EU-Chefdiplomat will Dialog mit Israel aussetzen Von Ansgar Haase, dpa

14.11.2024 14:43

Kurz vor dem EU-Außenministertreffen präsentiert der Chefdiplomat der
Europäischen Union einen brisanten Vorschlag. Er kritisiert Israels
Art der Kriegsführung - und bringt Strafmaßnahmen ins Spiel.

Brüssel (dpa) - Als Reaktion auf die israelische Kriegsführung im
Gazastreifen will EU-Chefdiplomat Josep Borrell den regelmäßigen
politischen Dialog mit Israel aussetzen. Wie ein Sprecher des
Spaniers in Brüssel sagte, soll über einen entsprechenden Vorschlag
beim Außenministertreffen am kommenden Montag diskutiert werden.
Grund für ein Aussetzen des Dialogs könnte demnach die
Schlussfolgerung sein, dass Israel im Zuge seines Vorgehens gegen die
Hamas und andere Terrororganisationen gegen Menschenrechte und
internationales humanitäres Völkerrecht verstößt.

Der Sprecher betonte, dass es bei dem Vorstoß nicht um einen Abbruch
aller Kontakte, sondern um ein Einfrieren des politischen Dialogs
geht, der Teil eines sogenannten Assoziationsabkommens aus dem Jahr
2000 ist. Dieser sieht unter anderem einen regelmäßigen Austausch zur
Stärkung der Beziehungen und zur Weiterentwicklung der Partnerschaft
vor.

Festgehalten ist dort auch, dass die Beziehungen zwischen den
Vertragsparteien auf der Achtung der Menschenrechte und der
Grundsätze der Demokratie beruhen. Dieser Passus könnte nun genutzt
werden, um Teile des Assoziationsabkommen auszusetzen.

Auswärtiges Amt will Gesprächskanäle offenhalten

Dass der Vorschlag Borrells für ein Aussetzen des Dialogs die
benötigte einstimmige Zustimmung findet, gilt unterdessen als
unwahrscheinlich. So hieß es am Donnerstag aus dem Auswärtigen Amt in
Berlin, man setze sich dafür ein, Gesprächskanäle offenzuhalten. Ein

Abbruch des Dialogs helfe weder den notleidenden Menschen in Gaza,
noch den Geiseln, die weiter von der Hamas festgehalten würden, noch
all jenen in Israel, die auf Gesprächsbereitschaft setzten. Auch eine
Zustimmung von Ländern wie Ungarn und Tschechien wird in Brüssel
nicht erwartet.

EU-Beamte betonten unterdessen, den institutionellen politischen
Dialog auszusetzen, bedeute nicht, das Assoziationsabkommen oder den
Assoziationsrat auszusetzen. Stattdessen könne es sogar sein, dass
dieses Thema im Assoziationsrat mit Israel besprochen werde, hieß es.

Der Vorstoß Borrells ist nach Angaben von Diplomaten auch damit zu
erklären, dass die EU Israel bereits vor längerem um ein Treffen des
Assoziationsrats gebeten hatte, um dort über die Situation im
Gazastreifen und die Vorwürfe gegen Israel sprechen zu können. Über
die Organisation einer Zusammenkunft kann allerdings schon seit
mehreren Monaten keine Einigung mit der israelischen Regierung
erzielt werden. 

EU-Beamte sagten der Deutschen Presse-Agentur, Borrell wisse, dass
sein Vorschlag vermutlich nicht angenommen werde. Er setze aber
darauf, dass schon die Diskussion darüber ein deutliches politisches
Signal an Israel darstelle.

Baerbock offen für Sanktionen gegen Minister

Bereits seit längerem diskutiert werden in der EU mögliche Sanktionen
gegen israelische Regierungsmitglieder, denen
Menschenrechtsverletzungen und Aufstachelung zum Hass vorgeworfen
werden. So hatte Borrell zuletzt einen Vorschlag für Strafmaßnahmen
gegen Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar
Ben-Gvir vorgelegt. 

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte nun im
ZDF-«Morgenmagazin» zu dem Thema, wenn einzelne israelische Minister
die Frage der Existenz der Palästinenser infrage stellten, müsse dies
auch auf europäischer Ebene sanktioniert werden. 

Israel: Abschussrampe in humanitärer Zone im Gazastreifen zerstört 

Derweil geht das Blutvergießen im Krieg Israels mit den Islamisten
der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah-Miliz im Libanon weiter.
Israels Luftwaffe griff Militärangaben zufolge binnen 24 Stunden mehr
als 100 Ziele im Gazastreifen und im Libanon an. Darunter seien
Waffenlager und Kommandozentralen gewesen, teilte die Armee mit.

In der humanitären Zone im Süden Gazas zerstörten die israelischen
Streitkräfte eigenen Angaben zufolge eine Raketenabschussrampe der
Hamas. Sie sei auf Israel ausgerichtet gewesen und habe eine direkte
Bedrohung für die Zivilgesellschaft dargestellt, hieß es. Die
Streitkräfte warfen der Hamas vor, die humanitäre Zone und zivile
Gebäude für ihre terroristischen Aktivitäten zu missbrauchen.

Sechs israelische Soldaten im Libanon getötet

Bei Kämpfen im Südlibanon wurden nach Angaben der israelischen Armee
sechs Soldaten getötet. Sie seien bei einem Schusswechsel mit vier
Hisbollah-Terroristen in einem Gebäude ums Leben gekommen,
berichteten mehrere israelische Medien unter Berufung auf eine erste
Untersuchung der Streitkräfte.

Der aktuelle Konflikt zwischen Israel und der proiranischen Hisbollah
begann vor mehr als einem Jahr mit den Raketenangriffen der
libanesischen Miliz zur Unterstützung der im Gazastreifen unter
Beschuss stehenden Hamas. Auslöser dafür war das Massaker der Hamas
und anderer Terroristen am 7. Oktober 2023 in Israel, bei dem rund
1.200 Menschen getötet und 250 weitere als Geiseln nach Gaza
verschleppt wurden. Auf palästinensischer Seite wurden im Krieg
Zehntausende Menschen getötet, die meisten davon Zivilisten. Die
genauen Zahlenangaben lassen sich faktisch nicht unabhängig
überprüfen.