Chef der ukrainischen Luftwaffe gefeuert - F-16 verloren

31.08.2024 09:30

Erst wenige Wochen hat die Ukraine westliche Jets, und schon ist es
einer weniger. Die offizielle Version eines Absturzes nach
Pilotenfehler wird bezweifelt. Es gibt einen anderen Verdacht.

Kiew/Belgorod (dpa) - Die ukrainische Luftwaffe bekommt nach dem
Verlust eines Kampfjets vom Typ F-16 eine neue Führung. Präsident
Wolodymyr Selenskyj entließ den bisherigen Luftwaffenkommandeur
Mykola Oleschtschuk. Zwar wurde offiziell kein Grund genannt,
allerdings lag der Zusammenhang mit dem Verlust der wertvollen
westlichen Maschine. Der laut Medien in den USA an dem Flugzeugtyp
ausgebildete ukrainische Pilot starb. Kommissarisch wurde Anatolij
Krywonoschko zum Kommandeur bestimmt, wie der Generalstab mitteilte.

«Ich würde wahrscheinlich sagen, dass dies eine Rotation ist, aber es
ist bedauerlich», sagte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem
Umjerow in einem Interview mit dem Sender CNN auf die Frage, ob die
Entlassung mit dem Verlust des Kampfjets zu tun habe. Es handle sich
dabei um zwei «unterschiedliche Angelegenheiten». Umjerow betonte,
dass die Untersuchung zur Ursache noch laufe. «Ich möchte keine
Vermutungen anstellen.»

Erst am Donnerstag hatte der Generalstab bestätigt, dass eine der
wenigen Maschinen F-16 im Einsatz gegen einen massiven russischen
Luftangriff am Montag verloren gegangen sei. Die Rede war von einem
Absturz. Allerdings schlossen ukrainische Abgeordnete und Aktivisten
einen versehentlichen Abschuss durch die eigene Flugabwehr nicht aus.

Bei einem russischen Luftangriff auf die Stadt Charkiw im Nordosten
der Ukraine kamen am Freitag mindestens sieben Menschen ums Leben.
Kurz darauf wurde von der anderen Seite der Grenze aus der russischen
Stadt Belgorod berichtet, dass dort fünf Menschen durch ukrainischen
Beschuss getötet worden seien. 

Auch die Nacht auf Samstag begann für den frontnahen Nordosten der
Ukraine mit Luftalarm. Nach Angaben der Luftwaffe flogen russische
Kampfdrohnen über der Ukraine. Das Land wehrt seit zweieinhalb Jahren
eine großangelegte russische Invasion ab.

Wurde die ukrainische F-16 von eigener Flugabwehr getroffen?

«Ich habe mich entschlossen, den Kommandeur der Luftwaffe der Ukraine
zu entlassen», sagte Selenskyj am Freitag in seiner abendlichen
Videoansprache. Er danke allen Angehörigen der Luftwaffe, die
wirklich Resultate für die Ukraine erzielten. «Das gilt auch für die

Kommandoebene. Wir müssen stärker werden. Und unsere Leute
bewahren.» 

Kurz vor seiner Entlassung kritisierte Oleschtschuk noch eine
Abgeordnete, die die offizielle Version des Absturzes in Zweifel zog.
Sie leiste russischer Propaganda Vorschub, schrieb er und drohte, sie
vor Gericht zu bringen. Der Verlust der Maschine werde aufgeklärt,
auch in Zusammenarbeit mit dem Herstellerland USA. Die
Verteidigungspolitikerin Marjana Besuhla hatte im sozialen Netzwerk X
geschrieben, die Maschine sei wegen fehlender Koordination von einem
ukrainischen Patriot-Flugabwehrsystem getroffen worden. 

Tote in Charkiw wie in Belgorod

In der grenznahen russischen Großstadt Belgorod wurden nach
offiziellen Angaben mindestens fünf Menschen durch Beschuss von der
ukrainischen Seite getötet. Außerdem gebe es mindestens 46 Verletzte,
unter ihnen 7 Kinder, teilte Gebietsgouverneur Wjatscheslaw Gladkow
mit. Weil die russische Armee das Grenzgebiet Belgorod als
Ausgangspunkt ihrer Angriffe auf Charkiw nutzt, wird die Region
häufig von ukrainischer Seite beschossen.

In Charkiw kamen durch einen russischen Luftangriff sieben Menschen
ums Leben, unter ihnen ein 14-jähriges Mädchen. Nach Angaben von
Militärgouverneur Oleh Synjehubow wurden mindestens 97 Verletzte
gezählt, darunter 22 Minderjährige. Gelenkte Fliegerbomben trafen
nach offiziellen Angaben unter anderem ein zwölfstöckiges Wohnhaus,
das teils zerstört wurde. 

«Ein Schlag, den es nicht gegeben hätte, wenn unsere
Verteidigungskräfte die Möglichkeit hätten, russische
Militärflugzeuge dort zu zerstören, wo sie stationiert sind», sagte
Selenskyj in einer Nachricht bei Telegram. Er forderte angesichts der
Zerstörungen einmal mehr die Freigabe weitreichender westlicher
Waffen gegen Ziele in Russland.

USA wollen bei Flugabwehr helfen

Wegen dieser Frage führen Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak und
Verteidigungsminister Umjerow Gespräche in Washington mit den USA.
Umjerow sagte nach einem Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd
Austin im Pentagon, dass die USA die Argumente der Ukrainer
analysierten und er hoffe, gehört worden zu sein. Austin sagte nach
dem Treffen aber vor allem, dass die Flugabwehr der Ukraine gestärkt
werden solle. Dafür wollten sich die Vereinigten Staaten beim
nächsten Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein kommende Woche
starkmachen. 

Der Fernsehsender CNN hatte vorab berichtet, die ukrainische Seite
wolle der US-Regierung auch eine Liste von potenziellen Zielen in
Russland vorlegen. Mit Treffern auf russische Befehlsstellen,
Flugplätze, Munitionslager und Kasernen könnte die Ukraine viele
Attacken schon im Ansatz abwehren. Bislang beschränken die USA den
Einsatz ihrer Waffen gegen Russland auf die Abwehr der russischen
Offensive gegen Charkiw.

Wo bilden die EU-Staaten ukrainische Soldaten aus?

Die EU-Staaten haben sich ein neues Ziel für die Ausbildung
ukrainischer Streitkräfte gesetzt. Nach Angaben des
EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sollen bis Jahresende weitere
15.000 Soldaten in der Europäischen Union trainiert werden. Zusammen
mit den bereits ausgebildeten Soldaten werde man dann auf eine
Gesamtzahl von 75.000 kommen, sagte der Spanier nach einem
Verteidigungsministertreffen in Brüssel.

Weiter keine einheitliche Position gibt es nach Angaben von Borrell
zur Frage, ob ukrainische Soldaten künftig auch in der Ukraine selbst
ausgebildet werden sollten. Mehrere EU-Staaten hatten sich zuvor
offen dafür gezeigt. «Wir müssen militärische und politische
Überlegungen berücksichtigen, aber wir schließen diese Möglichkeit

nicht aus», sagte der schwedische Verteidigungsminister Pål Jonson.
Ein Training in der Ukraine ist eine Sicherheitsfrage für die
Ausbilder aus EU-Staaten. Einige Staaten wiederum wie Polen halten
eine Ausbildung auf ihrem Gebiet für zu aufwendig.