Weiter Heringsfang an Ostseeküste auf Sparflamme erlaubt von Christopher Hirsch und Marek Majewsky, dpa
22.10.2024 14:49
Die deutsche Ostseefischerei liegt am Boden. Fischer wie Ralph Krehl
in Vorpommern entgehen nach einer EU-Entscheidung aber einem Schlag.
Er klagt ohnehin weniger über die EU als über Robben.
Luxemburg/Stahlbrode (dpa) - In Stahlbrode östlich von Stralsund ist
Berufsfischer Ralph Krehl der letzte seiner Art. 26 seinen sie mal
gewesen. «Jetzt bin ich alleine. Naja, wie überall.» Von ehemals 50
Tonnen erlaubter Fangmenge Hering sei ihm noch eine Tonne geblieben.
«Es ist wenig.» Immerhin darf er nach einem neuen Beschluss auf
EU-Ebene auch im kommenden Jahr Hering fischen. Das war bis Dienstag
nicht sicher.
Während die gezielte Heringsfischerei wegen des schlechten Zustandes
des Bestandes in der westlichen Ostsee weitgehend eingestellt ist,
dürfen Ostseefischer mit kleinen Booten und passivem Fanggerät wie
Stellnetzen Heringe noch gezielt fangen. Die EU-Kommission hatte
vorgeschlagen, diese Ausnahme abzuschaffen. Eine Mehrheit der
EU-Staaten sprach sich aber für eine Verlängerung aus. Anfang der
Woche hatten sich die zuständigen EU-Minister in Luxemburg beraten.
Der Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock,
Christopher Zimmermann, sagte, man sei froh über die Verlängerung.
«Froh auch deswegen, weil es biologisch gar keinen Unterschied mehr
macht.» Die noch erlaubten Fangmengen seien dafür ohnehin schon zu
gering. Die Abschaffung hätte ihm zufolge den Niedergang der hiesigen
Küstenfischerei weiter beschleunigt.
Fischereiverband begrüßt Entscheidung
Deutschlands Fischereiminister Cem Özdemir (Grüne) erklärte, «in de
n
Verhandlungen haben wir hart um die Zukunft unserer
krisengeschüttelten Küstenfischer gekämpft und erreicht, dass ihre
wirtschaftliche Grundlage erhalten bleibt». Laut Verband der
Deutschen Kutter- und Küstenfischer können dank der Entscheidung
wenigstens einige Betriebe bei der Versorgung regionaler Märkte ihren
Beitrag leisten.
Umwelt- und Naturschutzverbände kritisierten hingegen die
festgesetzten Fang- und Beifangmengen als weiterhin zu hoch. Svane
Bender, Bereichsleiterin bei der Deutschen Umwelthilfe, forderte, der
Umweltzustand der Ostsee müsse grundsätzlich verbessert werden. «Denn
zusammen mit dem zu hohen Fischereidruck, machen den Fischen auch
Verschmutzung, Sauerstoffmangel und Zerstörung von Lebensräumen zu
schaffen.»
Anzeichen für Bestandserholung bei West-Hering
Für den Dorsch, der zusammen mit dem Hering als sogenannter Brotfisch
lange wichtig war für das Auskommen deutscher Ostseefischer, wurde
entschieden, dass kommendes Jahr knapp 22 Prozent weniger in der
westlichen Ostsee als Beifang - etwa beim Schollenfischen - in den
Netzen landen darf, verglichen mit 2024. «Das spielt eigentlich auch
keine Rolle mehr, weil nur ein Drittel davon überhaupt angelandet
wird», sagte Zimmermann.
Die Bestände in der Ostsee stehen wegen des Klimawandels,
Überfischung und Nährstoffeinträgen stark unter Druck. Die erlaubten
Fangmengen wurden in den zurückliegenden Jahren drastisch gesenkt,
beziehungsweise der gezielte Fang ganz untersagt. Im Gegensatz zum
Dorsch der westlichen Ostsee gibt es beim West-Hering Anzeichen einer
Bestandserholung.
Sorge hat Zimmermann um den Sprottenbestand in der Ostsee. Hier sinkt
die erlaubte Fangmenge um rund 30 Prozent. «So wie die Beschlüsse
jetzt gefasst wurden, ist ziemlich klar, dass der Sprottenbestand im
nächsten Jahr weiter überfischt wird.» Das sei aber eher ein
politisches Problem, weil Russland zuletzt die Fangmengen erhöht
habe, wenn die EU diese gesenkt habe.
Fischer klagen über Robben
Die ihm zugeteilte Herings-Fangmenge muss sich Krehl gut einteilen.
«Jeden Tag zwei, drei Kisten vielleicht.» Wie viele Fischer hat er
ein weiteres Standbein. Er betreibt einen Fischladen, wo er etwa
geräucherten Fisch verkauft. Die Rohware dafür kauft er an. «Von der
Fischerei, wie gesagt, kannst Du nicht leben.»
Grund der Misere sind laut Krehl aber nicht nur die
Fangbeschränkungen. Er sagt sogar: «Hering ist reichlich da.» Man
bekommt die Fische seiner Aussage nach aber nicht. «Seit die Robben
hier sind, ist das ganz aus.» Die Meeressäuger fressen die Heringe
Krehl zufolge aus seinen Stellnetzen. «Man weiß nicht, was man machen
soll.»
Mit Blick auf sinkende Populationen müssten Robben oder Kormorane
immer öfter zu unrecht als Sündenböcke herhalten, sagte Katharina
Brundiers vom Naturschutzbund Deutschland. Das entbehre jeglicher
Faktenlage. Auch die Debatte um Fangmengen sei nur ein Tropfen auf
den heißen Stein. «Es ist nun an der Zeit, die Scheindebatten zu
beenden und für eine echte Trendwende in Nord- und Ostsee zu sorgen.»
Der Nabu forderte etwa Fangmethoden, die Beifang vermeiden und
wirksame Meeresschutzgebiete mit mindestens der Hälfte nutzungsfreier
Fläche.