Bei EU-Gipfel droht Ärger um Migrationspolitik
17.10.2024 04:35
Die hitzigen Diskussionen um die EU-Asylpolitik reißen trotz der
Einigung auf eine große Reform nicht ab. Kommt es beim Oktober-Gipfel
der Staats- und Regierungschefs erneut zu einem Eklat?
Brüssel (dpa) - Der Oktober-Gipfel der EU-Staaten droht von neuem
Streit über die Asylpolitik überschattet zu werden. Unterhändler der
Staats- und Regierungschefs konnten sich bei Vorbereitungsrunden für
das am Vormittag beginnende Spitzentreffen nicht auf eine gemeinsame
Linie verständigen, berichteten EU-Beamte am Mittwochabend in
Brüssel. Demnach ist unklar, ob es am Ende eine gemeinsame Erklärung
zu Migrationsfragen geben wird.
Meinungsverschiedenheiten gibt es demnach unter anderem bezüglich der
Frage, welche Maßnahmen ergriffen werden sollte, um die Abschiebung
abgelehnter Asylbewerbung zu beschleunigen. Ein Teil der
Mitgliedstaaten dringt darauf, sichere Partnerstaaten zum Beispiel in
Afrika mit Geld zur vorübergehenden Aufnahme von abgelehnten
Asylbewerbern zu bewegen, die nicht sofort in ihre Heimatländer
zurückgebracht werden können. Kritiker befürchten allerdings, dass
den Menschen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
drohen könnte.
Unter anderem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban fordert
zudem, auch die Asylverfahren künftig in Staaten außerhalb der EU in
externen «Hotspots» durchzuführen und Schutzsuchende vorher nicht
mehr in die Union zu lassen.
Kritik an deutschen Grenzkontrollen
Befeuert wird die Diskussion von nationalen Alleingängen in den
vergangenen Wochen und Monaten. So äußerten zuletzt mehrere
EU-Partner Unverständnis für die Entscheidung der Bundesregierung,
nach dem Terroranschlag auf einem Stadtfest in Solingen an allen
deutschen Landgrenzen Kontrollen anzuordnen und damit die
Bewegungsfreiheit im eigentlich grenzkontrollfreien Schengen-Raum
einzuschränken.
Polen will Zeichen setzen
Ebenfalls kontrovers diskutiert wird Polens Ankündigung, in Reaktion
auf von Russland und Belarus in Richtung EU geschleuste Migranten
vorübergehend das Recht auf Zugang zu Asylverfahren aussetzen zu
wollen. «Wir brauchen eine klare und entschlossene europäische
Antwort, um diesen Aktivitäten entgegenzuwirken, ohne Russland und
Belarus zu erlauben, unsere eigenen Werte gegen uns zu verwenden»,
schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag in
einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten.
Aufgeschlossen äußert sich die Kommissionschefin allerdings zu einem
italienischen Pilotprojekt zur Abwicklung von Asylverfahren in
Albanien und der Idee für die externe Unterbringung abgelehnter
Asylbewerber. Bei den Aufnahmelagern will nun unter anderem die
niederländische Regierung vorangehen. Sie erwägt nach Angaben vom
Mittwoch, abgewiesene Asylsuchende nach Uganda auszufliegen. Das Land
soll sie in dann in Aufnahmelagern unterbringen und dafür finanziell
entschädigt werden.
Umsetzung von Asylreform dauert
Hintergrund der aktuellen Debatte ist, dass die im Frühjahr
beschlossene EU-Asylreform von etlichen Mitgliedstaaten als
unzureichend angesehen wird, um die Probleme wegen unerwünschter
Migration in den Griff zu bekommen. Hinzu kommt, dass die Umsetzung
sich wegen der Übergangsfrist noch bis Juni 2026 hinziehen könnte.
Mit der Reform werden Mitgliedstaaten etwa zu einheitlichen Verfahren
an den Außengrenzen verpflichtet werden, damit rasch festgestellt
werden kann, ob Asylanträge unbegründet sind und die Geflüchteten
dann schneller und direkt von der Außengrenze abgeschoben werden
können. Ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern sollen
dabei nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in
streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen.
Zudem soll dafür gesorgt werden, dass stark belasteten Staaten wie
Italien und Griechenland künftig ein Teil der Asylsuchenden
abgenommen wird. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen,
sollen zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden.
Neben den Beratungen zur Migrationspolitik stehen beim EU-Gipfel
Gespräche zum Nahost-Konflikt und zur Lage in der Ukraine auf der
Tagesordnung. Als Gast wird der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj erwartet.