Referendum in Moldau: EU-Kurs mit Mehrheit knapp angenommen Von Ulf Mauder, dpa

21.10.2024 17:36

In der zwischen dem Westen und Russland schwankenden
Ex-Sowjetrepublik Moldau soll der proeuropäische Kurs nun in der
Verfassung verankert werden. Leicht wird es für Präsidentin Sandu
nicht.

Chisinau (dpa) - In der Ex-Sowjetrepublik Moldau hat die Bevölkerung
bei einem Referendum mit hauchdünner Mehrheit für die Verankerung des
EU-Kurses in der Verfassung gestimmt. Nach Auszählung aller
Wahlzettel stimmten laut Wahlkommission 50,46 Prozent der Teilnehmer
dafür, einen proeuropäischen Kurs unabänderlich als strategisches
Ziel in der Verassung festzuschreiben. Das waren 751.235 Ja-Stimmen
gegen 737.639 Nein-Stimmen (49,54 Prozent).

Laut moldauischen Medien stimmten die Menschen in der Mehrheit der
Regionen im Land gegen die Verfassungsänderung. Den Ausschlag in die
andere Richtung gaben die Hunderttausende Moldauer, die im Ausland
leben - vor allem in der EU. Die prowestliche Staatschefin Maia Sandu
dankte der Diaspora, die die Abstimmung gerettet habe.

Moldau mit 2,5 Millionen Einwohnern ist zwischen dem Westen und
Russland traditionell hin- und hergerissen. Das verarmte Agrarland,
gelegen zwischen EU- und Nato-Mitglied Rumänien und der von Russland
angegriffenen Ukraine, ist ein EU-Beitrittskandidat.

Die 52 Jahre alte Sandu, die auch die Präsidentenwahl im ersten
Wahlgang gewann, hatte mit einem deutlich besseren Ergebnis
gerechnet. Sie ging nach Meinung von Beobachtern nicht gestärkt aus
dem Wahlsonntag hervor.

Das Referendum ist zwar gültig, muss aber durch das
Verfassungsgericht bestätigt werden. Die Richter könnten es etwa
wegen Unregelmäßigkeiten noch kippen. Wenn sie es bestätigen, wird
die Verfassung geändert.

Wahlbeobachter: Abstimmung gut organisiert

Sandu kam bei der zeitgleich abgehaltenen Präsidentenwahl unter den
insgesamt elf Kandidaten zwar als erste durch Ziel, verfehlte aber
die absolute Mehrheit und muss deshalb in zwei Wochen in eine
Stichwahl. Sandu bat um die Stimmen jener Wähler, die für einen der
vier anderen proeuropäischen Kandidaten gestimmt hätten. 

Die doppelte Abstimmung sei gut organisiert gewesen - gerade auch
angesichts der versuchten Einflussnahme von außen, befanden
Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE). Kritisiert wurden aber kurzfristige Gesetzesänderungen
vor der Wahl. Das Werben der moldauischen Führung für ein Ja zur EU,
verknüpft mit Sandus Kampf um eine Wiederwahl, habe für andere
Kandidaten einen Nachteil bedeutet, teilten die OSZE-Beobachter mit.

Entscheidung über Präsidentenamt am 3. November

Die Beteiligung an der Abstimmung über das Präsidentenamt lag nach
Angaben der Wahlkommission bei 51,68 Prozent. Nach Auszählung der
Wahlzettel kam Sandu auf rund 42,45 Prozent der Stimmen. Bei der
zweiten Runde am 3. November wird der frühere Generalstaatsanwalt
Alexandru Stoianoglo ihr Gegner sein. Er erhielt 25,98 Prozent der
Stimmen und trat für die traditionell starke Sozialistische Partei
des prorussischen Ex-Präsidenten Igor Dodon an.

 

Prorussische Wählerbestechung aufgedeckt

Es gebe Beweise, dass 300.000 Stimmen gekauft worden seien, sagte
Sandu bei einem nächtlichen Auftritt in der Hauptstadt Chisinau.
Dutzende Millionen Euro seien von kriminellen Gruppierungen im
Zusammenspiel mit ausländischen Mächten ausgegeben worden, um Lügen
und Propaganda zu verbreiten. «Wir haben es mit einem beispiellosen
Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land zu tun»,
sagte Sandu. 

Details nannte die Staatschefin nicht. Allerdings hatten moldauische
Sicherheitskräfte schon vor der Abstimmung Wählerbestechung und
prorussische Desinformation aufgedeckt. Die Bundesregierung in Berlin
verurteilte anhaltende Manipulations- und Einflussversuche. Russland
fordere Beweise für die von Sandu erhobenen schweren Anschuldigungen,
sagte hingegen Kremlsprecher Dmitri Peskow. 

Prorussische Einflussnahme 

Als einflussreicher Akteur in der moldauischen Politik gilt neben
Russland der ins Ausland geflüchtete moskautreue Oligarch Ilan Shor.
Er wurde in seiner Heimat wegen Geldwäsche und Betrug in Abwesenheit
zu 15 Jahren Haft verurteilt und ist zur Fahndung ausgeschrieben.
Russischen Staatsmedien zufolge warf Shor seiner Rivalin Sandu vor,
bei der Wahl gescheitert zu sein - Moldau brauche die EU nicht.

Russland wirft der Europäischen Union vor, mit Versprechen in
Milliardenhöhe Einfluss auf die Abstimmung genommen zu haben.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei einem Besuch
in Chisinau und einem Treffen mit Sandu kurz vor der Abstimmung 1,8
Milliarden Euro an Fördergeld in Aussicht gestellt. Die Finanzspritze
soll erklärtermaßen vor allem das Wachstum ankurbeln, Arbeitsplätze
schaffen sowie Dienstleistungen und Infrastruktur verbessern.

Kritik an Volksabstimmung und Sandus Politik

Auch am Wahlsonntag gab es teils scharfe Kritik daran, dass Sandu die
Präsidentenwahl und das EU-Referendum miteinander verknüpfte. Mehrere
Politiker von Parteien aus dem russlandfreundlichen Lager
boykottierten das Referendum und sprachen von einem rechtswidrigen
Prozess. «Die Gespräche mit der Europäischen Union sollen fortgesetzt

werden, doch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der EU
sollten erst nach dem Abschluss dieser Verhandlungen getroffen
werden, wenn alle Bedingungen klar sind», sagte Ex-Präsident Dodon.
Erst dann sei ein Referendum möglich.

Das Bewerberfeld bei der Präsidentenwahl dürfte auch deshalb so groß

gewesen sein, weil viele Menschen mit Sandus Politik unzufrieden
sind. Sie sehen seit ihrer Wahl 2020 zu wenig Fortschritte - etwa im
immer wieder proklamierten Kampf gegen Korruption. Weil sie einen
Verzicht auf russisches Gas durchsetzte, stiegen die Energiepreise,
was viele Verbraucher ärgert.

Um Reformen umzusetzen, ist Sandu auf eine Mehrheit im Parlament
angewiesen, die sie derzeit noch hat. Der politische Machtkampf in
Moldau könnte seinen Höhepunkt bei der Parlamentswahl im kommenden
Sommer erreichen. «Für eine starke, politikgestaltende Rolle als
Präsidentin ist ein loyaler Premierminister und eine Mehrheit im
Parlament notwendig», sagte Expertin Brigitta Triebel von der
Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau der Deutschen Presse-Agentur.
Sie erwartet nicht, dass Russlands versuchte Einflussnahme in Moldau
nachlassen wird.