Prowestliche Präsidentin Sandu siegt in Moldau Von Ulf Mauder und Katharina Schröder, dpa
04.11.2024 05:32
In dem zwischen Russland und dem Westen hin- und hergerissenen Land
Moldau haben die Menschen über das Präsidentenamt entschieden. Die
prowestliche Amtsinhaberin siegt - zur Freude von EU-Politikern.
Chisinau (dpa) - Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in der
Republik Moldau hat die prowestliche Staatschefin Maia Sandu nach
Auszählung fast aller Stimmen gewonnen. Die 52-Jährige kam auf 55,1
Prozent der Stimmen, wie die Wahlleitung in der Hauptstadt Chisinau
nach Auszählung von über 99 Prozent der Wahlzettel mitteilte. Sandus
Herausforderer, der ehemalige Generalstaatsanwalt Alexandr
Stoianoglo, der eine Zusammenarbeit auch mit Russland wollte,
unterlag demnach mit 44,9 Prozent der Stimmen.
Sandu wandte sich nach ihrem absehbaren Sieg Medien zufolge auch auf
Russisch an die Moldauer und erklärte, eine Präsidentin für alle sein
zu wollen - auch für die, die nicht für sie gestimmt hatten. «Wir
brauchen Zusammenhalt», sagte sie.
Sandu siegte vor allem dank Stimmen der zu Hunderttausenden im
Ausland - vor allem in der EU - lebenden Moldauer. Die Staatschefin
von der Partei Aktion und Solidarität (PAS) will in ihrer zweiten
Amtszeit in dem völlig verarmten Agrarland mit seinen 2,5 Millionen
Einwohnern, das EU-Beitrittskandidat ist, Reformen durchsetzen. Dabei
gilt die im Sommer bevorstehende Parlamentswahl als nächste
politische Herausforderung. Denn Sandu kann die Veränderungen nur
angehen, wenn sie die bisherige Mehrheit in der Volksversammlung
verteidigt.
Die Wahlbeteiligung lag höher als bei der ersten Runde am 20. Oktober
und zwar bei über 54 Prozent. Die Führung in Moldau warf Russland am
Wahltag massive Einmischung vor. Der Kreml hatte ähnliche Vorwürfe
beim ersten Wahlgang zurückgewiesen und Beweise verlangt.
Stoianoglo ruft Anhänger zur Ruhe auf
Sandu hatte schon im ersten Wahlgang die meisten Stimmen (42,45
Prozent) unter den insgesamt elf Kandidaten erhalten. Stoianoglo, der
für die Partei der Sozialisten des moskaufreundlichen Ex-Präsidenten
Igor Dodon antrat, kam auf 25,98 Prozent.
Der 57-Jährige, der im Land selbst die Mehrheit mit 51,19 Prozent der
Stimmen erhielt, wandte sich in Chisinau auch auf Russisch an seine
Landsleute und bat alle, Ruhe zu bewahren. «Moldau braucht Stabilität
und keinen künstlichen Konflikt», sagte er. Die Zeit des Hasses und
der Spaltung im Land müsse enden. In seiner Heimatregion Gagausien,
einem autonomen Gebiet, kam er sogar auf 97,04 Prozent.
Sandu galt zwar als Favoritin, stand aber auch in der Kritik wegen
mangelnder wirtschaftlicher und sozialer Fortschritte. Ihrem Gegner
Stoianoglo werfen Kritiker vor, er sei eine Marionette korrupter
Oligarchen und ein Kandidat Moskaus. Der Westen schaut genau auf die
Ergebnisse.
Chisinau: Illegaler Wählertransport
Sandus nationaler Sicherheitsberater Stanislav Secrieru warf Russland
massive Wahleinmischung vor. Er warnte auf der Plattform X vor der
Gefahr eines verzerrten Ergebnisses. Die Behörden seien alarmiert. In
der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien, wo russische Truppen
stationiert sind, gebe es organisierte Wählertransporte zu den
Abstimmungen; das sei illegal, sagte er.
Der Vertraute von Amtsinhaberin Sandu veröffentlichte auch Berichte
über organisierte Transporte von Russland aus mit Bussen und
Charterflügen, die Wähler in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku,
in die türkische Metropole Istanbul und in die belarussische
Hauptstadt Minsk flögen.
Secrieru veröffentlichte zudem ein in sozialen Netzwerken
kursierendes Video, auf dem Menschen angeblich ihre moldauischen
Pässe in einem Flugzeug hochhalten und auf dem Weg nach Minsk sind.
Zuvor hatte es Beschwerden gegeben, dass in Moskau nur zwei
Wahllokale geöffnet wurden für die Stimmabgabe der in Russland
lebenden Moldauer. Der Flug sei ein klarer Beweis von einem breit
angelegten organisierten Wählertransport, sagte Secrieru.
Schon im Vorfeld Verstöße gegen Wahlrecht beklagt
Sicherheitsbehörden in der Hauptstadt Chisinau deckten schon im
Vorfeld Desinformation und Wählerkauf durch prorussische Kräfte auf.
In dem Land waren mehrere russischsprachige Fernsehkanäle und
Internetplattformen blockiert worden. Auch am Wahltag selbst
berichteten Menschen in der Hauptstadt Chisinau im Gespräch mit
Reportern der Deutschen Presse-Agentur, sie hätten in der vergangenen
Woche Anrufe erhalten mit der Bitte, für Stoianoglo zu stimmen.
Einige sagten auch, dass ihnen dafür Geld angeboten worden sei.
Sandu hatte nach der ersten Wahlrunde ebenfalls von Wählerkauf
gesprochen. Sie hatte vor zwei Wochen zudem parallel ein Referendum
angesetzt über die Verankerung des EU-Kurses in der Verfassung des
Landes. Die Befürworter setzten sich mit hauchdünnem Vorsprung durch,
das Verfassungsgericht bestätigte die Gültigkeit des Ergebnisses.
Russland hingegen will das Agrarland, das wegen seiner
landwirtschaftlichen Produkte wie Äpfel, Pflaumen, Weintrauben und
Nüssen gefragt ist, in seinem Einflussbereich halten.
EU-Politiker reagieren erleichtert auf Sandus Wiederwahl
Führende EU-Vertreter und europäische Politiker reagierten
erleichtert auf Sandus Wiederwahl. EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen gratulierte der Politikerin und lobte ihre
Durchsetzungsfähigkeit. «Es erfordert eine seltene Art von Stärke,
die Herausforderungen zu meistern, mit denen Sie bei dieser Wahl
konfrontiert waren», schrieb von der Leyen auf der Plattform X. «Ich
freue mich, weiter mit Ihnen auf eine europäische Zukunft für die
Republik Moldau und ihr Volk hinzuarbeiten.»
Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, schrieb
bei X, Sandu habe sich «für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine
europäische Zukunft» eingesetzt und dabei «außergewöhnlichen Mut
und
Führungsstärke bewiesen».
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich ebenfalls erfreut.
«Die Demokratie hat über alle Einmischungen und Manöver triumphiert
»,
schrieb er bei X.
Auch Polens Regierungschef Donald Tusk äußerte sich vorsichtig
optimistisch. «Trotz der aggressiven und massiven Einmischung
Russlands» bei der Wahl habe die prowestliche Sandu
«höchstwahrscheinlich den Favoriten Moskaus besiegt», schrieb Tusk
auf der Plattform X. «Hoffen wir, dass sich dieser Trend in den
kommenden Tagen und Monaten auch in anderen Ländern fortsetzen wird»,
fügte er hinzu.