Was die US-Wahl für Deutschland und Europa bedeutet Von Ansgar Haase und Michael Fischer, dpa

05.11.2024 03:45

Ob Handel, Klimaschutz oder Sicherheit: Europa ist in vielen
Bereichen abhängig von guten transatlantischen Beziehungen. Deswegen
schaut man auch in Brüssel und Berlin gebannt auf den Wahlausgang.

Brüssel/Berlin (dpa) - Donald Trump oder Kamala Harris? Auch für
Deutschland und Europa ist die Abstimmung über die Nachfolge von
US-Präsident Joe Biden eine Schicksalswahl. Die Verflechtungen mit
den Vereinigten Staaten sind im wirtschaftlichen Bereich riesig und
haben im Verteidigungsbereich sogar existenzielle Dimensionen. Ganz
akut könnte sich die Wahl auf die Krise der Ampel-Koalition in Berlin
auswirken.

Droht im Fall eines Wahlsiegs von Trump ein Rückzug der USA aus der
Nato?

Konkrete Hinweise darauf gibt es nicht. Trump prangerte im Wahlkampf
zwar erneut an, dass ein Teil der europäischen Alliierten die
Bündnisziele bei den Verteidigungsausgaben verfehlt und weckte
Zweifel daran, ob die USA unter seiner Führung uneingeschränkt zur
Beistandsverpflichtung stehen würden. Frühere Austrittsdrohungen
wiederholte er allerdings nicht. 

In der Nato wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass viele
europäische Alliierte ihre Verteidigungsausgaben in den vergangenen
Jahren erheblich gesteigert haben. Auch Deutschland ist inzwischen
bei den zwei Prozent Anteil der Militärausgaben an der
Wirtschaftsleistung angekommen, die Trump in seiner ersten Amtszeit
vehement eingefordert hat.

Wie steht Harris zur Nato? 

Für den Fall eines Wahlsiegs von Kamala Harris müssen sich die
Nato-Verbündeten wohl keine Sorgen machen, im Stich gelassen zu
werden. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar gab sie den
Verbündeten als Vizepräsidentin mit sehr deutlichen Worten ein
Versprechen ab: «Unser heiliges Bekenntnis zur Nato bleibt eisern»,
sagte sie damals. «Und ich glaube, (...) dass die Nato das größte
Militärbündnis ist, das die Welt je gesehen hat.»

Was ist mit der Unterstützung der Ukraine?

Vor allem aus Sicht der ost- und mitteleuropäischen Nato-Staaten ist
das die relevanteste Frage. Trump behauptete im Wahlkampf mehrfach,
den russischen Angriffskrieg in 24 Stunden beenden zu können. In
Brüssel wird deswegen befürchtet, dass er die Ukraine über einen
Stopp der Militärhilfe in Verhandlungen mit Russland zwingen könnte.
In denen könnte Kremlchef Wladimir Putin dann auch ein Verzicht auf
eine weitere Nato-Osterweiterung angeboten werden. Aus Sicht der
meisten europäischen Staaten wäre ein solches Vorgehen ein
ungeheuerlicher und zugleich brandgefährlicher Tabu-Bruch. Putin
könnte seinen Krieg dann als Erfolg verbuchen und zu weiteren
Aggressionen verleitet werden.

Könnte die Ukraine ihren Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren
auch ohne US-Hilfe fortsetzen?

Kurzfristig ja, langfristig vermutlich nicht. Um unabhängiger vom
US-Engagement zu werden, baut die Nato derzeit in Wiesbaden ein
Ukraine-Kommando auf. Dieses soll sich um die Koordinierung von
Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen
Streitkräfte kümmern und damit Aufgaben übernehmen, die bislang von
den USA wahrgenommen werden. Bei einem Ausstieg der USA aus der
Ukraine-Hilfe käme Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant eine

maßgebliche Rolle zu. Die Bundesregierung wäre aber nicht annähernd
in der Lage, die Lücke zu füllen - selbst dann nicht, wenn sie eine
Notlage feststellen und erneut die Schuldenbremse aussetzen würde.

Welche Auswirkungen könnte der Wahlausgang auf die Wirtschafts- und
Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA haben?

Trump hat im Wahlkampf angekündigt, auf Importe aus Weltregionen wie
Europa neue Zölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent einführen zu wollen.

Damit will er den Produktionsstandort US stärken und das aktuelle
Handelsdefizit abbauen. Es ist Trump ein Dorn im Auge, dass
europäische Unternehmen deutlich mehr Waren in den USA verkaufen als
amerikanische Unternehmen in der EU. Für Unternehmen aus der EU waren
die USA 2023 der wichtigste Waren-Exportmarkt

Wie könnte die EU reagieren?

Für den Fall eines Wahlsiegs von Trump werden in Brüssel bereits
Vorbereitungen für einen neuen großen Handelskonflikt getroffen.
Sollte Trump neue Zölle einführen, würde die EU aller Voraussicht
nach mit Vergeltungszöllen auf US-Importe reagieren. Im Idealfall
wären diese so folgenreich für US-Hersteller, dass sie Trump an den
Verhandlungstisch zwingen, wo dann eine einvernehmliche Lösung
gefunden wird.

Was für Branchen könnte der Handelskonflikt treffen?

Besonders hart könnte es für die deutsche Autoindustrie und ihre
Zulieferer werden. Für Hersteller wie Volkswagen, BMW und
Mercedes-Benz sind die USA zusammen mit China der wichtigste
Absatzmarkt außerhalb der EU. Sonderzölle hätten voraussichtlich
erhebliche negative Auswirkungen. Erneut eskalieren könnte auch der
Konflikt um von Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführte
Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte. Dieser konnte durch
einen Deal mit Noch-Präsident Biden entschärft werden - dessen
Laufzeit endet allerdings im März kommenden Jahres.

Kann die Wirtschaft in Europa im Fall eines Wahlsiegs von Harris
aufatmen?

Spitzenpolitiker in Brüssel bezweifeln das. Es wird zwar damit
gerechnet, dass die Beziehungen weniger konfrontativ sein werden,
handelspolitisch werden allerdings weiter schwierige Zeiten erwartet.
EU-Ratspräsident Charles Michel sagte jüngst in Brüssel, die USA
seien bedauerlicherweise ein protektionistisches Land. Er machte
deutlich, dass er nicht davon ausgeht, dass sich daran nach der Wahl
etwas ändern wird - ganz unabhängig vom Ausgang.

In welchen Bereichen könnte die US-Wahl noch Auswirkungen haben?

Sollten die USA im Fall eines Wahlsiegs von Trump die Klimaziele
lockern und weniger gegen die Erderwärmung unternehmen, könnten
extreme Wetterereignisse verstärkt werden, was sich auch in Europa
durch intensivere Sommerhitze, Waldbrände und Überschwemmungen
bemerkbar machen könnte. Ein Wahlsieg von Trump könnten zudem
populistischen und migrationsfeindlichen Parteien Rückenwind
verschaffen. Deren Argumentation könnte dann sein: Warum sollen wir
offen bleiben, wenn es der wichtigste transatlantische Partner auch
nicht ist.

Was bedeutet die Wahl für die Krise der Ampel-Regierung? 

Es könnte sein, dass die US-Wahl die drei Ampel-Partner doch noch
einmal zusammenschweißt - wenn Trump gewinnt. In einer solchen
Situation, die weltweit Unsicherheit auslösen würde, wäre es nur
schwer zu verantworten, wenn sich Deutschland als drittgrößte
Volkswirtschaft der Welt vorübergehend von der internationalen Bühne
abmelden würde. Genau das würde passieren, wenn nach einem Ampel-Aus
im Herbst für Anfang März eine Neuwahl des Bundestags angesetzt
würde. In den ersten Monaten einer möglichen Amtszeit Trumps ab dem
20. Januar würde Deutschland erst in der heißen Phase des Wahlkampfs
und dann in den Koalitionsverhandlungen stecken und wäre in dieser
Zeit nur bedingt handlungsfähig.

Hat Europa Lehren aus der ersten Amtszeit Trumps gezogen?

Nicht so richtig. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat zwar
mehrere Vorstöße für mehr europäische Souveränität gemacht - bi
s hin
zu einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit bei der nuklearen
Abschreckung. Die Bundesregierungen von Angela Merkel (CDU) und Olaf
Scholz (SPD) wollten davon aber nicht viel wissen. Zwar sind die
Verteidigungsausgaben hochgefahren worden, aber längst nicht
ausreichend, um auf eigenen Beinen zu stehen. 

Könnte die US-Wahl daran etwas ändern? Äußerungen von Kanzler Schol
z
von diesem Montag deuten darauf hin. In einer Pressekonferenz mit dem
neuen Nato-Generalsekretär Mark Rutte sagte er, der europäische
Pfeiler der Nato müsse in den kommenden Jahren mit erheblichen
Investitionen weiter gestärkt werden. Und ergänzte dann: «Es geht
darum, jeder Bedrohung der Sicherheit in Europa begegnen zu können.»