Selenskyj wirft Europäern nach US-Wahl Kuschen vor Putin vor Von Ansgar Haase, Katharina Redanz und Regina Wank, dpa

07.11.2024 20:05

Die Europäer ringen nach dem Wahlsieg von Donald Trump um einen
gemeinsamen Kurs in der Ukrainepolitik. Bei einem Gipfel gibt es
deutliche Warnungen - auch vor Fleischfressern.

Budapest (dpa) - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft
europäischen Partnern nach dem Wahlsieg von Donald Trump vor, die
Ukraine zu Zugeständnissen gegenüber Russland zu drängen. Ohne Namen

zu nennen, warnte er bei einem Gipfeltreffen der Europäischen
Politischen Gemeinschaft (EPG) in Budapest vor den Folgen. 

Das wäre selbstmörderisch für Europa, sagte er. Man müsse auf das
Konzept «Frieden durch Stärke» setzen. Es sei illusorisch, zu
glauben, mit Zugeständnissen an Kremlchef Wladimir Putin einen
gerechten Frieden erreichen zu können.

Unter anderem Gipfel-Gastgeber Viktor Orban und Serbiens Präsident
Aleksandar Vucic hatten zuvor deutlich gemacht, dass sie den
Wiedereinzug des Republikaners Trump ins Weiße Haus als Chance für
eine schnelle Beendigung des Krieges in der Ukraine sehen. Dieser
hatte zuvor im Wahlkampf mehrfach behauptet, den russischen
Angriffskrieg innerhalb von 24 Stunden beenden zu können. 

Orban sagte nach dem Gipfel: «Die Zahl derer, die Frieden wollen,
wird immer größer.» Mit der Wahl in den USA sei dieses Lager noch
einmal gestärkt worden. Es gehe nicht um Sieg oder Scheitern, sondern
um einen Waffenstillstand. Dem hielt Selenskyj entgegen: Man habe
bereits 2014 versucht, einen Waffenstillstand zu erreichen. Dann habe
die Ukraine die Krim-Halbinsel verloren und sei 2022 von Russland
angegriffen worden. «Ein Waffenstillstand ist die Vorbereitung auf
die Zerstörung unserer Souveränität, unserer Unabhängigkeit», sag
te
Selenskyj.

Vor allem osteuropäische Staaten wie Litauen oder Estland befürchten,
dass Trump die Ukraine über einen Stopp der Militärhilfe in
Verhandlungen mit Russland zwingen könnte. Aus Sicht vieler
europäischen Staaten wäre ein solches Vorgehen ein gefährlicher
Tabu-Bruch. Putin könnte seinen Krieg dann als Erfolg verbuchen und
zu weiteren Aggressionen verleitet werden, hieß es.

Plan für entmilitarisierte Zone?

Das «Wall Street Journal» berichtete am Donnerstag, eine der Ideen im
Trump-Lager sei, dass die Ukraine versprechen solle, mindestens 20
Jahre lang nicht der Nato beizutreten. Im Gegenzug würden die USA das
Land weiterhin mit Waffen versorgen. Zu dem Plan gehöre auch eine
entmilitarisierte Zone entlang des Frontverlaufs.

Strategie der Ukraine-Unterstützer ist es nun, Trump über einen
intensiven Dialog vor allzu drastischen Entscheidungen abzuhalten.
«Ich hoffe, dass wir ein offenes Gespräch mit den Vereinigten Staaten
über die Fortsetzung ihrer Unterstützung führen können», sagte et
wa
der belgische Regierungschef Alexander De Croo in Budapest. Wenn sie
sich dennoch entscheiden sollten, ihre Haltung zu ändern, bedeute
dies aber auch nicht, dass man seine eigenen Prioritäten ändern
müsse.

Für die Europäer stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht
illusorisch sei, zu denken, dass sie die Ukraine ohne die USA
ausreichend unterstützen können, um gegen Russland bestehen zu
können. Politiker wie Ungarns Regierungschef Orban bezweifeln dies
und fordern eine neue Strategie der EU für die von Russland
angegriffene Ukraine.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wirbt hingegen für einen
offensiven Umgang mit den Herausforderungen durch das Ergebnis der
US-Wahl. «Trump wird die Interessen der Amerikaner verteidigen, die
Frage ist, ob wir bereit sind, die Interessen der Europäer zu
verteidigen», sagte er und sprach sich dafür aus, dass die Europäer
im übertragenen Sinne «Allesfresser» sein sollten. «Die Welt besteh
t
aus Pflanzenfressern und Fleischfressern. Wenn wir uns entscheiden,
Pflanzenfresser zu bleiben, werden die Fleischfresser gewinnen, und
wir werden ein Markt für sie sein.» Er wolle nicht aggressiv sein,
aber es gehe um Verteidigungsfähigkeit.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte die Hoffnung,

dass ein Sieg Putins auch aus Sicht Trumps ein sehr schlechtes
Szenario wäre. «Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass wir
nicht zulassen, dass der Nachbar den anderen tyrannisiert, sondern
dass wir für Fairness und die Integrität der Länder sorgen und diese

verteidigen», sagte die Deutsche.

Ampel-Aus auch Thema für Europa

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm wegen des Bruchs seiner
Regierungskoalition nicht an dem EPG-Gipfel teil. Er wollte
allerdings am Donnerstagabend noch nach Budapest reisen. Dann beginnt
dort im direkten Anschluss an den EPG-Gipfel ein Treffen der Staats-
und Regierungschefs der EU-Staaten. Europäische Partner äußerten die

Hoffnung, dass es in Deutschland schnell wieder eine stabile
Regierung gibt. Der finnische Regierungschef Petteri Orpo sagte, es
brauche eine starke und vereinte deutsche Regierung in Europa.