Selenskyj stellt «Siegesplan» bei EU und Nato vor

17.10.2024 04:56

Nach der ersten öffentlichen Vorstellung seines «Siegesplans» in Kiew

will Präsident Selenskyj offene Fragen klären. Dazu wird er beim
EU-Gipfel und im Nato-Hauptquartier in Brüssel erwartet.

Kiew/Brüssel (dpa) - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
will den von ihm so bezeichneten Siegesplan im Kampf gegen den
russischen Angriffskrieg an diesem Donnerstag auf europäischer Bühne
und bei der Nato vorstellen. «Ich werde ihn unseren EU-Partnern beim
Treffen des Europäischen Rates präsentieren», sagte Selenskyj. Er
hatte den Plan, der an erster Stelle eine umgehende und
bedingungslose Einladung zum Nato-Beitritt vorsieht, zuvor in Kiew
erstmals vor Abgeordneten der Obersten Rada, dem Parlament,
erläutert. 

Nach seinen Angaben gab es dafür «starke Unterstützung von allen
Parlamentsparteien und Gruppen». Die Opposition um Ex-Präsident Petro
Poroschenko in der Rada kritisierte den Plan allerdings als wenig
realistisch. Aus Russland hieß es, Selenskyj erkläre in keinem der
fünf Punkte, wie er den Konflikt lösen wolle, sondern versuche, die
westlichen Verbündeten noch tiefer in den Krieg hineinzuziehen. Er
hatte den Plan bereits vergangene Woche in Rom, Paris und London
hinter verschlossenen Türen vorgestellt. In Berlin weihte er Kanzler
Olaf Scholz (SPD) ein. Nun sollen alle EU-Mitglieder ins Bild gesetzt
werden. Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als zweieinhalb Jahren
gegen den russischen Angriffskrieg.

Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder sind die
Beratungen über den Ukraine-Krieg aber nur ein Thema neben Fragen der
Migrationspolitik und der Lage in Nahost. Selenskyj will bei seinem
Brüssel-Besuch auch die Verteidigungsminister der Nato-Länder
treffen. Nato-Generalsekretär Mark Rutte werde Selenskyj im
Hauptquartier empfangen, teilte Bündnissprecherin Farah Dakhlallah
mit. Um 18.20 Uhr solle es eine gemeinsame Pressekonferenz von Rutte
und Selenskyj geben.

Erneut Drohnenangriffe in der Nacht

Die Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine gehen unterdessen
unvermindert weiter. Gruppen russischer Kampfdrohnen griffen am Abend
und in der Nacht erneut weite Teile der Ukraine an, wie die
ukrainische Luftwaffe mitteilte. In den meisten Regionen wurde
Luftalarm ausgerufen.

Die russische Luftabwehr schoss derweil im grenznahen Gebiet Brjansk
drei ukrainische Drohnen ab. Das teilte der Gouverneur der Region,
Alexander Bogomas, in der Nacht auf der Plattform Telegram mit.
Schäden oder Verletzte gab es demnach nicht. Die Angaben beider
Kriegsparteien ließen sich nicht unabhängig prüfen.

Gelegenheit zur Klärung offener Fragen zum «Siegesplan»

Der Besuch im Nato-Hauptquartier ist für Selenskyj auch eine
Gelegenheit, noch offene Fragen zu seinem «Siegesplan» zu
beantworten. Rutte sagte am Mittwoch in einer ersten Reaktion, er
könne derzeit nicht sagen, dass er den gesamten Plan unterstütze. Es
gebe viele Punkte, die man besser verstehen müsse.

Bei dem Nato-Verteidigungsministertreffen soll es unter anderem um
die Lage in der Ukraine und weitere Unterstützungsmöglichkeiten für
das Land gehen. Rutte hatte zuletzt die Befürchtung geäußert, dass
die Ukraine vor dem härtesten Winter seit dem Beginn des russischen
Angriffskrieges im Februar 2022 stehen könnte.

Mit Blick auf das Thema Nato-Beitritt der Ukraine verwies Rutte auf
die Beschlüsse des jüngsten Nato-Gipfels in Washington. Bei ihm
hatten sich Befürworter einer schnellen Einladung nicht gegen Gegner
wie die USA und Deutschland durchsetzen können. Die Bündnisstaaten
konnten sich lediglich darauf verständigen, der Ukraine allgemein
zuzusichern, dass sie auf ihrem Weg in das Verteidigungsbündnis nicht
mehr aufzuhalten sei.

Selenskyj dankt USA und Australien für weitere Militärhilfe

Der ukrainische Staatschef dankte im Kurznachrichtendienst X den USA
und Australien für weitere Militärhilfe. Die US-Unterstützung laufe
unverbrüchlich, teilte er nach einem Gespräch mit US-Präsident Joe
Biden mit. Er habe Biden nicht nur einen Ausbau der Zusammenarbeit
bei der Herstellung von Waffen angeboten. «Wir sprachen auch über die
Wichtigkeit einer zusätzlichen Ausbildung von ukrainischen Soldaten»,
sagte er. Biden gibt weitere Militärhilfe in Höhe von 425 Millionen
US-Dollar (391 Millionen Euro) frei.

Das Paket enthalte zusätzliche Luftabwehrkapazitäten, gepanzerte
Fahrzeuge und Munition, teilte das Weiße Haus mit. Biden habe
Selenskyj in dem Telefonat außerdem zugesagt, dass die USA Kiew in
den kommenden Monaten unter anderem «Hunderte Luftabwehrraketen,
Dutzende von taktischen Luftabwehrsystemen, zusätzliche
Artilleriesysteme und beträchtliche Mengen an Munition» zukommen
lassen wollten. Australien gibt laut Selenskyj in einer «mutigen
Entscheidung» 49 Abrams-Panzer an die Ukraine ab.

Selenskyj hat Biden nach Angaben des Weißen Hauses zudem darüber
informiert, wie Russland besiegt werden solle. Die Ukraine fordert
dazu etwa eine Freigabe westlicher Waffen mit hoher Reichweite für
Angriffe auf militärische Ziele weit im russischen Hinterland. Bisher
gibt es dafür Beschränkungen. Die Ukraine nutzt für die Angriffe vor

allem eigene Drohnen. 

Biden und der ukrainische Präsident hätten ihre Teams beauftragt,
«weitere Konsultationen über die nächsten Schritte aufzunehmen». Di
e
USA gelten als wichtigster Unterstützer der Ukraine. Bidens Regierung
hat militärische Hilfe in Milliardenhöhe für Kiew bereitgestellt.
Hinzu kommt noch weitere Unterstützung an nichtmilitärischer
Finanzhilfe.

Konferenz soll Minenräumung in der Ukraine voranbringen

Große Landstriche der Ukraine sind mit Hunderttausenden Minen,
Streumunition und Blindgängern belastet. Bei einer internationalen
Konferenz in Lausanne in der Schweiz geht es an diesem Donnerstag
darum, wie die Minenräumung mit dem sozialen und wirtschaftlichen
Wiederaufbau verzahnt werden kann. Die Kosten für die vollständige
Räumung schätzte die Ukraine schon im vergangenen Jahr auf rund 34
Milliarden Euro.

Unter anderem beraten Vertreter aus mehr als 50 Ländern sowie
internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft über neue
Methoden für schnellere Untersuchungen potenziell verseuchter Gebiete
und neue Finanzierungsmodelle. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP)
schlägt etwa Anleihen der ukrainischen Regierung vor, die
Minenräumung mit der Einführung nachhaltiger Agrarpraktiken koppeln.
Erlöse aus der Anleihe könnten unter anderem wieder in die
Minenräumung fließen.