EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen Online-Händler Temu

31.10.2024 18:10

Viele Verbraucher lassen sich von den günstigen Preisen von
asiatischen Shopping-Portalen locken. Doch viele Plattformen sind
umstritten. Die EU-Kommission nimmt man eine davon ins Visier.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Kommission nimmt den chinesischen
Online-Marktplatz Temu wegen möglicher Verstöße gegen EU-Recht unter

die Lupe. Die Brüsseler Behörde leitete dazu ein formales Verfahren
ein. Sie prüft laut einer Mitteilung etwa, ob die Plattform genug
gegen den Verkauf illegaler Produkte unternehme. Außerdem solle die
potenziell süchtig machende Gestaltung des Dienstes untersucht
werden.

Dem Online-Marktplatz wird unter anderem vorgeworfen, nicht genug
gegen illegale Produkte zu tun. Bestimmte unseriöse Händler würden
wieder auf der Plattform auftauchen, nachdem sie gesperrt worden
seien, hieß es von der Kommission. Außerdem bestehe das Risiko, dass
die Plattform durch Belohnungsprogramme süchtig mache. Das könne
negative Folgen für das körperliche und geistige Wohlbefinden einer
Person haben. Die Kommission will nun weiter Beweise sammeln, etwa
durch Befragungen.

Brüssel ist auch gegen andere Plattformen vorgegangen

In einer Voruntersuchung hatte die Brüsseler Behörde bereits
detaillierte Informationen von Temu über die Maßnahmen verlangt, mit
denen ein Wiederauftauchen von Händlern verhindert werden soll, die
illegale Produkte auf ihrem Online-Marktplatz verkaufen. Die
Kommission wollte auch Auskunft, wie die Risiken für Verbraucher
eingedämmt werden.

Temu teilte als Reaktion auf das EU-Verfahren mit, dass es seine
Verpflichtungen ernst nehme und kontinuierlich investiere, um sein
Regelungssystem zu stärken und die Verbraucherinteressen auf seiner
Plattform zu schützen. «Wir werden vollumfänglich mit den
Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um unser gemeinsames Ziel eines
sicheren und vertrauenswürdigen Marktplatzes für Verbraucher zu
unterstützen», so das Unternehmen.

Deutscher Handelsverband lobt die Entscheidung

Die Brüsseler Behörde hatte bereits ähnliche Verfahren gegen X
(früher Twitter), Tiktok und AliExpress eröffnet. Große
Online-Plattformen werden von einem neuen EU-Gesetz über digitale
Dienste (DSA) verpflichtet, strikt gegen illegale Inhalte im Netz
vorzugehen.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) begrüßt die Entscheidung. «Die
massenhaften Rechtsverstöße vieler Händler aus Fernost, die über di
e
Plattform Temu verkaufen, dürfen nicht hingenommen werden», sagte
HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Es sei richtig und wichtig,
dass die EU-Kommission tätig werde. Wer Waren in der EU anbiete,
müsse sich auch an die Regeln halten. Andernfalls würden heimische
Handelsunternehmen im Wettbewerb benachteiligt. Bei der Feststellung
von Verstößen durch Temu erwarte man von der EU konsequente Strafen.

Verbraucherschützer halten die Eröffnung des Verfahrens gegen Temu
ebenfalls für richtig. «Über Online-Marktplätze gelangen immer wied
er
gefährliche Produkte auf den europäischen Binnenmarkt», sagte
Stefanie Grunert vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Der
vzbv habe Temu in der Vergangenheit bereits dafür abgemahnt.

Wirtschafts-Staatssekretär Sven Giegold betonte in Berlin, mit der
Verfahrenseinleitung gegen Temu unterstreiche die EU-Kommission ihren
entschlossenen Einsatz für einen fairen Wettbewerb im Onlinehandel
und den Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor illegalen
Produkten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz setze
sich seit Längerem für ein entschiedenes und abgestimmtes Vorgehen
der EU gegen weitgehend unkontrollierte Direktimporte aus
Drittstaaten über E-Commerce-Plattformen ein. 

Temu ist sehr beliebt in Deutschland

Bei Kunden in Deutschland erfreut sich Temu großer Beliebtheit.
Experten führen dies vor allem auf die niedrigen Preise zurück. Der
Anbieter zählt nach anderthalb Jahren am Markt bereits zu den größten

Onlinehändlern in Deutschland. 

Laut einer Untersuchung der zum Meinungsforschungsinstitut YouGov
gehörenden Consumer Panel Services GfK (CPS), landete das
Shoppingportal gemessen an der Anzahl der Bestellungen im ersten
Halbjahr 2024 auf dem sechsten Platz der Top-Onlinehändler. Von
Januar bis Juni kauften demnach etwa 1,3 Millionen Menschen in
Deutschland bei Temu ein. Das Unternehmen ist erst seit April 2023
hierzulande aktiv. Laut CPS sind zwei Drittel der Käufer weiblich,
die Hälfte älter als 50.

Dennoch gibt es auch bei Konsumenten Bedenken. 62 Prozent sehen ein
großes Risiko, dass die bei Marktplätzen wie Temu bestellten Artikel
von minderwertiger Qualität sind. Das zeigt eine vor einigen Monaten
durchgeführte Umfrage des Kölner Handelsforschungsinstitut IFH. Zwei
Drittel der Befragten können sich demnach nicht vorstellen, bei
dieser Art von Anbietern zu kaufen. 83 Prozent geben die mangelnde
Qualität der Produkte als Grund an, 60 Prozent haben Angst vor
Produktfälschungen.

Auch Handelsvertreter, Politiker und Verbraucherschützer kritisieren
unter anderem Produktqualität, unfaire Wettbewerbsbedingungen und
mangelnde Kontrollen. Beklagt wird auch, dass die Anbieter von
rechtlichen Schlupflöchern wie der 150-Euro-Zollfreigrenze
profitierten. Die Plattform weist solche Vorwürfe zurück.

Handelsbeziehungen zu China sind angespannt

Das Brüsseler Verfahren gegen Temu fällt in eine Zeit wachsender
wirtschaftlicher Spannungen mit China. Seit Mittwoch gelten
EU-Zusatzzölle auf aus China importierte Elektroautos. Vor dem
Beschluss der EU-Kommission hatte Anfang des Monats eine ausreichend
große Mehrheit der EU-Staaten für die Strafzölle gestimmt.
Deutschland votierte gegen die Maßnahme - aus Sorge vor einem neuen
großen Handelskonflikt und möglichen Vergeltungsmaßnahmen gegen
deutsche Hersteller.