Ukraine wappnet sich für russische Angriffe auf Energieziele
21.09.2024 05:00
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen reist erneut in die Ukraine.
Hauptgesprächsthema ist die Energiesituation vor dem Winter. Kiew
hofft auf mehr Stromlieferungen aus der EU - und auf mehr Geld.
Kiew (dpa) - Die Ukraine bereitet sich auf die Abwehr weiterer
russischer Luftangriffe auf die Energieproduktion vor. «Wir haben
auch die Gefahr besprochen, die wir jetzt vonseiten Russlands für
unsere Stromerzeugung sehen. Wir werden dem entgegenwirken»,
versicherte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen
Videobotschaft. Zuvor hatten Regierungschef Denys Schmyhal und
Energieminister Herman Haluschtschenko unter anderem über
Schutzbauten für Energieanlagen Bericht erstattet.
EU-Kommissionspräsidentin in Kiew
Vor dem nahenden Winter war die Energieversorgung auch Thema bei
Gesprächen mit der nach Kiew gereisten EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen. Selenskyj zufolge wurde eine Vereinbarung über
den Ausbau von Stromimporten aus der EU erzielt. «Das ist das, was
unser Land und unsere Bevölkerung in schwierigen Situationen
definitiv unterstützen wird», sagte der Staatschef. Details nannte er
nicht.
Ukrainischen Angaben nach können derzeit 1,7 Gigawatt aus der EU und
dem südwestlichen Nachbarland Moldau importiert werden. Die Regierung
hatte zuvor eine Erhöhung auf über 2,2 Gigawatt als Ziel genannt. Mit
von der Leyen sei auch über Schritte gesprochen worden, die dabei
helfen sollen, «mindestens ein Viertel unserer Stromerzeugung zu
erhalten».
Außerdem ging es um die weitere EU-Integration des osteuropäischen
Landes. «Wir müssen den Gesprächsprozess zur Mitgliedschaft und die
Vorbereitung der entsprechenden Teile des zukünftigen
(Beitritts-)Abkommens beschleunigen», drängte Selenskyj.
Von der Leyen führte auch Gespräche mit Regierungschef Schmyhal und
Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Einer Regierungsmitteilung
zufolge hofft die ukrainische Führung, dass die EU dem von Russlands
Angriffskrieg zerrütteten Land auch im kommenden Jahr wieder
Finanzhilfen in Höhe von 16 Milliarden Euro überweist. Im laufenden
Jahr seien von den geplanten 16 bereits 12 Milliarden eingetroffen.
Schmyhal habe zudem vorgeschlagen, die Finanzhilfe für sein Land im
EU-Haushalt für 2028 bis 2034 auf 400 Milliarden Euro zu verdoppeln
und ein gesondertes Haushaltsprogramm für die Ukraine einzuführen.
Mit Umjerow eröffnete von der Leyen das EU Defence Innovation Office,
mit dem die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich zwischen EU und der
Ukraine intensiviert werden soll. Genannt wurden vor allem die
Waffenproduktion und Entwicklungen im IT-Bereich.
Spekulationen über Entlassungen im Verteidigungsministerium
Im ukrainischen Verteidigungsministerium laufen derweil offenbare
weitere Personalumstellungen. Übereinstimmenden Medienberichten
zufolge wurden zwei Stellvertreter des Militärgeheimdienstchefs
Kyrylo Budanow durch Verteidigungsminister Umjerow entlassen worden.
Die Entlassung sei bereits vergangene Woche ohne Rücksprache mit
Budanow erfolgt. Initiator der Personalie soll Präsidentenbürochef
Andrij Jermak sein, der damit den Chef des Militärgeheimdienstes
schwächen wolle, hieß es in den Berichten.
Dem Nachrichtenportal «Ukrajinska Prawda» zufolge soll Umjerow zudem
etwa 20 Generäle und hochrangige Mitarbeiter entlassen wollen oder
bereits geschasst haben. Weder Umjerow noch Budanow kommentierten die
Berichte.
Unterdessen berichtet das Verteidigungsministerium von angeblich
steigenden Rekrutierungszahlen. «Im Schnitt werden im Land monatlich
6.500 Freiwillige rekrutiert», wurde der Bevollmächtigte des
Ministeriums, Olexij Beschewez, nach der Eröffnung eines
Rekrutierungszentrums im zentralukrainischen Tscherkassy zitiert. Vom
Koch bis zum Drohnenpiloten seien aktuell mehr als 10.000 freie
Stellen in Armee, Nationalgarde, Grenzschutz ausgeschrieben.
Insgesamt hat das Ministerium nach eigenen Angaben bereits 38
derartiger Rekrutierungszentren landesweit eingerichtet. Zu den
allgemeinen Einberufungszahlen machte das Ministerium keine Angaben.
Aufnahmen von gewaltsamen Rekrutierungen
Gleichzeitig machen in sozialen Medien täglich weiter Aufnahmen von
gewaltsamen Rekrutierungen die Runde, in denen Männer von
Uniformierten mit Schlägen und Tritten traktiert und in Kleinbusse
geschleift werden. Oft solidarisieren sich zufällig anwesende
Passanten mit den Opfern. Dennoch berichten Medien immer wieder von
einem akuten Soldatenmangel an der Front nach mehr als zweieinhalb
Jahren Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Seit Mai gilt zwar
ein verschärftes Mobilmachungsgesetz, doch werden aktuell nur Männer
im Alter zwischen 25 und 60 Jahren für den Kriegsdienst eingezogen.