Scholz kündigt Industriegipfel an - Wahlkampfduell mit Merz Von Michael Fischer, Jörg Blank, Carsten Hoffmann und Fatima Abbas, dpa

16.10.2024 17:15

Deutschland steckt ein Jahr vor dem Wahltermin mitten im
Bundestagswahlkampf. Dafür ist eine Regierungserklärung des Kanzlers
im Bundestag der Beleg.

Berlin (dpa) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Bundestag eine
industriepolitische Offensive angekündigt und Unionsfraktionschef
Friedrich Merz scharf angegriffen. Noch vor Ende des Monats will der
SPD-Politiker Unternehmensvertreter, Gewerkschaften und Verbände zu
einem Industriegipfel ins Kanzleramt einladen, um über Wege aus der
Wirtschaftsflaute zu sprechen. «Das, was dabei rauskommt, werde ich
diesem Parlament vorschlagen, auch auf den Weg zu bringen, damit es
vorangeht in Deutschland.»

Scholz verlangt von Merz Respekt vor Arbeitnehmern

Vom CDU-Vorsitzenden Merz verlangte Scholz Respekt vor denjenigen,
die arbeiteten und die von der Ampel immer wieder gezielt entlastet
würden. «Respekt vor denen, die arbeiten, heißt übrigens nicht, das
s
man sie alle jeden Morgen einmal als faul beschimpft, wie das in der
Union offenbar Mode geworden ist», rief der Kanzler und fügte hinzu:
«Herr Merz kann gar nicht aus dem Bett steigen, ohne einmal zu sagen:
Hier wird zu wenig gearbeitet.»

Merz: «Fast schon verzweifelte Wahlkampfrede»

Merz warf Scholz im Gegenzug vor, den Bundestag für Wahlkampf zu
missbrauchen. Statt einer Regierungserklärung zum EU-Gipfel habe das
Parlament eine «vorgezogene, fast schon verzweifelte Wahlkampfrede»
des Bundeskanzlers gehört. Dieser stehe «mit dem Rücken zur Wand und

mit den Füßen am Abgrund». Merz warf Scholz vor allem vor, kein Wort

zur Migration gesagt zu haben.

«Neue industriepolitische Agenda» 

Anlass für die Regierungserklärung des Kanzlers ist der EU-Gipfel am
Donnerstag und Freitag in Brüssel, bei dem es unter anderem um die
Wettbewerbsfähigkeit Europas geht. In Deutschland müsse besonders um
die Industrie gekämpft werden, sagte Scholz. Deutschland sei ein
Industrieland und der «Verlockung vieler anderer nicht erlegen, die
gesagt haben: Industrie kann man abschreiben, Finanzplätze sind das
Einzige, was man braucht».

Darum müsse man jetzt zusammen mit der Industrie, an der Millionen
Arbeitsplätze hingen, um den Wohlstand des Landes kämpfen. Über das
hinaus, was die Ampel-Regierung bereits auf den Weg gebracht habe,
wolle er «eine neue industriepolitische Agenda» auf die Beine
stellen, von der alle profitierten. Diese soll bei dem bevorstehenden
Gipfel vereinbart werden.

Kanzler verspricht Israel Waffen

Beim EU-Gipfel wird es auch um die Kriege im Nahen Osten und in der
Ukraine gehen. In der aufgeheizten Debatte über die Waffenlieferungen
an Israel machte Scholz erneut ein klares Versprechen: «Es gibt
Lieferungen, und wird auch immer weitere Lieferungen geben. Darauf
kann sich Israel verlassen», sagte er. Das von der Terrormiliz Hamas
angegriffene Land müsse in der Lage gehalten werden, sich zu
verteidigen. 

Zwischen März und Mitte August hatte die Bundesregierung keine
Lieferungen von Kriegswaffen mehr an Israel genehmigt. Ob das aktuell
der Fall ist, ist unklar. 

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla kritisierte die von Scholz
angekündigten weiteren Waffenlieferungen. Damit akzeptiere der
Kanzler «die Entmenschlichung aller zivilen Toten auf beiden Seiten.
Sie tragen nicht zur Deeskalation bei, sondern gießen immer wieder Öl
ins Feuer», warf der Partei- und Fraktionschef der Bundesregierung im
Bundestag vor.

Wann telefoniert Scholz mit Putin?

Der Ukraine sicherte Scholz zu, dass Deutschland neben den USA der
wichtigste Unterstützer im Abwehrkampf gegen Russland bleiben wird.
«Wir unterstützen die Ukraine und werden das so lange tun, wie das
notwendig ist.»

Der Kanzler bekräftigte auch seine Bereitschaft zum Gespräch mit dem
russischen Präsidenten Wladimir Putin über einen gerechten Frieden in
der Ukraine. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe
erklärt, es solle eine weitere Friedenskonferenz geben, auch unter
Beteiligung des russischen Präsidenten, sagte der SPD-Politiker.
«Deshalb ist es auch richtig, dass, wenn gefragt wird, werden wir
auch mit dem russischen Präsidenten sprechen, wir sagen: Ja, auch das
ist der Fall.» 

Merz fordert Taurus als Druckmittel

Merz warf dem Kanzler erneut Zögerlichkeit vor. «Sie sind auch
persönlich mit Ihrer Haltung dafür verantwortlich, dass (...) die
Ukraine gegen Putin mit einer Hand auf dem Rücken kämpfen muss. Das
geht so nicht weiter», sagte der Unionsfraktionschef. «Herr
Bundeskanzler, es wird Zeit, dass Sie, es wird auch Zeit, dass wir
unsere Angst überwinden vor Putin, um die Grausamkeiten in der
Ukraine jetzt wirklich gemeinsam zu beenden.» 

Lenke Putin nicht ein, müsse diesem «gesagt werden: Wenn er nicht
innerhalb von 24 Stunden aufhört, die Zivilbevölkerung in der Ukraine
zu bombardieren, dann müssen aus der Bundesrepublik Deutschland auch
Taurus-Marschflugkörper geliefert werden», fügte Merz hinzu. Damit
könnten die Nachschubwege zerstört werden, die Moskau nutze, um die
Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren. Scholz ist bisher
strikt gegen eine Lieferung der besonders durchschlagskräftigen und
reichweitenstarken Taurus-Marschflugkörper.