«Bosman 2.0»? EuGH urteilt im FIFA-Fall über Transferregeln Jan Mies und Regina Wank, dpa
04.10.2024 14:27
Das höchste europäische Gericht urteilt, dass einige
Transfervorschriften der FIFA gegen «Unionsrecht verstoßen». Das
könnte weitreichende Folgen für den Transfermarkt haben.
Luxemburg (dpa) - Ein «wegweisendes Urteil»? Eine «Revolution» fü
r
das Transfersystem, gar ein «Bosman 2.0»? Das Urteil des höchsten
europäischen Gerichts im Fall des früheren französischen Profis
Lassana Diarra hat im Weltfußball ein enormes Echo hervorgerufen.
Während der betroffene Weltverband FIFA seine Statuten im Kern sogar
bestätigt sieht, sehen die Kritiker der Regularien weitreichende
Veränderungen kommen. Wer hat recht?
Was steht im EuGH-Urteil?
Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass «einige FIFA-Bestimmungen
über internationale Transfers von Berufsfußballspielern» gegen das
Unionsrecht verstoßen. Konkret geht es um den Fall, wenn ein Spieler
seinen Arbeitsvertrag vorzeitig «ohne triftigen Grund» kündigt - so
war es Diarra von seinem Ex-Club Lokomotive Moskau vorgeworfen
worden. Laut FIFA-Regeln wird dann eine Strafzahlung fällig, auch
eine Sperre ist möglich. Diarra sollte damals, im Jahr 2014, 10,5
Millionen Euro zahlen. Ein entscheidender Punkt: Für die Strafzahlung
haftet aktuell auch der Verein, der den Spieler verpflichten möchte.
Laut EuGH gehen diese Vorschriften zu weit. Konkret: «Diese
Bestimmungen belasten diese Spieler und die Vereine, die sie
einstellen möchten, nämlich mit erheblichen rechtlichen,
unvorhersehbaren und potenziell sehr großen finanziellen sowie
ausgeprägten sportlichen Risiken.» Das passt sowohl mit dem Recht des
Spielers auf die Freizügigkeit als Arbeitnehmer als auch mit dem
Wettbewerbsrecht nicht zusammen, wie das Gericht laut
Pressemitteilung urteilte.
«Es geht nicht darum, dass der Spieler dann nicht mehr mit Sanktionen
belegt werden kann, sondern um die Haftung für den neuen Verein»,
sagte Paul Lambertz, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sportrecht,
der
Deutschen Presse-Agentur. Eine mögliche Folge: Die FIFA muss in ihren
Statuten den Paragrafen ändern, laut dem auch der neue Club in
Haftung genommen wird.
Was sagen die Beteiligten?
Diarra und dessen Anwälte hatten den Fall ins Rollen gebracht und die
FIFA und den belgischen Fußballverband auf Schadenersatz und
Verdienstausfall in Höhe von sechs Millionen Euro verklagt. Sein
Wechsel nach Belgien zu Sporting Charleroi war nach dem Zerwürfnis in
Moskau nicht zustande gekommen. Der Fall beschäftigt denn Weltfußball
seit Jahren, nach Moskau war Diarra 2013 gewechselt, ein Jahr später
folgte der Bruch.
Die Anwälte des einstigen Nationalspielers feierten laut
Pressemitteilung einen «großen Sieg». Die Kanzlei «Dupont - Hissel
»
war einst Hauptbeteiligter, als durch ein Urteil im Fall von
Jean-Marc Bosman die Ablöse nach Ablauf der Vertragslaufzeit gekippt
war. Die Spielergewerkschaft Fifpro, die ebenfalls für Diarra
eintrat, teilte mit, der EuGH habe ein «wichtiges Urteil zur
Regulierung des Arbeitsmarktes im Fußball gefällt, das die Landschaft
des Profifußballs verändern wird».
Die FIFA schrieb dagegen, sie sei «davon überzeugt, dass die
Rechtmäßigkeit der wichtigsten Grundsätze des Transfersystems durch
das heutige Urteil erneut bestätigt worden ist». Es würden lediglich
zwei Absätze von zwei Artikeln des FIFA-Reglements infrage gestellt.
Das Urteil würde jetzt zunächst analysiert werden. In dem 102 Seiten
langen FIFA-Transferdokument werden insgesamt 29 Artikel aufgeführt.
Welche Auswirkungen hat das Urteil?
«Bosman 2.0 sehe ich nicht. Die Sanktionen für den Spieler sind ja
weiterhin in Ordnung, wenn Verträge ohne triftigen Grund gekündigt
werden», sagte Lambertz. In England schrieb die Zeitung «Guardian»
von einem wegweisenden Urteil. Die FIFA werde sich «nun ernsthaft
fragen müssen, wie sie ihre Regeln in Zukunft anpassen kann, oder ob
sie es überhaupt kann». In der italienischen «Gazzetta dello Sport»
stand, das Urteil könnte für die Revolution sorgen und dazu führen,
dass Spieler einen Verein unabhängig von der Länge des Vertrages
verlassen.
Der konkrete Fall um Diarra wird nun zunächst an das belgische
Gericht zurückgegeben, das den EuGH angerufen hatte. Das Urteil des
höchsten europäischen Gerichts, das am Freitag nicht vollständig
veröffentlicht wurde, ist aber bindend.
Ob die Verträge im Fußball, die befristet sind und selten Klauseln
für einen ordentlichen Kündigungsgrund enthalten, aber grundsätzlich
verändert werden, ist offen. Das Gericht urteilte auch, dass
Beschränkungen der Freizügigkeit von Berufsfußballspielern durch das
Ziel gerechtfertigt sein können, dass die Wettbewerbe funktionieren -
weil so eine gewisse Beständigkeit in den Mannschaften der
Profifußballvereine aufrechterhalten wird. Im vorliegenden Fall
Diarra «scheinen die fraglichen Bestimmungen jedoch (...) in
mehrerlei Hinsicht über das hinauszugehen, was zur Erreichung dieses
Ziels erforderlich ist».
Die Deutsche Fußball Liga teilte mit, die «angegriffenen
FIFA-Regularien, die als nicht europarechtskonform angesehen werden,
betreffen unmittelbar nur internationale Transfers». Nach deutschem
Arbeitsrecht könnten befristete Arbeitsverträge grundsätzlich nur aus
wichtigem Grund gekündigt werden. Die FIFA sei «nun angehalten, auf
Grundlage der Urteilsbegründung und in Konsultation mit Ligen und
Spielergewerkschaften Änderungen an den internationalen
Transferregularien zu erarbeiten».