Wachsende Sorgen um die Konjunktur: EZB senkt Zinsen erneut Von Alexander Sturm und Christian Ebner, dpa
17.10.2024 16:04
Die Inflation im Euroraum sinkt schnell, während die Konjunktur
zunehmend schwächelt. Die Europäische Zentralbank steuert mit der
nächsten Zinssenkung gegen. Verbraucher spüren die Folgen schon
jetzt.
Frankfurt/Main (dpa) - Die Europäische Zentralbank reagiert auf die
sinkende Inflation und die schwache Konjunktur im Euroraum. Die
Notenbank senkt den am Finanzmarkt richtungsweisenden Einlagenzins,
den Banken für bei der EZB geparkte überschüssige Gelder erhalten, um
0,25 Prozentpunkte auf 3,25 Prozent. Es ist bereits das dritte Mal
dieses Jahr, dass die Zentralbank die Zinsen herabsetzt.
Jüngste Daten zeigten, dass der Kampf gegen die Inflation
voranschreite, erklärte die Notenbank. Zugleich hob sie die schwache
Wirtschaft in der Eurozone hervor: «Die Inflationsaussichten werden
zudem durch aktuelle Konjunkturindikatoren beeinflusst, die schwächer
ausgefallen sind als erwartet.»
Der Zinssatz, zu dem sich Banken Geld bei der Notenbank besorgen
können, fällt ebenfalls um 0,25 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent, wie
die EZB nach einer auswärtigen Sitzung in Slowenien mitteilte.
Hinweise auf einen weiteren Zinsschritt im Dezember vermied die EZB.
Man werde weiter datenabhängig entscheiden und lege sich nicht im
Voraus auf einen Zinspfad fest, sagte Präsidentin Christine Lagarde.
«Wir haben der Inflation noch nicht ganz das Genick gebrochen, aber
wir kommen voran.»
EZB reagiert auf schwache Wirtschaft
Sinkende Leitzinsen stützen zeitverzögert die Konjunktur und sind
eine gute Nachricht für die schwache deutsche Wirtschaft. Firmen
können mit günstigeren Krediten leichter investieren und Verbraucher
sich billiger verschulden - etwa Hausbauer. Sparer hingegen müssen
mit niedrigeren Zinsen bei ihrer Bank auskommen und geringere
Renditen etwa bei Lebensversicherungen hinnehmen.
Mit der Zinssenkung habe die EZB den Konjunktursorgen im Euroraum
stärker Rechnung getragen, sagte Heiner Herkenhoff,
Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. Er warnte vor Illusionen:
«Leitzinssenkungen werden die hartnäckige, weil strukturelle
Wachstumsschwäche nicht beseitigen.» Gerade Deutschland brauche
wirtschaftspolitische Weichenstellungen.
«Die EZB drückt leicht aufs Tempo bei den Zinssenkungen», sagte
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Es handle sich aber eher um
einen vorsorglichen Schritt. «Das Gesamtbild zu Inflation und
Konjunktur bleibt bestehen und damit auch der weitere Zinspfad, der
ab Dezember eher quartalsweise Lockerungen vorsieht.»
Erfolge im Kampf gegen die Inflation
Ökonomen hatten die Zinssenkung der EZB erwartet, denn im September
fiel die Teuerungsrate dem Statistikamt Eurostat zufolge auf 1,7
Prozent. Das war noch weniger als in einer ersten Schätzung errechnet
und deutlich niedriger als im August (2,2 Prozent). Die Inflation lag
damit erstmals seit Mitte 2021 unter der Zielmarke von zwei Prozent,
die die EZB mittelfristig im Euroraum anstrebt. Vor allem billigere
Energie drückte die Teuerungsrate und sorgte auch in Deutschland für
einen deutlichen Rückgang der Inflation.
Zugleich macht die schwache Konjunktur in der Eurozone der EZB
Sorgen. Sie erwartet nur ein Mini-Wachstum von 0,8 Prozent im
laufenden Jahr - etwas weniger als im Sommer vorhergesagt. Dabei
wirkt die schwache Wirtschaft in Deutschland als Bremsklotz. Erst in
den Folgejahren soll sich die Konjunktur im Währungsraum erholen, so
die Notenbank.
«Wir können die Wachstumsabschwächung nicht ignorieren», sagte
EZB-Direktorin Isabel Schnabel jüngst. Ein nachhaltiger Rückgang der
Inflation zum Ziel werde «in angemessener Zeit wahrscheinlicher».
Selbst Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, der sonst für einen
vorsichtigen Kurs plädierte, zeigte sich zuletzt offen für
Diskussionen über eine Zinssenkung.
Restrisiken bleiben
Trotz der Fortschritte im Kampf gegen die Inflation sehen Ökonomen
die EZB noch nicht am Ziel: Denn die Kerninflation ohne
schwankungsanfällige Preise für Energie und Nahrungsmittel fiel im
September nur leicht um 0,1 Prozentpunkte auf 2,7 Prozent.
Commerzbank-Volkswirt Jörg Krämer warnt vor den Folgen weiter schnell
steigender Löhne.
Die EZB erwartet, dass die Inflation zum Jahresende wieder anzieht
und im Schnitt 2024 bei 2,5 Prozent liegt. Im nächsten Jahr soll das
Inflationsziel erreicht werden, sagte Lagarde.
Die Notenbank hatte im Juni die Zinswende eingeleitet und erstmals
seit der Inflationswelle die Leitzinsen gesenkt. Im September folgte
der nächste Schritt. Zuvor hatte die EZB seit Juli 2022 zehnmal in
Folge die Zinsen erhöht, um die im Zuge des Ukraine-Kriegs
hochgeschossene Inflation in den Griff zu bekommen. Ihren Höchststand
hatte die Inflation in der Eurozone im Oktober 2022 bei mehr als zehn
Prozent erreicht.
Schuldner profitieren von Zinssenkungen, Sparer im Nachteil
Privathaushalte spüren die Zinssenkungen der EZB bereits - zum
Beispiel Hausbauer. Die Zinsen für zehnjährige Immobilienkredite
lagen zuletzt laut FMH-Finanzberatung bei durchschnittlich rund 3,3
Prozent, vor einem Jahr waren es gut 4,2 Prozent. Der
Kreditvermittler Dr. Klein sieht mittelfristig aber kaum
Abwärtspotenzial. Weitere Leitzinssenkungen seien schon eingepreist.
Für Sparer sind sinkende Leitzinsen schlecht. Seit der
September-Zinssenkung haben mindestens 346 Banken und Sparkassen die
Festgeldzinsen reduziert, analysiert das Vergleichsportal Verivox.
Für zweijährige Festgelder gebe es bei überregionalen Banken im
Schnitt noch 2,51 Prozent Zinsen - ein Tiefstand seit April 2023.
Die gute Nachricht: Die gesunkene Inflation hilft Sparern. Nach Abzug
der Teuerung, die im September bei 1,6 Prozent in Deutschland lag,
können Anleger mit Festgeld über zwei Jahre eine positive Rendite
erzielen. In der Inflationswelle verloren Ersparnisse dagegen an
Wert.