Europa und Trump: Ausgestreckte Hand und geballte Faust Von Ansgar Haase und Michael Fischer, dpa

06.11.2024 17:42

Kanzler Scholz und andere europäische Staats- und Regierungschefs
hatten bei der US-Wahl auf einen Sieg von Kamala Harris gehofft. Wird
es für Deutschland und die EU nun richtig ungemütlich?

Brüssel/Berlin (dpa) - Die ersten Gratulationen für den künftigen
US-Präsidenten Donald Trump aus Europa ließen nicht lange auf sich
warten und fielen überraschend freundlich aus. Ganz vorn dabei war
der französische Präsident Emmanuel Macron. «Ich bin bereit,
zusammenzuarbeiten, wie wir es vier Jahre lang getan haben. Mit Ihren
Überzeugungen und mit meinen. Mit Respekt und Ehrgeiz. Für mehr
Frieden und Wohlstand», schrieb er an Trump auf X.

Wenig später folgte auch der deutsche Bundeskanzler mit Gratulationen
erst auf X und dann vor den Kameras im Kanzleramt. Er bot Trump eine
Fortsetzung der verlässlichen Partnerschaft zwischen Deutschland und
den USA an: «Gemeinsam können wir viel mehr durchsetzen als
gegeneinander.» 

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Europa weiß sehr genau,
wie dramatisch Trump die transatlantischen Beziehungen verändern
kann. Viele wollten das lange Zeit nicht wahrhaben und setzten auf
die Hoffnung, dass die Demokratin Kamala Harris die Nachfolgerin von
US-Präsident Joe Biden werden würde. Nun sind sie gezwungen, sich auf
die zweite Ära Trump mit all ihren Ungewissheiten vorzubereiten. Wie
schlimm es mit dem Rückkehrer ins Weiße Haus wird, mag niemand so
richtig abschätzen.

Droht mit Trump ein Rückzug der USA aus der Nato?

Konkrete Hinweise darauf gibt es nicht. Trump prangerte im Wahlkampf
zwar erneut an, dass ein Teil der europäischen Alliierten die
Bündnisziele bei den Verteidigungsausgaben verfehlt und weckte
Zweifel daran, ob die USA unter seiner Führung uneingeschränkt zur
Beistandsverpflichtung stehen. Frühere Austrittsdrohungen wiederholte
er allerdings nicht. 

In der Nato wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass viele
europäische Alliierte ihre Verteidigungsausgaben in den vergangenen
Jahren erheblich gesteigert haben. Auch Deutschland ist inzwischen
bei den zwei Prozent Anteil der Militärausgaben an der
Wirtschaftsleistung angekommen, die Trump in seiner ersten Amtszeit
vehement eingefordert hat.

Nato-Generalsekretär Mark Rutte ließ nach Trumps Wahlsieg mitteilen:
«Durch die Nato haben die USA 31 Freunde und Verbündete, die dazu
beitragen, die Interessen der USA zu fördern, die amerikanische Macht
zu vervielfachen und die Sicherheit der Amerikaner zu gewährleisten.»
Zusammen repräsentierten die Bündnispartner die Hälfte der
wirtschaftlichen und militärischen Stärke der Welt. Durch die
Zusammenarbeit in der Nato trage man dazu bei, Aggressionen
abzuschrecken, die kollektive Sicherheit zu schützen und die
Wirtschaft zu unterstützen.

Was ist mit der Unterstützung der Ukraine?

Vor allem aus Sicht der ost- und mitteleuropäischen Nato-Staaten ist
das die relevanteste Frage. Trump behauptete im Wahlkampf mehrfach,
den russischen Angriffskrieg in 24 Stunden beenden zu können. In
Brüssel wird deswegen befürchtet, dass er die Ukraine über einen
Stopp der Militärhilfe in Verhandlungen mit Russland zwingen könnte.
In denen könnte Kremlchef Wladimir Putin dann auch ein Verzicht auf
eine weitere Nato-Osterweiterung angeboten werden. Aus Sicht der
meisten europäischen Staaten wäre ein solches Vorgehen ein
ungeheuerlicher und brandgefährlicher Tabu-Bruch. Putin könnte seinen
Krieg dann als Erfolg verbuchen und zu weiteren Aggressionen
verleitet werden.

Bei einem Ausstieg der USA aus der Ukraine-Hilfe käme Deutschland als
zweitgrößter Waffenlieferant eine maßgebliche Rolle zu. Die
Bundesregierung wäre aber nicht annähernd in der Lage, die Lücke zu
füllen - selbst dann nicht, wenn sie eine Haushaltsnotlage
feststellen und erneut die Schuldenbremse aussetzen würde.

Welche Auswirkungen hat die Wahl auf die Wirtschaftsbeziehungen?

Trump hat im Wahlkampf angekündigt, auf Importe in die Vereinigten
Staaten neue Zölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent einführen zu wollen

- für Produkte aus China sogar in Höhe von 60 Prozent. Damit will er
den Produktionsstandort USA stärken und das aktuelle Handelsdefizit
abbauen. Es ist Trump ein Dorn im Auge, dass europäische Unternehmen
deutlich mehr Waren in den USA verkaufen als amerikanische
Unternehmen in der EU. Für Unternehmen aus der EU waren die USA 2023
der wichtigste Waren-Exportmarkt

Wie könnte die EU reagieren?

In Brüssel werden die Äußerungen von Trump zu den Zöllen sehr ernst

genommen. Für den Fall seines Wahlsiegs wurden in den vergangenen
Monaten deswegen bereits Vorbereitungen für einen neuen großen
Handelskonflikt getroffen. Sollte Trump neue Zölle einführen, würde
die EU aller Voraussicht nach mit Vergeltungszöllen auf US-Importe
reagieren. Im Idealfall wären diese so folgenreich für US-Hersteller,
dass sie Trump an den Verhandlungstisch zwingen, wo dann eine
einvernehmliche Lösung gefunden wird. Mit großer Sorge wird in
Brüssel gesehen, dass hohe US-Zölle auf Waren aus China dazu führen
könnten, dass diese dann auf den Markt in Europa gebracht werden und
dort europäischen Herstellern das Leben schwer machen.

Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, warnte Trump
gleich nach dessen Wahl vor Regelbrüchen und Alleingängen. «Die EU
wird ihren Kurs im Einklang mit ihrer strategischen Agenda als
starker, geeinter, wettbewerbsfähiger und souveräner Partner
verfolgen und gleichzeitig das regelbasierte multilaterale System
verteidigen», schrieb er zusammen mit Glückwünschen an den
Republikaner.

Was für Branchen könnte der Handelskonflikt treffen?

Besonders hart könnte es für die deutsche Autoindustrie und ihre
Zulieferer werden. Für Hersteller wie Volkswagen, BMW und
Mercedes-Benz sind die USA zusammen mit China der wichtigste
Absatzmarkt außerhalb der EU. Sonderzölle hätten voraussichtlich
erhebliche negative Auswirkungen. Erneut eskalieren könnte auch der
Konflikt um von Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführte
Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte. Dieser konnte durch
einen Deal mit Noch-Präsident Biden entschärft werden - dessen
Laufzeit endet allerdings im März kommenden Jahres.

Auf wen kommt es in der EU jetzt an?

Eigentlich auf die zwei größten Volkswirtschaften der EU, also auf
Scholz und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die beiden
telefonierten bereits am Morgen nach der Wahl miteinander, um über
die Folgen des Wahlergebnisses zu sprechen. «Man hat vereinbart, sich
dazu eng miteinander zu koordinieren», hieß es anschließend von
deutscher Seite. In den vergangenen drei Jahren haben die beiden es
aber nicht vermocht, eine gemeinsame europapolitische Linie zu
finden. 

Die Vorstöße Macrons für mehr europäische Souveränität waren sc
hon
bei der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf wenig Interesse
gestoßen. Bei Scholz war das bisher nicht anders. Das könnte sich
jetzt aber vielleicht ändern. «Die Europäische Union muss eng
zusammenstehen und geschlossen handeln», sagte Scholz in seiner
ersten Reaktion auf die Trump-Wahl. Darauf wolle er als Kanzler
hinarbeiten. Die erste Nagelprobe gibt es in den kommenden beiden
Tagen, wenn die Staats- und Regierungschefs der EU in Budapest
zusammenkommen. 

Was bedeutet die Wahl für die Krise der Ampel-Regierung? 

Vorher muss Scholz in Berlin aber erst einmal seine Regierung
zusammenhalten. Auch darauf könnte die Wahl Trumps aber Auswirkungen
haben. Angesichts der weltweiten Unsicherheit, die Trump auslösen
könnte, wäre es nur schwer vermittelbar, wenn sich die drittgrößte

Volkswirtschaft der Welt vorübergehend von der internationalen Bühne
abmeldet. Genau das würde passieren, wenn nach einem baldigen
Ampel-Aus Anfang nächsten Jahres eine Neuwahl des Bundestags
stattfinden würde. In den ersten Monaten einer möglichen Amtszeit
Trumps ab dem 20. Januar würde Deutschland dann entweder in der
heißen Phase des Wahlkampfs oder in Koalitionsverhandlungen stecken
und wäre in dieser Zeit nur bedingt handlungsfähig.