Wüst fordert fairen Umgang im Bundestagswahlkampf Von Dorothea Hülsmeier und Maximilian von Klenze, dpa
12.11.2024 15:59
Am 23. Februar wird der neue Bundestag gewählt. Der Ministerpräsident
des bevölkerungsreichsten Bundeslands gibt sich präsidial und mahnt
bis zur Wahl die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung an.
Düsseldorf (dpa/lnw) - Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik
Wüst (CDU) ist zwar nicht Kanzlerkandidat der Union geworden, aber
nach dem Bruch der Ampel-Koalition warnt er vor einem brachialen
Wahlkampf in Deutschland wie in den USA. «Wenn es keine Fakten mehr
gibt, sondern nur noch Meinungen, gibt es auch kein Richtig und kein
Falsch. Es gibt auch keine Wahrheit und keine Lüge mehr», sagte Wüst
in Düsseldorf.
Der CDU-Politiker begrüßte, dass es mit dem 23. Februar jetzt endlich
Klarheit gebe über den Termin für die vorgezogene Bundestagswahl. Der
Umgangsstil der scheidenden Ampel-Koalitionäre lasse für den
Wahlkampf allerdings nichts Gutes erahnen. «Die politische
Handlungsunfähigkeit, die permanenten Streitereien haben einen
enormen Vertrauensschaden ausgelöst bei Wirtschaft, Arbeitnehmern, in
der Gesellschaft, bei den Menschen im Land insgesamt.» Dabei
erforderten die Wirtschaftskrise, russische Bodengewinne in der
Ukraine, die weiter bestehenden Herausforderungen bei der Migration
und Sicherheitsfragen dringend eine entschlossene Handlungsfähigkeit
der Bundesregierung.
Deutschland müsse eine Führungsrolle in der Europäischen Union
einnehmen. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA werde es
keine Schonfrist geben. Der künftige US-Präsident werde durchregieren
können und es sei zu befürchten, dass er seinen Äußerungen schnell
Taten folgen lasse. Die neue Bundesregierung müsse in der Lage sein,
Trump zu begegnen.
Bis zur Neuwahl des Bundestags können nach Einschätzung von Wüst noch
einige Gesetzesvorhaben der verbliebenen rot-grünen
Minderheitsregierung mit Unterstützung der Union umgesetzt werden.
Die Unions-Bundestagsfraktion habe sich in dieser Wahlperiode immer
wieder als konstruktiver Partner erwiesen, die Hälfte der
Ampel-Gesetzgebungsvorhaben habe die Union mitgetragen. Chancen sieht
Wüst etwa für die Verabschiedung der Krankenhausreform von
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sogar für die
noch blockierten Teile des Sicherheitspakets der Bundesregierung.
Wo gespart wird und wo nicht
Zur Halbzeit seiner schwarz-grünen Landesregierung zählte Wüst auf,
wie viele Hunderte Millionen Euro in Schulen und Kitas fließen - wohl
auch, um damit den für Mittwoch angekündigten großen Protesten gegen
Sozialkürzungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wüst verwies auf
Sparzwänge, die aus niedrigen Wachstumsprognosen resultierten. Die
Landesregierung sei wie auch die Bundesregierung gezwungen,
Prioritäten zu setzen: Es koste eben viel Geld, Energiekosten
abzufedern, Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst zu finanzieren,
Schulden zu tilgen und in Bildung zu investieren.
Die Forderung der Opposition, Geld aus den sogenannten
Selbstbewirtschaftungsmitteln der Ministerien zu entnehmen und auf
die Kürzungen zu verzichten, wies Wüst zurück. Die Mittel seien
bereits gebunden. «Deswegen ist da kein Sack Geld, den wir noch
irgendwie verstecken.» Wenn wirklich noch Geld da wäre, würde er auch
nicht erstmals neue Milliarden-Schulden im Rahmen der
Konjunkturkomponente der Schuldenbremse aufnehmen, so Wüst.
Geld für das Sicherheitspaket, das die Landesregierung als Konsequenz
aus dem Terroranschlag von Solingen mit drei Toten geschnürt hat,
wird aber trotz des Sparkurses bereitgestellt. 400 Millionen Euro und
228 zusätzliche Stellen über alle Bereiche hinweg kündigte Wüst an.
Mit den Mitteln sollen unter anderem der Verfassungsschutz gestärkt
und virtuelle Ermittler eingesetzt werden. Außerdem würden die
Verwaltungsgerichte für schnellere Asylverfahren gerüstet und eine
zweite Abschiebehaft sei in Planung. Die Mittel würden über eine Zeit
verteilt, in der das Geld gebraucht werde.
Maßnahmen zum Bürokratieabbau und ein Fehlereingeständnis
Entlastung versprach Wüst beim Bürokratieabbau. Das Landeskabinett
habe rund 30 Maßnahmen für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen
beschlossen. Berichtspflichten und die Notwendigkeit für die
Schriftform würden bei einigen Dingen teils abgeschafft.
Planungsrecht, Emissionsschutzrecht und Verfahren für die Genehmigung
von Schwerlast- und Großraumtransporten würden ebenso vereinfacht wie
das Naturschutzrecht sowie Vergabeverfahren.
Der Regierungschef gestand in seiner Bilanz auch einen Fehler ein. So
würde er nicht noch einmal in den Koalitionsvertrag schreiben, dass
NRW ein Gesetz für den Offenen Ganztag bekommen werde. Ein solches
Gesetz blockiere den Ausbau der Ganztagsplätze, da die Kommunen
dadurch mit immer mehr Standards überfordert würden; das sei
inzwischen klar geworden. Dass das im schwarz-grünen
Koalitionsvertrag angekündigte Gesetz nicht komme, hatte die
Opposition immer wieder kritisiert. Wüst sagte dazu: «Politik ist
dynamisch.»
«Schwarz-Grün muss man können»
Letztlich zeigte sich Wüst nach zweieinhalb Jahren Schwarz-Grün sehr
zufrieden und lobte das Funktionieren der Koalition. Trotzdem sei man
jetzt demokratischer Wettbewerber vor der Bundestagswahl. Und es sei
auch kein Geheimnis, dass die Grünen den Sozialdemokraten an vielen
Stellen näher seien. «Man muss Schwarz-Grün auch können», mahnte
Wüst
wohl auch in Richtung von CSU und CDU im Bund, wo Bündnisse mit
Grünen teils abgelehnt werden.
Gerade in der jetzigen Situation müsse man bereit sein, übergreifend
in politischen Lagern konstruktiv miteinander umzugehen. Natürlich
könnten sich die Parteien streiten wie die Kesselflicker. «Aber
politische Wettbewerber dürfen nicht zu Feinden werden, jedenfalls
nicht, wenn sie sich im demokratischen Spektrum aufhalten.»