EU-Staaten machen Weg frei für Auto-Zölle gegen China Von Marek Majewsky und Martina Herzog, dpa
04.10.2024 15:05
Die Ampel-Koalition wurde sich wieder nicht einig. Am Ende
entscheidet Kanzler Scholz, dass Deutschland neue EU-Autozölle gegen
China ablehnt. Am Brüsseler Abstimmungsergebnis ändert das aber
wenig.
Brüssel/Berlin (dpa) - Die EU kann trotz Widerstands aus Deutschland
Zusatzzölle auf Elektroautos aus China erheben. Es hat sich keine
ausreichende Mehrheit der EU-Staaten gegen das Vorhaben
ausgesprochen, wie mehrere EU-Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur
bestätigten. Es gab allerdings auch kein klares Votum für die Zölle.
Damit kann die EU-Kommission entscheiden, die Abgaben in Höhe von bis
zu 35,3 Prozent einzuführen. Deutsche Autobauer reagierten besorgt
und hoffen nun auf eine Verhandlungslösung. Die chinesische Regierung
will trotz des Votums in Brüssel an Verhandlungen festhalten.
EU-Kommission wirft Peking unfaire Subventionen vor
Die Europäische Kommission hatte die Zusatzzölle angekündigt, nachdem
eine Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, dass Peking E-Autos
mit Subventionen fördere, die den Markt in der EU verzerrten. Ob die
Einfuhrzölle innerhalb des nächsten Monats in Kraft treten werden,
liegt in der Hand der Kommission. Wenn aber noch rechtzeitig eine
Lösung mit China am Verhandlungstisch erreicht wird, können die Zölle
gestoppt werden.
Deutschland konnte sich nicht mit seiner Position durchsetzen. Das
bevölkerungsreichste EU-Land stimmte in Brüssel zwar gegen die Zölle.
Um diese verhindern zu können, hätte sich aber eine Mehrheit der
EU-Staaten gegen das Vorhaben aussprechen müssen, die zusammen
mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.
Mit einer einfachen Mehrheit hätten die EU-Staaten die Kommission
zumindest dazu bringen können, noch einen Vermittlungsausschuss
einberufen zu müssen. Aber auch diese Mehrheit kam nicht zustande.
Nach Angaben aus Diplomatenkreisen stimmten am Ende zehn EU-Staaten
für die Maßnahme, zwölf enthielten sich. Lediglich fünf sprachen si
ch
demnach offen gegen die Zölle aus. Dabei repräsentieren die Gegner
der Abgaben den Angaben zufolge gut 20 Prozent der EU-Bevölkerung.
Scholz spricht ein Machtwort
Auch die Bundesregierung war in dem EU-Zollstreit uneins, bis Kanzler
Olaf Scholz (SPD) kurz vor der Abstimmung auf Ablehnung entschieden
hatte. Bei den Koalitionspartnern von Grünen und FDP wurde das als
Ausübung seiner Richtlinienkompetenz verstanden. Das Bundespresseamt
wollte sich auf Anfrage nicht zu der Abstimmung äußern.
Laut Grundgesetz bestimmt der Kanzler in der Bundesregierung die
Richtlinien der Politik. Formell wird diese Richtlinienkompetenz aber
nur äußerst selten ausgeübt. Scholz machte von dieser Option im
Streit zwischen FDP und Grünen über die AKW-Laufzeiten formell
Gebrauch, indem er einen Brief an sein Kabinett schrieb.
In der Ampel-Koalition drangen die FDP-geführten Ministerien für
Finanzen und für Verkehr auf ein deutsches Nein in Brüssel. Auch
Scholz äußerte sich kritisch zu Strafzöllen. Die grün geführten
Wirtschafts- und Außenministerien hatten dafür plädiert, sich bei der
Abstimmung in Brüssel zu enthalten, um weiter nach einer
Verhandlungslösung mit China zu suchen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena
Baerbock (beide Grüne) fordern eine Verhandlungslösung. Dafür sei die
volle Kraft der Europäischen Union nötig. «Gemeinsam ist Europa
stark, zerstritten wird es Spielball von anderen. Und wenn Europa
nicht geschlossen reagiert, geht Chinas aggressiver Industriekampf
auch in anderen Branchen weiter.»
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge warnte: «Wir dürfen
nicht einfach zuschauen, wie europäische Unternehmen durch
Dumping-Produkte unter Druck gesetzt werden. Das Nein von Olaf Scholz
ist wirtschaftspolitisch eine falsche Entscheidung.»
Finanzminister Christian Lindner warnte vor einer Verschärfung der
handelspolitischen Auseinandersetzung. Die EU-Kommission von
Präsidentin Ursula von der Leyen sollte trotz des Votums keinen
Handelskrieg auslösen, schrieb der FDP-Politiker auf «X». «Wir
brauchen eine Verhandlungslösung.»
Besorgnis in der deutschen Wirtschaft
Auch deutsche Autobauer pochen auf eine Verhandlungslösung. Der Chef
von BMW, Oliver Zipse, etwa warnte: «Die heutige Abstimmung ist ein
fatales Signal für die europäische Automobilindustrie.»
Wirtschaftsverbände äußerten sich ähnlich.
«Der Beschluss zu den Ausgleichszöllen im Markt für Elektroautos darf
auf keinen Fall das Ende der Gespräche bedeuten», betonte die
Hauptgeschäftsführerin des Industrieverbands BDI, Tanja Gönner. Die
Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnte, für die
exportorientierte deutsche Wirtschaft blieben Extra-Zölle nicht ohne
Folge. «Zwar könnte durch die Zölle auch die Produktion in der EU
angeregt werden, doch drohen zunächst höhere Preise für die
Verbraucher und ein gewisser Kaufkraftverlust», erklärte
DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier.
China setzt weiter auf Verhandlungen
China will an Verhandlungen festhalten. «China hofft, dass die EU
erkennt, dass die Erhebung von Zöllen kein Problem löst, sondern nur
das Vertrauen und die Entschlossenheit chinesischer Unternehmen
erschüttern und behindern wird, in die EU zu investieren und mit ihr
zu kooperieren», teilte das Pekinger Handelsministerium mit. Beide
Seiten hätten in den Verhandlungen der vergangenen Wochen ihre
Bereitschaft zur Lösung zum Ausdruck gebracht. Technische Teams
beider Seiten würden die Gespräche am 7. Oktober fortsetzen.
Experte: Auch China hat etwas zu verlieren
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW),
Marcel Fratzscher, hält den Widerstand der Wirtschaft für falsch.
Dieser ziele zu stark auf kurzfristige Gewinne ab. Die EU müsse ihren
Wirtschaftsstandort schützen. «Es wäre ein fataler Fehler, wenn es
die EU ähnlich wie in der Solarbranche zuließe, dass chinesische
Produkte die europäischen vom Markt verdrängen.»
Bei einer Eskalation des Handelskonflikts würde aber wohl auch China
verlieren, das stark auf Exporte in die EU angewiesen ist, wie Jürgen
Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) betonte.
«Abhängigkeiten bestehen auf beiden Seiten.» Zumal sich der US-Markt
immer stärker verschließe.
Zölle gegen China würden ein hohes Risiko bergen, sagte
SPD-Fraktionsvize Achim Post. Es sei richtig, dass die
Bundesregierung auf Betreiben von Scholz mit Nein gestimmt habe.
FDP-Fraktionsvize Michael Link betonte, es seien harte Verhandlungen
mit China nötig und eine Reduzierung der Abhängigkeit - das gelinge
aber nicht über Nacht.
Aus der Union kam ein gemischtes Echo. Fraktionsvize Johann Wadephul
(CDU) warnte in den Zeitungen der Mediengruppe Bayern vor
Protektionismus. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im
Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), mahnte hingegen zur Geschlossenheit in
der EU und warf der Bundesregierung Wankelmütigkeit vor.