Erste Alzheimer-Therapie in EU zur Zulassung empfohlen
14.11.2024 19:34
Allein in Deutschland leben mehr als eine Million Menschen mit
Alzheimer. Einigen davon könnte das Medikament Lecanemab helfen. Für
eine Gruppe von Patienten wird das Mittel nun empfohlen.
Amsterdam (dpa) - Die europäische Arzneimittel-Behörde EMA hat für
die EU erstmals grünes Licht für eine Alzheimer-Therapie gegeben, die
auf zugrundeliegende Krankheitsprozesse abzielt. Die Behörde empfahl
die Zulassung des Antikörpers Lecanemab zur Behandlung von leichter
kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder
leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit.
Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit,
nicht ursächliche Prozesse im Gehirn. Bei der EMA-Empfehlung gibt es
allerdings eine Einschränkung: Das Mittel solle nur für
Alzheimer-Patienten verwendet werden, die nur eine oder keine Kopie
von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein
Apolipoprotein E, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für
bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen - Schwellungen und Blutungen
im Gehirn - geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.
Zunächst abgelehnt
Die für die Zulassung zuständige EU-Kommission folgt gewöhnlich dem
Votum der Behörde. Hersteller von Lecanemab sind die
Pharmaunternehmen Eisai (Japan) und Biogen (USA). Im Juli hatte die
EU-Arzneimittelbehörde eine Zulassung noch abgelehnt: Das Risiko
schwerer Nebenwirkungen des Antikörpers sei höher zu bewerten als die
erwartete positive Wirkung, hieß es. Die Hersteller hatten eine
zweite Prüfung beantragt.
Der Humanarzneimittelausschuss (CHMP) der EMA kam nun zu dem Schluss,
dass in der begrenzten Population, die bei der erneuten Prüfung
untersucht wurde, der Nutzen von Lecanemab bei der Verlangsamung des
Fortschreitens der Krankheitssymptome größer ist als die Risiken. Bei
der ersten Prüfung waren noch keine Untergruppenanalysen
berücksichtigt worden, sondern alle Patienten.
Nebenwirkungen in der Untergruppe seltener
Bei den mit Lecanemab behandelten Patienten mit nur einer oder keiner
ApoE4-Kopie traten demnach bei 8,9 Prozent Ödeme auf, im Mittel aller
Patienten bei 12,6 Prozent. Mikroblutungen gab es bei 12,9 Prozent
der Patienten mit nur einer oder keiner ApoE4-Kopie, verglichen mit
16,9 Prozent der breiteren Population. Bei den Patienten mit nur
einer oder keiner ApoE4-Kopie, die mit Placebo (einer
Scheinbehandlung) behandelt wurden, lagen die Werte für Schwellungen
bei 1,3 Prozent und für Blutungen bei 6,8 Prozent, wie es von der EMA
hieß.
Hauptmaßstab für die Wirksamkeit war die Veränderung der kognitiven
und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand einer
Demenzbewertungsskala (CDR-SB) gemessen wurde. Die Skala reicht von 0
bis 18, wobei höhere Punktzahlen eine stärkere Beeinträchtigung
anzeigen. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen nach 18 Monaten
im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22
gegenüber 1,75). Das deute auf einen langsameren kognitiven Abbau
hin, teilte die EMA mit.
Regelmäßige Kontrollen nötig
Die Behörde betont in ihrer Stellungnahme, dass es zwingend Maßnahmen
zur Risikominimierung geben müsse. Vor Beginn der Behandlung und vor
der 5., 7. und 14. Lecanemab -Dosis müssen bei den Patienten demnach
MRT-Scans durchgeführt werden, zusätzliche Scans bei Warnzeichen wie
Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schwindel.
Der Antikörper, der seit Anfang 2023 bereits unter dem Handelsnamen
Leqembi in den USA zugelassen ist, soll das Proteinfragment
beta-Amyloid (Aß) aus dem Gehirn entfernen. «Amyloid ß steht
vermutlich am Beginn einer Kaskade der neuronalen pathologischen
Veränderungen im Gehirn», sagte Jörg Schulz von der Uniklinik Aachen,
Sprecher der Kommission «Demenz und Kognitive Störungen» der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Alzheimer ist eine Volkskrankheit
In Deutschland sind etwa eine Million Menschen von der
Alzheimer-Krankheit betroffen. Der nun empfohlene Antikörper
Lecanemab bessert die Symptomatik nicht, sondern soll lediglich das
Fortschreiten der Krankheit bremsen. Daher wird er nur für Betroffene
im frühen Stadium der Erkrankung empfohlen. Verabreicht wird der
Antikörper alle zwei Wochen durch eine intravenöse Infusion, die
unter Aufsicht erfolgen muss.
Fachleute wie Frank Jessen vom Deutschen Zentrum für
Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Köln gehen zwar davon aus,
dass das Mittel relativ schnell in Deutschland verfügbar sein wird.
Allerdings dürfte es dann noch eine Weile dauern, bis es an den
Fachzentren eine abgestimmte und verantwortungsbewusste Einführung
der Therapie gibt. Jessen nimmt aber an, dass einige Ärzte das Mittel
auch schon vorher abgeben. «Weil der Druck von Patienten hoch
ist. Viele sagen auch: Ich zahle das sofort selbst aus eigener
Tasche.»