Israelischen Ministern drohen erstmals EU-Sanktionen Von Ansgar Haase, dpa

29.08.2024 19:59

Mit Äußerungen gegen Palästinenser haben israelische Minister zuletzt

weltweit für Entsetzen gesorgt. Der EU-Chefdiplomat will nun, dass
Europa ein Zeichen setzt. Die Bundesregierung zeigt sich offen.

Brüssel (dpa) - In der EU werden erstmals Sanktionen gegen
israelische Regierungsmitglieder geprüft. Chefdiplomat Josep Borrell
legte zu einem Außenministertreffen in Brüssel einen Vorschlag für
Strafmaßnahmen gegen Finanzminister Bezalel Smotrich und
Polizeiminister Itamar Ben-Gvir vor. Ihnen werden
Menschenrechtsverletzungen und Aufstachelung zum Hass vorgeworfen.

Ben-Gvir hatte sich zuletzt unter anderem dafür ausgesprochen,
Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu stoppen, um die dort
herrschende Terrororganisation Hamas zum Aufgeben zu bewegen. 

Ähnlich äußerte sich Finanzminister Smotrich. Er bezeichnete eine
mögliche Blockade von Hilfsgütern bis zur Freilassung aller
israelischen Geiseln der Hamas als moralisch und gerechtfertigt,
selbst wenn dies den Hungertod von zwei Millionen Menschen im
Gazastreifen bedeute. Zugleich räumte er ein, dass die internationale
Gemeinschaft ein solches Vorgehen nicht zulassen würde.

Die Hamas hat nach israelischer Zählung derzeit noch mehr als 100
Geiseln in ihrer Gewalt. Mindestens ein Drittel davon gilt jedoch als
tot. Insgesamt verschleppten palästinensische Terroristen am 7.
Oktober vergangenen Jahres mehr als 250 Menschen aus Israel in das
Küstengebiet. Rund 1.200 Menschen wurden bei dem beispiellosen
Terroranschlag getötet. Israels Armee reagierte mit verheerenden
Angriffen in Gaza, bei denen nach palästinensischen Angaben bereits
mehr als 40.000 Menschen getötet wurden. 

Baerbock schließt deutsche Zustimmung nicht aus

Ob und wenn ja, wann der Vorschlag von Borrell umgesetzt wird, ist
noch unklar. Hintergrund ist, dass Sanktionsbeschlüsse in der
Europäischen Union einstimmig gefasst werden müssen und Länder wie
Deutschland, Tschechien und Ungarn Sanktionsforderungen gegen Israel
bislang eher kritisch gegenüberstanden.

Außenministerin Annalena Baerbock schloss bei dem EU-Treffen
allerdings eine deutsche Zustimmung zu den Plänen nicht aus. Die
Grünen-Politikerin machte deutlich, dass aus ihrer Sicht allein die
gesetzlichen Vorgaben und die Vorwürfe gegen die Politiker
ausschlaggebend sein sollten. Es müsse im Einzelfall geprüft werden,
ob diese für eine Sanktionierung ausreichten, sagte sie.

Borrell kündigte nach den Beratungen an, dass es noch keinen Konsens
gebe, er die Vorbereitungen für einen Sanktionsbeschluss aber weiter
vorantreiben werde. Nach Angaben von Diplomaten äußerten sich neben
Ungarn auch weitere mitteleuropäische Staaten und Italien kritisch zu
seinem Vorschlag. 

Sollten die Sanktionspläne umgesetzt werden, dürften die Betroffenen
nicht mehr in die EU einreisen. Zudem müssten möglicherweise in der
EU vorhandene Vermögenswerte von ihnen eingefroren werden.

Als ein Argument gegen eine Sanktionierung der Minister nennen
Diplomaten in Brüssel die anhaltenden Bemühungen um eine Deeskalation
des Konflikts im Nahen Osten. Vor diesem Hintergrund könne es
kontraproduktiv sein, durch Sanktionen Gesprächskanäle in die
israelische Regierung zu gefährden, heißt es. Bislang hat die EU nur
Sanktionen gegen einige radikale israelische Siedler und deren
Strukturen verhängt. Sowohl Smotrich als auch Ben-Gvir sind
allerdings auch Verfechter der aus Sicht des höchsten UN-Gerichts
illegalen Siedlungspolitik in besetzten Gebieten im Westjordanland. 

Israels Außenminister kritisiert israelfeindliche Elemente

Aus Israel kam scharfe Kritik an dem Vorschlag von Borrell. So warnte
der israelische Außenminister Israel Katz bereits vor dem Treffen vor
möglichen israelfeindlichen Entscheidungen und kritisierte, dass
diese von «anti-israelischen Elementen» vorangetrieben würden.
Angesichts einer Bedrohung Israels durch den Iran und «seine
stellvertretenden Terrororganisationen» müsse die freie Welt an der
Seite Israels stehen und dürfe sich nicht gegen das Land wenden,
kommentierte er.

Borrell entgegnete, einige israelische Minister hätten inakzeptable
Hassbotschaften gegen Palästinenser verbreitet und Dinge
vorgeschlagen, die eindeutig gegen das Völkerrecht verstießen und
eine Aufforderung zum Begehen von Kriegsverbrechen darstellten. Aus
seiner Sicht sollte die EU ohne Tabus ihr Instrumentarium nutzen, um
die Achtung des humanitären Völkerrechts zu gewährleisten.

Druck auf die EU wächst

Die Forderungen nach einem Kurswechsel der EU im Umgang mit Israel
waren zuletzt deutlich lauter geworden. So forderte auch die
Menschenrechtsorganisation Amnesty International kurz vor dem
EU-Außenministertreffen scharfe europäische Sanktionen wegen der
israelischen Siedlungspolitik. 

In einem Brief an die Teilnehmer sprach sich Amnesty International
für ein umfassendes Waffenembargo und ein Verbot von Investitionen in
bestimmte israelische Unternehmen und Banken aus. Zudem empfahl die
Organisation, in der EU den Handel mit Gütern aus israelischen
Siedlungen in besetzten Gebieten zu verbieten. Auch Ost-Jerusalem
solle dabei eingeschlossen werden.

Als Grund für ihre Forderungen nennen die Menschenrechtler das im
Juli veröffentlichte Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH)
zur israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete. In diesem
vertritt das höchste UN-Gericht die Auffassung, dass Israels
Besatzung illegal ist und so schnell wie möglich beendet werden muss.

Israel hatte das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem
im Sechstagekrieg von 1967 erobert und besetzt. Die Palästinenser
beanspruchen diese Gebiete für einen eigenen Staat. 2005 räumte
Israel zwar den Gazastreifen, es kontrollierte aber weiter die
Grenzen zu Land, Luft und im Wasser. Der Gaza-Krieg nach dem
Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 hat die Spannungen noch einmal
deutlich verschärft.