Moldaus Präsidentin beklagt beispiellose Wahlmanipulation Von Ulf Mauder, dpa
21.10.2024 07:49
Nach der Wahl in der zwischen dem Westen und Russland hin- und
hergerissenen Republik Moldau erhebt Präsidentin Sandu schwere
Vorwürfe. Kriminelle Kräfte sollen die Ergebnisse manipuliert haben.
Chisinau (dpa) - In der früheren Sowjetrepublik Moldau hat die
proeuropäische Staatschefin Maia Sandu eine beispiellose Attacke
demokratiefeindlicher Kräfte auf die Präsidentenwahl beklagt.
Kriminelle Gruppen hätten gemeinsam mit einer ausländischen Macht
versucht, die Lage in Moldau zu destabilisieren. Die nach einem
EU-Beitritt strebende Führung des verarmten Agrarstaats sieht
Russland als größte Bedrohung für die Stabilität der Republik.
Bei einem parallel zur Wahl abgehaltenen Referendum über die
EU-Ambitionen des Landes droht der Staatsführung zudem eine herbe
Niederlage, die Moskau begrüßen dürfte. Die Auszählung ließ am Mo
rgen
auf ein extrem knappes Ergebnis schließen.
Sandu bewirbt sich bei der Präsidentenwahl um eine zweite Amtszeit.
Nach Auszählung von mehr als 96 Prozent der Wahlzettel verfehlte sie
mit rund 41 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit und müsste
damit in eine Stichwahl in zwei Wochen gehen. Ihr Gegner wird aller
Voraussicht nach der frühere Generalstaatsanwalt Alexandru Stoianoglo
sein, der rund 27 Prozent der Stimmen erhielt und für die
traditionell starke Sozialistische Partei des prorussischen
Ex-Präsidenten Igor Dodon antritt. Insgesamt waren elf Bewerber zur
Wahl angetreten, darunter einige, die sich für gute Beziehungen zu
Russland einsetzen.
Es gebe Beweise, dass 300.000 Stimmen gekauft worden seien, sagte
Sandu bei einem nächtlichen Auftritt in der Hauptstadt Chisinau.
Dutzende Millionen Euro seien ausgegeben worden, um Lügen und
Propaganda zu verbreiten. «Wir haben es mit einem beispiellosen
Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land zu tun»,
wurde Sandu von örtlichen Medien zitiert. Sie wolle das Endergebnis
abwarten und dann Entscheidungen treffen.
Prorussische Wählerbestechung aufgedeckt
Details nannte die 52-Jährige nicht. Allerdings hatten moldauische
Sicherheitskräfte schon vor dem Urnengang Wählerbestechung und
prorussische Desinformation in dem Land mit rund 2,5 Millionen
Einwohnern aufgedeckt, das zwischen der von Russland angegriffenen
Ukraine und dem EU-Mitgliedstaat Rumänien liegt.
EU-Referendum: Nein zur Verfassungsänderung?
Eines der wichtigsten Ziele Sandus ist es, den EU-Kurs des Landes
unwiderruflich als strategisches Ziel in der Verfassung festschreiben
zu lassen. Beim Referendum über diese Frage schien es nach Auszählung
von knapp 97 Prozent der Stimmen, als wenn sich das Volk mit
hauchdünner Mehrheit gegen die Verfassungsänderung ausgesprochen
hätte. Umfragen hatten eher das Gegenteil erwarten lassen.
Als einflussreicher Akteur in der moldauischen Politik gilt neben
Russland der ins Ausland geflüchtete moskautreue Oligarch Ilan Shor,
der in seiner Heimat wegen Geldwäsche und Betrug in Abwesenheit zu 15
Jahren Haft verurteilt wurde und zur Fahndung ausgeschrieben ist.
Russischen Staatsmedien zufolge warf Shor seiner Rivalin Sandu vor,
bei der Wahl gescheitert zu sein - Moldau brauche die EU nicht.
Russland wirft der Europäischen Union vor, mit Milliardenversprechen
Einfluss auf die Abstimmung genommen zu haben.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei einem Besuch
in Chisinau und einem Treffen mit Sandu kurz vor der Abstimmung 1,8
Milliarden Euro an Fördergeld in Aussicht gestellt. Die Finanzspritze
soll erklätermaßen vor allem das Wachstum ankurbeln, Arbeitsplätze
schaffen sowie Dienstleistungen und Infrastruktur verbessern.
Kritik an Volksabstimmung
Auch am Wahlsonntag gab es teils scharfe Kritik daran, dass Sandu die
Präsidentenwahl und das EU-Referendum miteinander verknüpfte. Mehrere
Politiker von Parteien aus dem russlandfreundlichen Lager
boykottierten das Referendum und sprachen von einem rechtswidrigen
Prozess. «Die Gespräche mit der Europäischen Union sollen fortgesetzt
werden, doch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der EU
sollten erst nach dem Abschluss dieser Verhandlungen getroffen
werden, wenn alle Bedingungen klar sind», sagte Ex-Präsident Dodon.
Erst dann sei ein Referendum möglich.
Viele sind mit Sandus Politik unzufrieden
In der russischen Hauptstadt Moskau bildeten sich vor der
moldauischen Botschaft lange Schlangen für die Stimmabgabe. Zugleich
gab es Beschwerden, dass die Zahl der Wahllokale in Russland gezielt
klein gehalten worden sei und nicht genügend Stimmzettel vorhanden
seien. Das Außenministerium in Chisinau bezeichnete die Schlangen
laut Medien in Moldau als künstliche Inszenierung.
Das Bewerberfeld dürfte auch deshalb so groß gewesen sein, weil viele
Menschen mit Sandus Politik unzufrieden sind und seit ihrer Wahl 2020
zu wenig Fortschritte sehen - etwa im immer wieder proklamierten
Kampf gegen Korruption. Damals kam Sandu im ersten Wahlgang auf 36,2
Prozent und im zweiten Wahlgang auf 57,7 Prozent der Stimmen. Weil
sie einen Verzicht auf russisches Gas durchsetzte, stiegen die
Energiepreise, was viele Verbraucher ärgert.
Um Reformen umzusetzen, ist Sandu auf eine Mehrheit im Parlament
angewiesen, die sie derzeit noch hat. Der politische Machtkampf in
Moldau könnte seinen Höhepunkt bei der Parlamentswahl im kommenden
Sommer erreichen. «Für eine starke, politikgestaltende Rolle als
Präsidentin ist ein loyaler Premierminister und eine Mehrheit im
Parlament notwendig», sagte Expertin Brigitta Triebel von der
Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau der Deutschen Presse-Agentur.
Sie erwartet nicht, dass Russlands versuchte Einflussnahme in Moldau
nachlassen wird.