Begrenzte Gaza-Feuerpausen für Polio-Impfungen
30.08.2024 03:44
Eine heikle Mission mitten im Kriegsgebiet: Die Vereinten Nationen
wollen 640.000 Kinder im Gazastreifen vor der Kinderlähmung schützen.
Für die Massenimpfungen brauchen sie vor allem eins.
New York (dpa) - Begrenzte humanitäre Feuerpausen im heftig
umkämpften Gazastreifen sollen die Massenimpfung von Hunderttausenden
Kindern gegen Polio ermöglichen. Israel stimmte nach Angaben der
Vereinten Nationen täglichen Waffenruhen ab Sonntag zu. In drei
Teilen des Küstenstreifens sollen nacheinander an jeweils drei Tagen
die Kämpfe von morgens bis nachmittags eingestellt werden. Der
Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO in Gaza, Rik
Peeperkorn, berief sich dabei auf eine Zusage der für
Palästinenserangelegenheiten zuständigen israelischen Behörde Cogat.
«Es wurde vereinbart, dass die Kampagne schrittweise über drei Tage
hinweg durchgeführt wird. Wir beginnen am ersten September und
beginnen drei Tage lang im zentralen Gazastreifen, gefolgt vom
südlichen Gazastreifen und anschließend im nördlichen Gazastreifen»
,
sagte Peeperkorn. Es sei möglich, dass pro Region noch ein vierter
Tag benötigt werde. Die täglichen humanitären Feuerpausen sollen
morgens um 6.00 Uhr beginnen und am Nachmittag um 15.00 Uhr enden.
«Wir erwarten, dass sich alle Parteien daran halten. Andernfalls ist
es tatsächlich unmöglich, eine richtige Kampagne zu machen, denn man
wird definitiv keine 90 Prozent erreichen», so Peeperkorn weiter.
Nach Einschätzung der WHO wird diese Abdeckung für den neuen oralen
Polioimpfstoffs Typ 2 benötigt, um einen Ausbruch von Kinderlähmung
in dem Gebiet zu verhindern.
Mehr als 640.000 Kinder müssen geschützt werden
Nach der Entdeckung von Polio-Viren im Abwasser hatten die Vereinten
Nationen entschieden, etwa 640.000 Kinder unter zehn Jahren im
Gazastreifen in zwei Runden gegen das Virus zu impfen. Dafür wurden
bereits Impfstoffe für 1,26 Millionen Menschen über den Grenzübergang
Kerem Schalom in den Küstenstreifen transportiert. UN-Vertreter
hatten zuletzt eindringlich Feuerpausen gefordert, um die Impfungen
zu ermöglichen.
Auch die EU hatte den Druck auf Israel erhöht: «Der Gazastreifen war
in den vergangenen 25 Jahren poliofrei. Es ist alarmierend, dass das
Polio-Virus entdeckt wurde», hieß es in einer Stellungnahme am Rande
eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Die deutsche
Außenministerin Annalena Baerbock sagte, die Bundesregierung arbeite
mit Hochdruck mit Partnern vor Ort für eine humanitäre Feuerpause.
Mix aus mobilen Teams und Impfzentren
Die WHO und Partnerorganisationen setzen in dem teilweise komplett
zerstörten Gazastreifen laut Peeperkorn auf eine Mischung aus
Impfzentren und mobilen Teams. Im gesamten Gebiet gebe es 392
Zentren, zu denen Familien gehen könnten. Knapp 300 mobile Teams
würden zusätzlich im Einsatz sein, um den Stoff zu den oft
notleidenden Menschen zu bringen. Insgesamt seien mehr als 2100
medizinische Mitarbeitende dafür im Einsatz. Eine zweite Impfrunde
werde normalerweise vier Wochen nach der ersten durchgeführt, hieß
es.
Seit Beginn des Kriegs nach dem Terrorangriff der Hamas auf das
israelische Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres konnten
viele Babys im Gazastreifen nicht geimpft werden. Die schlimmen
hygienischen Zustände in dem Küstenstreifen, wo häufig zahlreiche
Binnenflüchtlinge auf engstem Raum ausharren müssen und sauberes
Wasser knapp ist, könnten zu einer raschen Ausbreitung der Krankheit
beitragen.
Tausende kranke Palästinenser müssen evakuiert werden
Die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe für den Gazastreifen rief
unterdessen die EU-Staaten auf, sich auch stärker an medizinischer
Hilfe für bereits erkrankte oder verletzte Zivilisten im Gazastreifen
zu beteiligen. «Es gibt eine Liste von über 12.000 palästinensischen
Zivilisten in Gaza, die medizinisch evakuiert werden müssen, weil ihr
Zustand so schlecht ist», sagte Sigrid Kaag.