EU-Chefdiplomat schlägt Aussetzen von Dialog mit Israel vor

13.11.2024 22:40

Brisanter Vorstoß vor einem EU-Außenministertreffen: Der Chefdiplomat
der Europäischen Union will über die Kritik an Israels Art der
Kriegsführung reden - und bringt zugleich Strafmaßnahmen ins Spiel.

Brüssel (dpa) - EU-Chefdiplomat Josep Borrell schlägt den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor, den regelmäßigen
politischen Dialog mit Israel auszusetzen. Hintergrund seien Berichte
unabhängiger internationaler Organisationen, die den Schluss
nahelegten, dass Israel Menschenrechte und internationales
humanitäres Völkerrecht verletze, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur
am Abend in Brüssel von EU-Beamten.

Der im Ausschuss der ständigen Vertreter der EU-Staaten mündlich
angekündigte Vorstoß soll nun beim nächsten Außenministertreffen
diskutiert werden. Dieses findet am kommenden Montag statt. 

Der politische Dialog mit Israel wird über ein sogenanntes
Assoziationsabkommen aus dem Jahr 2000 geregelt. Er sieht unter
anderem einen regelmäßigen Austausch zur Stärkung der Beziehungen und

zur Weiterentwicklung der Partnerschaft vor. Festgehalten ist dort
auch, dass die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien auf der
Achtung der Menschenrechte und der Grundsätze der Demokratie beruhen.

Mehrere EU-Staaten fordern seit Monaten Konsequenzen 

Borrell hatte bereits im Oktober angekündigt, dass er bei dem
nächsten Außenministertreffen eine Debatte über Israels Art der
Kriegsführung im Gazastreifen und im Libanon führen will. Wie
Mitarbeiter des Spaniers damals erklärten, könnten dann bei einer
einstimmigen Einschätzung zulasten Israels sofort auch Konsequenzen
veranlasst werden. Spanien und Irland hatten bereits vor mehreren
Monaten angeregt, das Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und
Israel auf den Prüfstand zu stellen. In diesem geht es neben dem
Dialog auch um die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bereichen wie
Industrie, Energie, Verkehr und Tourismus.

Diplomaten betonten nun, den institutionellen politischen Dialog
auszusetzen, bedeute nicht, das sogenannte Assoziationsabkommen oder
den Assoziationsrat auszusetzen. Stattdessen könne es sogar sein,
dass dieses Thema im Assoziationsrat mit Israel besprochen werde,
hieß es.

Der Vorstoß Borrells ist nach Angaben von Diplomaten auch damit zu
erklären, dass die EU Israel bereits vor längerem um ein Treffen des
Assoziationsrats gebeten hatte, um dort über die Situation im
Gazastreifen und die Vorwürfe gegen Israel sprechen zu können. Über
die Organisation einer Zusammenkunft kann allerdings schon seit
mehreren Monaten keine Einigung mit der israelischen Regierung
erzielt werden.

Für Umsetzung braucht es Einstimmigkeit

Dass der Vorschlag Borrells für ein Aussetzen des Dialogs die
notwendige einstimmige Zustimmung findet, gilt als unwahrscheinlich.
Grund ist, dass Länder wie Ungarn und Tschechien bislang klar auf der
Seite Israels stehen. EU-Beamte betonen aber, aus Sicht Borrells
könne schon die Diskussion unter den Mitgliedstaaten ein deutliches
politisches Signal darstellen.

Wie sich die Bundesregierung positionieren wird, war zunächst unklar.
In den vergangenen Monaten hatten sich Vertreter mehrfach kritisch zu
Vorstößen für Strafmaßnahmen geäußert und betont, dass
Gesprächskanäle offen gehalten werden müssten.

Borrell steht vor Abschied

Der Israel-Vorstoß könnte die letzte große diplomatische Initiative
Borrells vor seinem Ausscheiden aus dem Amt des EU-Außenbeauftragten
sein. Als seine Nachfolgerin haben die Mitgliedstaaten bereits im
Sommer die frühere estnische Regierungschefin Kaja Kallas ausgewählt.
Sie kann den Spitzenposten übernehmen, wenn das Europäische Parlament
die neue EU-Kommission bestätigt. Das Verfahren dazu läuft bereits.
Borrell war am 1. Dezember 2019 ins Amt gekommen.