Moldau hat über Präsidenten und EU-Referendum abgestimmt
20.10.2024 20:11
Die zwischen der Ukraine und EU-Mitglied Rumänien gelegene
Ex-Sowjetrepublik Moldau hat richtungsweisende Entscheidungen
getroffen. Stark bleibt der Einfluss prorussischer Kräfte in dem
Agrarstaat.
Chisinau (dpa) - Die zwischen dem Westen und Russland hin- und
hergerissene Republik Moldau hat bei einer Präsidentenwahl und einem
EU-Referendum die Weichen für ihre Zukunft gestellt. Nach einem
ruhigen Verlauf und hoher Beteiligung schlossen die Wahllokale um
21.00 Uhr Ortszeit (20.00 Uhr MESZ).
Nach Angaben der Wahlkommission in der Hauptstadt Chisinau begann die
Stimmenauszählung in dem Land mit 2,5 Millionen Einwohnern, das wie
die benachbarte Ukraine EU-Beitrittskandidat ist. Erste Ergebnisse
werden am späten Abend erwartet. Präsidentin Maia Sandu hofft als
Favoritin auf eine zweite Amtszeit Nachbarland von EU-Mitglied
Rumänien. Weil sie zehn Mitbewerber hat, gilt eine Stichwahl in zwei
Wochen mit dem Zweitplatzierten als wahrscheinlich.
Moldau müsse seine Zukunft unter den Bedingungen von Frieden und
Freiheit selbst bestimmen, sagte Sandu von der Partei Aktion und
Solidarität (PAS). «Ich habe gewählt, weil die Moldauer ihr Schicksal
selbst bestimmen sollten und nicht Lügen und schmutziges Geld.» Die
52 Jahre alte Staatschefin lag in Umfragen vor der Wahl bei rund 36
Prozent Zustimmung. An zweiter Stelle folgte der frühere
Generalstaatsanwalt Alexandru Stoianoglo als Kandidat der
traditionell starken Sozialistischen Partei des prorussischen
Ex-Präsidenten Igor Dodon. Beobachter rechneten rund zwei Drittel der
Kandidaten dem von Russland unterstützten Lager zu, das allerdings
nicht geeint ist.
Vorwürfe der Einflussnahme auf Wähler
Moldauische Sicherheitsbehörden deckten vor den Abstimmungen Fälle
von prorussischer Desinformation und Wählerbestechung auf. Als
wichtiger Akteur gilt der ins Ausland geflüchtete moskautreue
Oligarch Ilan Shor, der in seiner Heimat wegen Geldwäsche und Betrug
verurteilt wurde und gesucht wird.
Russland wiederum wirft der EU vor, mit Milliardenversprechen
Einfluss auf die Abstimmung zu nehmen. EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen hatte bei einem Besuch in Chisinau und bei einem
Treffen mit Sandu kurz vor der Abstimmung 1,8 Milliarden Euro in
Aussicht gestellt. Finanziert werden sollen etwa Arbeitsplätze,
Wachstum, Dienstleistungen und Infrastruktur.
Präsidentin Sandu hatte vor der Wahl angekündigt, ihren
reformorientierten Kurs fortzusetzen. Die Menschen in Moldau waren
auch zu einem Referendum aufgerufen, mit dem der EU-Kurs des Landes
in der Verfassung als «unumkehrbar» verankert werden soll. Laut
Volksabstimmung soll etwa dieser Satz künftig in der Verfassung
stehen: «Die Integration in die Europäische Union wird als
strategisches Ziel der Republik Moldau erklärt.» Umfragen zufolge ist
eine stabile Mehrheit von 50 bis 60 Prozent der Moldauer für einen
EU-Kurs.
Kritik am EU-Referendum
Auch am Wahlsonntag gab es teils scharfe Kritik daran, dass Sandu die
Präsidentenwahl und das EU-Referendum verknüpfte. Mehrere Politiker
von Parteien aus dem russlandfreundlichen Lager boykottierten das
EU-Referendum. Ex-Präsident Dodon von der Sozialistischen Partei
sprach von einem «rechtswidrigen Prozess», weil es sich nicht um ein
Referendum gehe, sondern um eine Verfassungsänderung.
«Die Gespräche mit der Europäischen Union sollen fortgesetzt werden,
doch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der EU sollten erst
nach dem Abschluss dieser Verhandlungen getroffen werden, wenn alle
Bedingungen klar sind», unterstrich Dodon. Erst dann sei ein
Referendum möglich.
Abstimmungen in Moskau und prorussischen Regionen
In der russischen Hauptstadt Moskau bildeten sich lange Schlangen vor
der moldauischen Botschaft für die Stimmabgabe. Zugleich gab es
Beschwerden, dass die Zahl der Wahllokale in Russland gezielt klein
gehalten werde und nicht genügend Stimmzettel vorhanden seien. Das
Außenministerium in Chisinau bezeichnete die Schlangen laut Medien in
Moldau als künstliche Inszenierung.
Stark ist der russische Einfluss auch in der von Moldau abtrünnigen
und von Moskau abhängigen Region Transnistrien, die an die Ukraine
grenzt, sowie in der moldauischen autonomen Provinz Gagausien, in der
die regionale Regierungschefin Irina Vlah als Kandidatin «für
Frieden» antrat.
Das Bewerberfeld dürfte auch deshalb so groß gewesen sein, weil viele
Menschen mit Sandus Politik unzufrieden sind und seit ihrer Wahl 2020
zu wenig Fortschritte etwa im immer wieder angekündigten Kampf gegen
Korruption in dem verarmten Agrarstaat sehen. Damals kam Sandu im
ersten Wahlgang auf 36,2 Prozent und im zweiten Wahlgang auf 57,7
Prozent der Stimmen. Weil sie einen Verzicht auf russisches Gas
durchsetzte, stiegen die Energiepreise, was viele Verbraucher ärgert.
Um Reformen umzusetzen, ist Sandu auf eine Mehrheit im Parlament
angewiesen, die sie derzeit hat. Der politische Machtkampf in Moldau
wird nach Einschätzung von Beobachtern seinen Höhepunkt bei der
Parlamentswahl im kommenden Sommer erreichen. «Für eine starke
politikgestaltende Rolle als Präsidentin ist ein loyaler
Premierminister und eine Mehrheit im Parlament notwendig», sagte die
Moldau-Expertin Brigitta Triebel von der Konrad-Adenauer-Stiftung in
Chisinau der Deutschen Presse-Agentur. Sie erwartet nicht, dass
Russland bei seinen Versuchen der Einflussnahme in dem Land
nachlässt.