Krisentest der Aufseher: Milliardenrisiko Klimawandel
19.11.2024 12:40
Der Umbau der Wirtschaft von «braun» zu «grün» ist eine gewaltige
Herausforderung. Für Finanzinstitute könnte er auch Verluste mit sich
bringen. In welcher Höhe zeigt ein übergreifender Stresstest.
Frankfurt/Paris (dpa) - Die Milliardenherausforderung des grünen
Umbaus der Wirtschaft gepaart mit konjunkturellen Schocks könnte für
Europas Banken und Versicherer zu erheblichen Verlusten führen. Zu
diesem Fazit kommen die Bankenaufsicht EBA, die Versicherungsaufsicht
EIOPA, die Wertpapieraufsicht ESMA und die Europäische Zentralbank
(EZB) in einem ersten sektorübergreifenden Klimastresstest: «In den
untersuchten Szenarien ist es unwahrscheinlich, dass Übergangsrisiken
allein die Finanzstabilität gefährden. Wenn jedoch Übergangsrisiken
mit makroökonomischen Schocks kombiniert werden, können sie die
Verluste für Finanzinstitute erhöhen und zu Störungen führen.»
EU-Klimaziele als Ausgangspunkt
Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, ihren Ausstoß des
Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich
zum Jahr 1990 zu senken. Bis 2050 will die EU klimaneutral sein - das
heißt: Klimaschädliche Gase wie CO2 sollen von da an vermieden oder
gespeichert werden. Dafür soll vor allem das Gesetzespaket «Fit for
55» unter dem Dach des sogenannten Green Deal sorgen. Die Strategie
umfasst Maßnahmen in verschiedenen Bereichen wie Energie, Verkehr,
Industrie und Landwirtschaft.
Für den Umbau der Wirtschaft von «braun» zu «grün» sind
Milliardensummen nötig. Das eröffnet Investitionschancen. Zugleich
jedoch nehmen Kreditrisiken infolge des Klimawandels zu. Die Aufseher
sollten ergründen, wie widerstandsfähig das Finanzsystem im Einklang
mit dem «Fit-for-55»-Paket ist und inwiefern die Finanzinstitute auch
unter Stressbedingungen in der Lage wären, den klimafreundlichen
Umbau der Wirtschaft zu unterstützen.
Mehrere Szenarien durchgespielt
Betrachtet wurde in dem Stresstest ein Zeitraum von acht Jahren (2022
bis 2030). Bewertet wurden die Folgen der folgenden drei Szenarien
für 110 Banken, 2.331 Versicherer, 629 Einrichtungen der
betrieblichen Altersversorgung - das sind etwa Pensionskassen - und
etwa 22.000 in der EU ansässige Fonds:
- Das Basisszenario simuliert einen reibungslosen und rechtzeitigen
Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft, bei dem die
Regierungen die politischen Maßnahmen des «Fit-for-55-Pakets»
umsetzen. Die Wirtschaft wächst, die Energiepreise sind relativ
stabil.
- Das erste Negativszenario geht davon aus, dass sich Investoren im
Zuge der Neubewertung von Klimarisiken von Vermögenswerten
kohlenstoffintensiver Unternehmen trennen.
- Im zweiten Negativszenario kommen zum Preisverfall bei bestimmten
Vermögenswerten noch makroökonomische Stressfaktoren hinzu. So wird
beispielsweise ein erheblicher Anstieg der Gas- und Kohlenstoffpreise
unterstellt.
Drohende Milliardeneinbußen
Im schlimmsten Fall könnten sich die Kredit- und Marktverluste von
Banken den Berechnungen der Aufseher zufolge auf 638 Milliarden Euro
summieren - das wären 10,9 Prozent der betrachteten Engagements. Bei
Versicherern würde der Wert ihrer Kapitalanlagen im zweiten
Negativszenario um 18,8 Prozent beziehungsweise 1.285 Milliarden Euro
sinken, bei Pensionskassen wären es sogar 21,5 Prozent (379 Mrd
Euro).
Aus Deutschland mussten sich unter anderem Deutsche Bank und
Commerzbank, die Landesbanken BayernLB, Helaba, LBBW und NordLB, DZ
Bank und Dekabank sowie Deutschlands größte deutsche Sparkasse, die
Hamburger Haspa, dem Test stellen. Auswirkungen auf die
Kapitalanforderungen für Finanzinstitute sollen die Ergebnisse nicht
haben.