Prowestliche Präsidentin siegt in Moldau - EU erleichtert Von Ulf Mauder und Katharina Schröder, dpa
04.11.2024 19:01
In dem zwischen Russland und dem Westen hin- und hergerissenen Land
Moldau wird die prowestliche Präsidentin Sandu im Amt bestätigt - zur
Freude von EU-Politikern. Aber leicht wird es nicht für sie.
Chisinau (dpa) - Nach ihrem Sieg bei der Präsidentenwahl in der
Republik Moldau will die prowestliche Staatschefin Maia Sandu das
unter russischem Einfluss stehende Land weiter mit Reformen in die EU
führen. «Wir brauchen Zusammenhalt», sagte die 52-Jährige in der
Hauptstadt Chisinau auch auf Russisch nach ihrem Sieg in der
Stichwahl. Mit Blick auf das starke Abschneiden ihres Herausforderers
Alexandr Stoianoglo erklärte sie, eine Präsidentin für alle sein zu
wollen.
Sandu hatte dank der Hunderttausenden Moldauer im Ausland - vor allem
in der EU - gewonnen. Im Land selbst vereinte der frühere
Generalstaatsanwalt Stoianoglo, der sich für wirtschaftliche
Beziehungen zu Moskau einsetzt, die Mehrheit der Stimmen auf sich.
Sandu von der proeuropäischen Partei Aktion und Solidarität (PAS) kam
auf 55,35 Prozent der Stimmen, wie die Wahlleitung in Chisinau nach
Auszählung aller Wahlzettel mitteilte. Der 57 Jahre alte Stoianoglo,
der seine Anhänger zur Ruhe aufrief, unterlag laut vorläufigem
amtlichem Endergebnis demnach mit 44,65 Prozent der Stimmen.
Das zwischen dem Westen und Russland hin- und hergerissene
Nachbarland von EU-Mitglied Rumänien müsse Hass und Spaltung
überwinden, mahnte er. «Moldau braucht Stabilität und keinen
künstlichen Konflikt.» Stoianoglo kam im Land selbst auf die Mehrheit
mit 51,19 Prozent der Stimmen. In seiner Heimatregion Gagausien,
einem autonomen Gebiet, kam er sogar auf 97,04 Prozent. Gegner werfen
Stoianoglo vor, er sei eine Marionette korrupter Oligarchen und ein
Kandidat Moskaus.
Das verarmte Agrarland Moldau hat rund 2,5 Millionen Einwohner und
ist wie die benachbarte Ukraine EU-Beitrittskandidat. Die
Wahlbeteiligung lag mit über 54 Prozent höher als in der ersten Runde
am 20. Oktober.
Gratulationen aus aller Welt
Sandu erhielt Gratulationen nicht nur aus den Nachbarländern Ukraine
und Rumänien. Auch die Bundesregierung, die EU, China und viele
weitere Staaten beglückwünschten sie. Aus Russland kam keine
Gratulation, nachdem der Kreml Vorwürfe der Wahleinmischung scharf
zurückgewiesen und Beweise gefordert hatte.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teilte auf der Plattform X mit, Sandu
habe die Republik Moldau sicher durch schwere Zeiten gesteuert und
den europäischen Kurs ihres Landes gesetzt. Außenministerin Annalena
Baerbock (Grüne) schrieb auf der Plattform: «Die Menschen in Moldau
haben entschieden: Die Mehrheit von ihnen will den Weg in die EU
entschlossen weitergehen.»
Sandu sei erfolgreich gewesen trotz «beispielloser Einmischung durch
Russland, einschließlich Stimmenkauf und Desinformationskampagnen»,
teilten die EU-Kommission und der Außenbeauftragte Josep Borrell mit.
Die EU werde das Land weiter auf seinem Weg begleiten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte Sandus
Durchsetzungsfähigkeit. «Es erfordert eine seltene Art von Stärke,
die Herausforderungen zu meistern», schrieb von der Leyen auf X.
Sandu vor nächster Herausforderung: Parlamentswahl
Dabei gilt die im Sommer bevorstehende Parlamentswahl als nächste
große politische Herausforderung. Denn Sandu kann die Veränderungen
nur angehen, wenn sie die bisherige Mehrheit in der Volksversammlung
verteidigt.
Der prominente moldauische Journalist und Politologe Vladimir
Solovyov sagte Medien in Chisinau zufolge, dass es Sandu schwer haben
werde, weil sie im Land selbst keine Mehrheit habe. «Die Ergebnisse
der zweiten Runde sind kein Sieg», sagte er mit Blick auf die große
Unzufriedenheit der Menschen mit der wirtschaftlichen und sozialen
Lage. «Im Land verlieren und im Allgemeinen nur dank der Diaspora
gewinnen, das ist keine Alarmglocke, sondern eine heulende Sirene.»
Die Parlamentswahl werde noch wesentlich härter, weil Sandu auch die
Menschen auf dem Land erreichen müsse, sagte die Expertin Brigitta
Triebel von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau der
Deutschen Presse-Agentur. Wichtig sei die Justizreform, um das Land
widerstandsfähiger gegen externe Wahlbeeinflussung zu machen. Die
Überwindung der Spaltung zwischen prowestlichen Kräften in der
Hauptstadt und im Ausland und den unter russischem Einfluss stehenden
Regionen Gagausien und Transnistrien sei eine Generationenaufgabe.
Die Partei der Sozialisten des prorussischen Ex-Präsidenten Igor
Dodon, für die Stoianoglo angetreten war, erkannte das Ergebnis - wie
das früherer Wahlen - nicht an. Stoianoglo sei mit den meisten
Stimmen im Land der Präsident des Volkes, teilten die Sozialisten in
der Hauptstadt Chisinau mit. Die Partei stört sich traditionell
daran, dass Wahlen immer wieder von Moldauern im Ausland entschieden
werden. Die Entscheidung wird aus Sicht von politischen Beobachtern
zunächst ohne Folgen bleiben. Stoianoglo selbst hatte das Ergebnis
anerkannt und zur Ruhe aufgerufen.
Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
(OSZE) bewerteten die Wahl als überwiegend positiv. Allerdings habe
sie gezeigt, wie gespalten das Land sei.
Chisinau wirft Moskau massive Wahleinmischung vor
Begleitet wurde die Stichwahl wie schon die erste Runde von
Manipulationsvorwürfen. Sandus nationaler Sicherheitsberater
Stanislav Secrieru warf Russland massive Wahleinmischung vor. Die
Behörden seien alarmiert. In der von Moldau abtrünnigen Region
Transnistrien, wo russische Truppen stationiert sind, gebe es
organisierte Wählertransporte zu den Abstimmungen; das sei illegal,
sagte er.
Der Vertraute von Sandu veröffentlichte auch Berichte über
organisierte Transporte von Russland aus mit Bussen und
Charterflügen, die Wähler in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku,
in die türkische Metropole Istanbul und in die belarussische
Hauptstadt Minsk flögen.
Sicherheitsbehörden in Chisinau deckten schon im Vorfeld
Desinformation und Wählerkauf durch prorussische Kräfte auf. In dem
Land waren mehrere russischsprachige Fernsehkanäle und
Internetplattformen blockiert worden. Auch am Wahltag selbst
berichteten Menschen in Chisinau im Gespräch mit dpa-Reportern, sie
hätten in der vergangenen Woche Anrufe erhalten mit der Bitte, für
Stoianoglo zu stimmen. Einige sagten auch, dass ihnen dafür Geld
angeboten worden sei.
Sandu hatte nach der ersten Abstimmungsrunde ebenfalls von Wählerkauf
gesprochen. Sie hatte vor zwei Wochen zudem parallel ein Referendum
angesetzt über die Verankerung des EU-Kurses in der Verfassung des
Landes. Die Befürworter setzten sich mit hauchdünnem Vorsprung durch,
das Verfassungsgericht bestätigte die Gültigkeit des Ergebnisses.
Russland hingegen will das Land, das wegen seiner
landwirtschaftlichen Produkte wie Äpfel, Pflaumen, Weintrauben und
Nüssen gefragt ist, in seinem Einflussbereich halten.
Das russische Außenministerium bezeichnete die Abstimmung indes als
die undemokratischste seit der Unabhängigkeit des Landes vor mehr als
30 Jahren. In Moskau seien nur zwei Wahllokale von den moldauischen
Behörden zugelassen worden - für geschätzt 500.000 Bürger des Lande
s,
während für die gleiche Zahl in Westeuropa und in den USA 200
Wahllokale eingerichtet worden seien, hieß es.