Kampf um die Seele der Tory-Partei: Der lange Weg nach rechts Von Christoph Meyer, dpa

02.10.2024 15:31

Die Partei Winston Churchills und Margaret Thatchers ist nach der
vernichtenden Wahlniederlage auf einem Tiefpunkt angelangt. Droht den
britischen Konservativen ein Ausverkauf an Rechtspopulisten?

Birmingham (dpa) - «Großbritanniens Tories sind die erfolgreichste
Partei der Welt» - titelte das Wochenmagazin «Economist» vor einigen

Jahren, als Ex-Premier Boris Johnson als strahlender Sieger aus der
Wahl hervorging. «Get Brexit Done» (Brexit durchziehen) lautete der
Slogan, der ihm zum Triumph verhalf. Johnson veröffentlicht in diesen
Tagen seine Memoiren.

Fünf Jahre später sieht es für die Partei Winston Churchills und
Margaret Thatchers mau aus. Mit nur 121 Abgeordneten hatten die
Konservativen bei der Parlamentswahl im Juli so schlecht
abgeschnitten wie noch nie in ihrer bis in die 1830er-Jahre
zurückreichenden Geschichte. Der scheidende Parteichef und Ex-Premier
Rishi Sunak ließ sich bei der Parteikonferenz in dieser Woche in
Birmingham kaum blicken. 

Vier Kandidaten wollen die Partei führen

Bei der Konferenz geht es darum, wer die Partei in die Zukunft führt.
Doch welches Rezept kann die Tories wieder in den Regierungssitz
Downing Street bringen? Welches führt sie möglicherweise noch weiter
in die Krise? Darum tobt hinter den Kulissen ein gewaltiger
Richtungsstreit.

Vier Bewerberinnen und Bewerber sind noch im Rennen:
Ex-Migrationsstaatssekretär Robert Jenrick, Ex-Wirtschaftsministerin
Kemi Badenoch, James Cleverly, der als Innen- und als Außenminister
gedient hat, sowie Tom Tugendhat, Ex-Staatssekretär für Sicherheit.
Bei zwei weiteren Wahlrunden innerhalb der Fraktion in der kommenden
Woche sollen zwei davon ausscheiden. Dann entscheiden die Mitglieder.

Die Parteibasis steht überwiegend weit rechts

Dabei geht es nach Ansicht des Ex-Bürgermeisters der Metropolregion
Birmingham, Andy Street, um nichts weniger als die Seele der Partei.
Er beschwört seine Parteifreunde, sich gegen den Trend zu stemmen,
Rechtspopulisten nach dem Mund zu reden. «Wir führen dieses Gespräch

am Tag nach den Wahlergebnissen in Österreich. Wissen Sie, was in
Deutschland passiert? Sie können das Risiko alle sehen», mahnt er.

Politikprofessor Anand Menon vom King's College in London hält diese
Befürchtung für berechtigt: «Ich denke, das sehen wir in ganz Europa.

Wenn man versucht, sich der extremen Rechten anzupassen, verliert
man», sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Doch die Zeichen stehen auf Rechtsruck. Denn obwohl viele
Tory-Abgeordnete noch immer als moderat gelten, steht die Parteibasis
überwiegend weit rechts.

Jenrick setzt auf Wiederholung der Brexit-Strategie

Jenrick liegt nach ersten Auswahlrunden in der Fraktion vorn. Der
einst relativ moderate Politiker hat seine Mitbewerber alle rechts
überholt. Er setzt auf eine Wiederholung der Brexit-Strategie. «Wir
leben in einem Zeitalter der Masseneinwanderung», sagt er vor
Parteimitgliedern. Das müsse aufhören. Und er hat eine einfache
Antwort parat: den Austritt aus der Europäischen
Menschenrechtskonvention. 

Der 42-Jährige hat den Blick vor allem auf Wähler gerichtet, die für

Reform UK gestimmt haben, die Partei des Rechtspopulisten und
Brexit-Vorkämpfers Nigel Farage. Die Angst vor Farage hatte die
Tories schon in das folgenschwere Brexit-Referendum getrieben. 

Jenrick schloss zeitweise selbst eine Aufnahme des Reform-UK-Chefs in
seine Partei nicht aus: Ein gefährliches Spiel, denn Farage macht
keinen Hehl daraus, dass er die Konservativen am liebsten übernehmen
würde - und er gilt als charismatischer als jeder der vier Kandidaten
für das Amt des Tory-Parteichefs.

Tugendhat will Wähler von allen Seiten anziehen

Am anderen des Spektrums steht der als Außenseiter geltende Tom
Tugendhat, ein einstiger Brexit-Gegner und Veteran, der im Irak und
Afghanistan gedient hat. «Meine Aufgabe ist es, die Konservative
Partei zu reformieren, nicht zur Reform-Partei zu werden», sagt er.
Die Partei müsse Wähler von allen Seiten des politischen Spektrums
zurückgewinnen.

Wahlanalysen und Umfragen bestätigen das. Politikprofessor Tim Bale
von der Queen Mary University in London sagt den Tories für den Fall
eines weiteren Rechtsrucks voraus, dass sie ein Jahrzehnt von der
Macht ausgeschlossen sein könnten.

Zwischen Jenrick und Tugendhat stehen die ebenfalls weit rechts
positionierte Kemi Badenoch und der pragmatische und nahbar wirkende
James Cleverly. Mit ihm, so scheint es, wäre ein Abdriften in den
Rechtspopulismus noch abzuwenden - einer möglichen Zusammenarbeit mit
Farage erteilte er eine klare Absage. Britischen Medien zufolge
konnte er bei der Parteikonferenz am ehesten punkten. Seine von Humor
und einfachen Botschaften geprägte Rede kam beim Publikum an. Doch ob
er es in die Runde der letzten Zwei schaffen wird, bleibt ungewiss.
Sollten Jenrick oder Badenoch als Sieger aus dem Rennen um die
Parteiführung hervorgehen, scheint der Weg der Partei vorgezeichnet.