Ausländer ohne Stimme: Die Wahlrechtslücke in Österreich Von Sabina Crisan, dpa

26.09.2024 05:00

Während Deutschland seine Einbürgerungsregeln lockert, wird
Österreich immer restriktiver. Dabei ist jeder Fünfte ausländischer
Staatsbürger. Spielt das für die kommenden Wahlen eine Rolle?

Wien (dpa) - Wann hat man das Gefühl, wirklich in einem fremden Land
angekommen zu sein? Geschieht es, wenn man einheimische Freunde
findet, einen festen Arbeits- oder Mietvertrag hat oder nach dem
ersten Gespräch in der Landessprache? 

Für viele Migranten stellt sich dieses Ankommensgefühl erst ein, wenn
sie endlich die Staatsbürgerschaft des Landes erhalten haben.
«Inklusion geht Hand in Hand mit der Staatsbürgerschaft. Wer sie
erhält, fühlt sich politisch und gesellschaftlich in das Land
eingebunden», sagt Sieglinde Rosenberger, die an der Universität Wien
zu Migration und österreichischer Politik forscht. 

Wenn am Sonntag in Österreich ein neues Parlament gewählt wird, haben
1,5 Millionen Einwohner mangels Staatsbürgerschaft keine Stimme, wie
ein Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in
einer Publikation hervorhebt. Die Alpenrepublik ist äußerst
zurückhaltend bei der Vergabe von Pässen und kennt in der Regel auch
keine doppelte Staatsbürgerschaft. Aktuell ist jeder fünfte über
16-jährige Bürger des Landes - darunter viele Deutsche und viele
Steuerzahler - ohne Wahlrecht. 

Expertin: Einbürgerung ist wie Krönung der Integration

Wie die Politikwissenschaftlerin Rosenberger anmerkt, ist das
Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich, anders als in Deutschland, im
Laufe der Zeit restriktiver geworden, «der mehrheitliche,
rechtskonservative politische Diskurs ist, dass die
Staatsbürgerschaft die Krönung einer gelungenen Integration sein
soll». Das hänge teilweise auch mit der steigenden Popularität der
FPÖ zusammen, sagt Rosenberger. Das bedeute, dass die Einbürgerung
nicht als Teil der allgemeinen Integration gesehen werde, sondern
«erst am geglückten Ende gewährt wird», betont die Professorin an d
er
Universität Wien. 

Seit Juni ist in Deutschland das neue Staatsangehörigkeitsrecht in
Kraft. Der Anspruch auf Einbürgerung besteht nun nach fünf Jahren,
wenn der Antragsteller alle Bedingungen erfüllt. Finanziell muss man
nachweisen, dass man für sich und seine Angehörigen sorgen kann -
einen festen Betrag dafür gibt es nicht. In Österreich ist die
Situation anders. Bei der regulären Einbürgerung muss man zehn Jahre
ununterbrochenen Aufenthalt im Land nachweisen. Ein Auslandssemester
könnte dazu führen, dass die Aufenthaltszeit neu berechnet wird. 

Die größte Hürde für viele dürfte jedoch der finanzielle Aspekt d
er
Staatsbürgerschaft sein. Der Antragsteller muss über ein regelmäßig
es
Einkommen verfügen, dessen Höhe bestimmten Sätzen entsprechen muss,
wobei laufende Kosten wie Miete berücksichtigt werden. So müssen
Alleinstehende etwa 1200 Euro und Paare fast 2000 Euro netto pro
Monat zur Verfügung haben. 

«Es ist nicht fair, keine Stimme zu haben»

Dajena Drinic verließ ihr Heimatland Albanien, um ein Jobangebot in
Wien anzunehmen. Die Web-Entwicklerin liebt ihr Land, wollte aber
bessere Möglichkeiten haben. Zehn Jahre später ist sie in der
Hauptstadt heimisch geworden, lernte ihren künftigen Mann auf einem
Weihnachtsmarkt kennen. 

Ihr dreieinhalbjähriger Sohn hat sowohl die albanische als auch die
österreichische Staatsbürgerschaft über seinen Vater. Drinic ist noch

keine Österreicherin. Für sie mache es keinen großen Unterschied,
dank ihres Daueraufenthaltstitels kann sie im Land arbeiten und
wohnen. «Der einzige Unterschied, den die Staatsbürgerschaft für mich

macht, ist die Wahlstimme», sagt die 36-Jährige. 

«Ich finde das nicht fair, weil ich hier auch Steuern zahle, hier
lebe und vorhabe, hier zu bleiben.» Drinic ist in einer kleinen Stadt
im Südosten Albaniens geboren. 40 Kilometer entfernt ist
Griechenland. Wäre sie da geboren, wäre sie EU-Bürgerin und hätte e
s
leichter, sinniert sie. 

In ihrem Heimatland wählt sie nicht. «Ich wohne dort nicht, also
finde ich es nicht fair, dort zu wählen. Dann müssten die Menschen in
Albanien mit meiner Entscheidung leben, und das halte ich nicht für
richtig», betont Drinic. Dabei ist sie mit einem politischen
Bewusstsein aufgewachsen. «Für meine Familie war es sehr wichtig,
ihre Stimme abzugeben. Am Wahltag waren wir immer alle da, schön
angezogen.» 

Doch Drinic möchte den Einbürgerungsprozess beginnen - schließlich
geht es auch um die Zukunft ihres Sohnes. «Mein Einfluss mag klein
sein. Aber ich denke, es ist mein Recht, auch hier eine Stimme für
die Zukunft zu haben.» 

Steigende Bevölkerung und doch weniger Wahlstimmen

Während die dauerhafte Wohnbevölkerung in Österreich stetig wächst,

schrumpft die wahlberechtigte Bevölkerung - auch aufgrund einer
alternden Gesellschaft, wie Rosenberger betont. Viele derjenigen ohne
Staatsbürgerschaft seien aber in Österreich geboren. «Das wird oft
ignoriert», sagt sie. Es werde zunehmend zu einem Problem, wenn so
viele junge Menschen, die hier geboren sind, kein Wahlrecht besitzen.
«Dass sich für die jüngere Generation etwas ändern muss, kommt sehr

langsam in den politischen Diskurs.» 

Für politische Parteien sei es letztlich risikolos, auf der Basis von
Migration negativ zu mobilisieren. Denn es bestehe keine Aussicht,
dass die migrantische Bevölkerung zeitnah tatsächlich wahlberechtigt
sein werde. Es gebe insbesondere bei den rechten Parteien kein
Interesse, das Wahlrecht auszuweiten, sagt Rosenberger.