Hand und oft auch zu
Spottpreisen. Manche nennen das Vetternwirtschaft, andere mafiöse
Strukturen.
Im Durchschnitt zahlt ein Pächter für die Konzession etwa 8.200 Euro
pro Jahr. Die Einnahmen liegen um ein Vielfaches höher. Das Centrum
für Europäische Politik (CEP) ermittelte zuletzt einen Jahresumsatz
von durchschnittlich 260.000 Euro pro Bad. Andere Schätzungen reichen
weit darüber hinaus - zumal vermutlich einiges von dem Strandgeld an
der Steuer vorbeigeschleust wird. Die Zeitung «Corriere della Sera»
schätzt den Jahresumsatz der gesamten Branche auf bis zu 30
Milliarden Euro.
Die meisten Italiener haben sich damit abgefunden, dass man für die
Zeit am Meer gehörig bezahlen muss. «Ich kenne das gar nicht anders»,
sagt Giulia Toninelli, eine Beamtin aus Rom, auf ihrer Liege im
«Tibidabo». «Hier war ich mit meinen Eltern, jetzt mit meinen
Kindern. Das hat halt seinen Preis.» Allerdings gibt es auch manche,
die mit dem althergebrachten System nicht mehr einverstanden sind.
Die Schriftstellerin Manuela Salvi wettert über «Strände wie
Legebatterien, in denen die Hühner für ihren Aufenthalt auch noch
zahlen müssen». Bislang halten sich die Proteste jedoch in Grenzen.
Pächterfamilien wollen Pfründe gegen EU-Richtlinie verteidigen
Der Status Quo ist auf andere Weise in Gefahr: durch eine Richtlinie
der EU, mit deren Umsetzung eigentlich schon 2006 hätte begonnen
werden müssen. Demnach müssen die staatlichen Konzessionen für
Strandabschnitte regelmäßig neu ausgeschrieben werden, weil es sich
um öffentlichen Grund handelt - was von den verschiedensten
Regierungen in Rom jedoch immer wieder hinausgeschoben wurde.
Eines der Argumente: Man müsse verhindern, dass künftig am Strand
statt italienischer Familien ausländische Konzerne das Sagen haben -
wie zum Beispiel im Golf von Triest, wo sich vor zwei Jahren der
Energy-Drink-Multi Red Bull den Zuschlag für 120.000 Quadratmeter
sicherte. Im Januar 2025 soll jetzt aber doch landesweit mit
Ausschreibungen begonnen werden.
Enttäuschung über Ministerpräsidentin Meloni
Zu den größten Kritikern der EU-Richtlinie gehörte, als sie noch in
der Opposition saß, die heutige Ministerpräsidentin Meloni. Umso
tiefer ist bei den Strandbad-Betreibern jetzt die Enttäuschung. Der
Präsident des Branchenverbandes Sindacato Italiano Balneari, Antonio
Capacchione, klagt: «Die Regierung hat seit zwei Jahren überhaupt
nichts unternommen. Wir haben acht Briefe mit der Bitte um ein
Treffen geschickt - ohne Antwort. Was außer Streik können wir sonst
noch unternehmen?»
Deshalb nun also der erste «sciopero degli ombrelloni» («Streik der
Sonnenschirme») in Italiens Geschichte - auch wenn einiges noch im
Unklaren liegt. Fest steht, dass die Kassenhäuschen tatsächlich erst
später am Vormittag öffnen sollen. Möglicherweise dürfen Stammgäs
te
Liege und Sonnenschirm aber eigenhändig aufklappen.
Zudem kündigten einige Eigentümer, die in einem anderen Verband
organisiert sind, am Donnerstag an, beim Streik überhaupt nicht
mitzumachen: Man könne die Kundschaft ja nicht für Brüssel oder Rom
bestrafen. So oder so: Am Preis für Liege und Sonnenschirm ändert
sich an diesem Freitag nichts. Es gilt überall der übliche
Tagestarif.