Europäer ringen nach Wahlsieg von Trump um Kurs

07.11.2024 14:49

Unter Donald Trump könnte die Hilfe für die Ukraine am seidenen Faden
hängen. Mehr als 40 Staats- und Regierungschefs aus Europa suchen
nach einer Antwort - und plötzlich geht es um Pflanzenfresser.

Budapest (dpa) - Europa ringt nach dem Wahlsieg von Donald Trump um
einen gemeinsamen Kurs in der Ukraine- und Sicherheitspolitik. Zu
einem Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG)
in Budapest machte Gastgeber Viktor Orban deutlich, dass er den
Wiedereinzug des Republikaners ins Weiße Haus als Chance für einen
schnellen Frieden in der Ukraine sieht. Andere Staats- und
Regierungschefs betonten hingegen, dass die Ukraine nicht durch ein
Kürzen von Unterstützung in Verhandlungen mit Russland gezwungen
werden dürfe.

«Ich hoffe, dass wir ein offenes Gespräch mit den Vereinigten Staaten
über die Fortsetzung ihrer Unterstützung führen können», sagte et
wa
der belgische Regierungschef Alexander De Croo. «Aber wenn sie sich
entscheiden sollten, ihre Haltung zu ändern, bedeutet das nicht, dass
wir unsere Prioritäten ändern müssen.» Er verwies darauf, dass
bereits heute mehr als die Hälfte der militärischen Unterstützung f
ür
die Ukraine aus europäischen Ländern komme. «Die ganze Vorstellung,
dass die Unterstützung für die Ukraine von den Vereinigten Staaten
abhängt (...), ist nicht zutreffend», sagte er bei dem Treffen der
EPG, die neben den 27 EU-Staaten noch 20 andere europäische Länder
wie Großbritannien, die Ukraine und die Türkei vereint.

Muss die Ukraine nun mit Russland verhandeln?

Trump hat zuvor im Wahlkampf mehrfach behauptet, den russischen
Angriffskrieg in 24 Stunden beenden zu können. In Europa wird
deswegen befürchtet, dass er die Ukraine über einen Stopp der
Militärhilfe in Verhandlungen mit Russland zwingen könnte. Aus Sicht
der meisten europäischen Staaten wäre ein solches Vorgehen ein
gefährlicher Tabu-Bruch. Putin könnte seinen Krieg dann als Erfolg
verbuchen und zu weiteren Aggressionen verleitet werden, heißt es.

Moskau fordert von Kiew unter anderem die Abtretung von vier derzeit
teilweise durch russische Truppen besetzten Gebieten - zuzüglich der
bereits 2014 annektierten Krim.

Für die Europäer stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht
illusorisch ist, zu denken, dass sie die Ukraine ohne die USA
ausreichend unterstützen können, um gegen Russland bestehen zu
können. Orban bezweifelt dies und fordert eine neue Strategie der EU
für die von Russland angegriffene Ukraine.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnte unterdessen
Trump vor Zugeständnissen an Kremlchef Wladimir Putin. «Es liegt in
unserem gemeinsamen Interesse, dass wir nicht zulassen, dass der
Nachbar den anderen tyrannisiert, sondern dass wir für Fairness und
die Integrität der Länder sorgen und diese verteidigen», sagte die
Deutsche. 

Regierungschefs beschwören gutes Verhältnis zu USA

Andere Spitzenpolitiker werben für eine enge Zusammenarbeit mit
Trump, aber auch für ein starkes Auftreten Europas. «Trump wird die
Interessen der Amerikaner verteidigen, die Frage ist, ob wir bereit
sind, die Interessen der Europäer zu verteidigen», sagte etwa
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und sprach sich dafür aus, dass
die Europäer im übertragenen Sinne «Allesfresser» sein sollten. «
Die
Welt besteht aus Pflanzenfressern und Fleischfressern. Wenn wir uns
entscheiden, Pflanzenfresser zu bleiben, werden die Fleischfresser
gewinnen, und wir werden ein Markt für sie sein.» Er wolle nicht
aggressiv sein, aber es gehe um Verteidigungsfähigkeit.

Die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen betonte, aus ihrer
Sicht müsse alles getan werden, um ein gutes Verhältnis zu den USA
aufrechtzuerhalten. «Das transatlantische Bündnis ist das wichtigste
Bündnis für uns als Europäer», sagte sie. 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, man könne
derzeit noch nicht wissen, wie Trump konkret handeln werde. Sein
erstes Gespräch mit ihm nach der Wahl sei aber gut und produktiv
gewesen. In einer Videobotschaft am Vorabend hat er die weitere
Partnerschaft zwischen den USA und seinem Land in Kriegszeiten
beschworen. Wenn Trump das in seiner ersten Präsidentschaft geltende
Motto «Frieden durch Stärke» umsetze, werde die ganze Welt davon
profitieren, sagte er.

Ampel-Aus auch Thema für Europa

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm wegen des Bruchs seiner
Regierungskoalition nicht an dem EPG-Gipfel teil. Er wollte
allerdings am Donnerstagabend noch nach Budapest reisen. Dann beginnt
dort im direkten Anschluss an den EPG-Gipfel ein Treffen der Staats-
und Regierungschefs der EU-Staaten. Europäische Partner äußerten die

Hoffnung, dass es in Deutschland schnell wieder eine stabile
Regierung gibt. Der finnische Regierungschef Petteri Orpo sagte, es
brauche eine starke und vereinte deutsche Regierung in Europa.