Was Trumps Wahlsieg für Deutschland und Europa bedeutet Von Ansgar Haase und Michael Fischer, dpa
06.11.2024 11:53
Kanzler Scholz und andere europäische Staats- und Regierungschefs
hatten bei der US-Wahl auf einen Sieg von Kamala Harris gehofft. Wird
es für Deutschland und die EU nun richtig ungemütlich?
Brüssel/Berlin (dpa) - In Berlin und Brüssel gibt es keine Zweifel:
Der Wahlsieg Donald Trumps hat tiefgreifende Auswirkungen auf die
traditionell engen Beziehungen zwischen Amerika und der Europäischen
Union. Aber wird wirklich alles viel schlimmer als mit einer
Präsidentin Kamala Harris? Das glaubt nicht jeder.
Die wichtigsten europäischen Verbündeten der USA waren jedenfalls am
Morgen ziemlich schnell mit ihren Gratulationen, die dann auch noch
ziemlich freundlich ausfielen. «Ich bin bereit, zusammenzuarbeiten,
wie wir es vier Jahre lang getan haben», schrieb der französische
Präsident Emmanuel Macron auf X. «Mit Ihren Überzeugungen und mit
meinen. Mit Respekt und Ehrgeiz. Für mehr Frieden und Wohlstand.»
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ nicht lange auf sich warten.
«Gemeinsam arbeiten Deutschland und die USA seit langem erfolgreich
zusammen, um Wohlstand und Freiheit auf beiden Seiten des Atlantiks
zu fördern. Das werden wir zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger
fortsetzen.»
Man will es sich auf keinen Fall sofort wieder verscherzen mit dem
Rückkehrer ins Weiße Haus. Aber die Unsicherheit ist groß, was Trump
vorhat.
Droht mit Trump ein Rückzug der USA aus der Nato?
Konkrete Hinweise darauf gibt es nicht. Trump prangerte im Wahlkampf
zwar erneut an, dass ein Teil der europäischen Alliierten die
Bündnisziele bei den Verteidigungsausgaben verfehlt und weckte
Zweifel daran, ob die USA unter seiner Führung uneingeschränkt zur
Beistandsverpflichtung stehen. Frühere Austrittsdrohungen wiederholte
er allerdings nicht.
In der Nato wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass viele
europäische Alliierte ihre Verteidigungsausgaben in den vergangenen
Jahren erheblich gesteigert haben. Auch Deutschland ist inzwischen
bei den zwei Prozent Anteil der Militärausgaben an der
Wirtschaftsleistung angekommen, die Trump in seiner ersten Amtszeit
vehement eingefordert hat.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte schrieb nach der US-Wahl auf der
Plattform X, Trumps Führungsstärke werde von entscheidender Bedeutung
sei, um das Bündnis stark zu halten. «Ich freue mich darauf, wieder
mit ihm zusammenzuarbeiten, um über die Nato den Frieden durch Stärke
zu fördern.»
Was ist mit der Unterstützung der Ukraine?
Vor allem aus Sicht der ost- und mitteleuropäischen Nato-Staaten ist
das die relevanteste Frage. Trump behauptete im Wahlkampf mehrfach,
den russischen Angriffskrieg in 24 Stunden beenden zu können. In
Brüssel wird deswegen befürchtet, dass er die Ukraine über einen
Stopp der Militärhilfe in Verhandlungen mit Russland zwingen könnte.
In denen könnte Kremlchef Wladimir Putin dann auch ein Verzicht auf
eine weitere Nato-Osterweiterung angeboten werden. Aus Sicht der
meisten europäischen Staaten wäre ein solches Vorgehen ein
ungeheuerlicher und brandgefährlicher Tabu-Bruch. Putin könnte seinen
Krieg dann als Erfolg verbuchen und zu weiteren Aggressionen
verleitet werden.
Nato-Generalsekretär Rutte gab sich allerdings in den vergangenen
Wochen relativ entspannt mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg.
«Hören Sie auf, sich vor einer Trump-Präsidentschaft zu sorgen»,
sagte er im Oktober. «Ich weiß, dass er es vollkommen versteht und
mit mir darin übereinstimmt, dass es bei diesem Kampf in der Ukraine
nicht nur um die Ukraine geht. Es geht auch um die Sicherheit und die
zukünftige Sicherheit der Vereinigten Staaten.»
Bei einem Ausstieg der USA aus der Ukraine-Hilfe käme Deutschland als
zweitgrößter Waffenlieferant eine maßgebliche Rolle zu. Die
Bundesregierung wäre aber nicht annähernd in der Lage, die Lücke zu
füllen - selbst dann nicht, wenn sie eine Haushaltsnotlage
feststellen und erneut die Schuldenbremse aussetzen würde.
Welche Auswirkungen könnte der Wahlausgang auf die Wirtschafts- und
Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA haben?
Trump hat im Wahlkampf angekündigt, auf Importe in die Vereinigten
Staaten neue Zölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent einführen zu wollen
- für Produkte aus China sogar in Höhe von 60 Prozent. Damit will er
den Produktionsstandort USA stärken und das aktuelle Handelsdefizit
abbauen. Es ist Trump ein Dorn im Auge, dass europäische Unternehmen
deutlich mehr Waren in den USA verkaufen als amerikanische
Unternehmen in der EU. Für Unternehmen aus der EU waren die USA 2023
der wichtigste Waren-Exportmarkt
Wie könnte die EU reagieren?
In Brüssel werden die Äußerungen von Trump zu den Zöllen sehr ernst
genommen. Für den Fall seines Wahlsiegs wurden in den vergangenen
Monaten deswegen bereits Vorbereitungen für einen neuen großen
Handelskonflikt getroffen. Sollte Trump neue Zölle einführen, würde
die EU aller Voraussicht nach mit Vergeltungszöllen auf US-Importe
reagieren. Im Idealfall wären diese so folgenreich für US-Hersteller,
dass sie Trump an den Verhandlungstisch zwingen, wo dann eine
einvernehmliche Lösung gefunden wird. Mit großer Sorge wird in
Brüssel gesehen, dass hohe US-Zölle auf Waren aus China dazu führen
könnten, dass diese dann auf den Markt in Europa gebracht werden und
dort europäischen Herstellern das Leben schwer machen.
Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, warnte Trump
direkt an diesem Mittwoch vor Regelbrüchen und Alleingängen. «Die EU
wird ihren Kurs im Einklang mit ihrer strategischen Agenda als
starker, geeinter, wettbewerbsfähiger und souveräner Partner
verfolgen und gleichzeitig das regelbasierte multilaterale System
verteidigen», schrieb er zusammen mit Glückwünschen an den
Republikaner.
Was für Branchen könnte der Handelskonflikt treffen?
Besonders hart könnte es für die deutsche Autoindustrie und ihre
Zulieferer werden. Für Hersteller wie Volkswagen, BMW und
Mercedes-Benz sind die USA zusammen mit China der wichtigste
Absatzmarkt außerhalb der EU. Sonderzölle hätten voraussichtlich
erhebliche negative Auswirkungen. Erneut eskalieren könnte auch der
Konflikt um von Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführte
Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte. Dieser konnte durch
einen Deal mit Noch-Präsident Biden entschärft werden - dessen
Laufzeit endet allerdings im März kommenden Jahres.
In welchen Bereichen könnte der Wahlsieg von Trump noch Auswirkungen
haben?
Sollten die USA unter Trump die Klimaschutzziele lockern, erneut wie
schon 2020 aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen und weniger gegen
die Erderwärmung unternehmen, könnten extreme Wetterereignisse
verstärkt werden, was sich auch in Europa durch intensivere
Sommerhitze, Waldbrände und Überschwemmungen wie jüngst in Spanien
bemerkbar machen könnte. Trump könnte zudem populistischen und
migrationsfeindlichen Parteien Rückenwind verschaffen. Deren
Argumentation könnte dann sein: Warum sollen wir offen bleiben, wenn
es der wichtigste transatlantische Partner auch nicht ist. In
Feierstimmung ist etwa der ungarische Regierungschef Viktor Orban. Er
bezeichnete Trumps Wahlerfolg am Mittwochmorgen als dringend
benötigten Sieg für die Welt.
Wie könnte die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA künftig
ablaufen?
In Brüssel wird damit gerechnet, dass die Beziehungen wie schon in
der ersten Amtszeit von Trump sehr transaktional sein werden. Das
heißt, es würde primär um unmittelbare, gegenseitige Vorteile gehen,
anstatt um die langfristige, strategische Partnerschaft. Trump gehe
es um Deals, die er bei seinen Anhängern als Erfolg verkaufen könne,
sagt ein EU-Beamter. Das müsse für die EU nicht zwangsläufig schlecht
sein, weil sie vor allem im Handelsbereich auch Druckmittel habe.
Was bedeutet die Wahl für die Krise der Ampel-Regierung?
Es könnte sein, dass die US-Wahl die drei Ampel-Partner doch noch
einmal zusammenschweißt. Angesichts der weltweiten Unsicherheit, die
Trump auslösen könnte, wäre es nur schwer vermittelbar, wenn sich die
drittgrößte Volkswirtschaft der Welt vorübergehend von der
internationalen Bühne abmeldet. Genau das würde passieren, wenn nach
einem baldigen Ampel-Aus Anfang nächsten Jahres eine Neuwahl des
Bundestags stattfinden würde. In den ersten Monaten einer möglichen
Amtszeit Trumps ab dem 20. Januar würde Deutschland dann entweder in
der heißen Phase des Wahlkampfs oder in Koalitionsverhandlungen
stecken und wäre in dieser Zeit nur bedingt handlungsfähig.