Umstrittenes Personal für neue EU-Kommission
21.11.2024 04:23
Nach erbittertem Streit haben sich die Fraktionen im EU-Parlament auf
die künftige Besetzung der Europäischen Kommission geeinigt. Unter
den designierten Ressortchefs sind gleich mehrere Reizfiguren.
Brüssel (dpa) - Trotz vehementer Kritik aus dem EU-Parlament werden
der künftigen Europäischen Kommission voraussichtlich mehrere
politische Reizfiguren angehören. Neben dem rechten italienischen
Politiker Raffaele Fitto als designiertem Vizepräsidenten der
mächtigen Institution stieß auch die Berufung eines Gefolgsmanns des
ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban auf Protest. Dennoch
einigten sich die großen Fraktionen im EU-Parlament auf diese und
weitere Personalien im Team von Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen. Darunter ist auch der neu geschaffene Posten des
Verteidigungskommissars, den ein früherer Regierungschef aus
Russlands Nachbarstaat Litauen bekleiden soll.
Nach heftigem Streit segneten Vertreter der zuständigen
Parlamentsausschüsse die Pläne am späten Mittwochabend in Brüssel a
b.
Insgesamt werden 26 EU-Kommissarinnen und -Kommissare unter der
Leitung von der Leyens tätig sein, aus jedem Mitgliedstaat einer oder
eine. Die Brüsseler Behörde schlägt als einzige EU-Institution
Gesetze für die Staatengemeinschaft vor und überwacht die Einhaltung
des europäischen Rechts.
In den vergangenen Wochen waren die Kommissionskandidaten von den
zuständigen Ausschüssen des Europaparlaments angehört worden.
Widerstand gab es vor allem bei den Befragungen der designierten
Vizepräsidentinnen und -präsidenten. Am nun gefundenen Kompromiss war
neben Konservativen und Sozialdemokraten auch die liberale
Renew-Fraktion beteiligt.
Protest gegen rechten Italiener und Orban-Getreuen
Für besonderes Aufsehen sorgte die Nominierung des Italieners
Raffaele Fitto, der künftig unter anderem für Reformen zuständig sein
soll - also auch für den Europäischen Sozialfonds und einen
Fördertopf für regionale Entwicklung. Zwar gilt der Rechtsausleger
vielen in Brüssel als politisch gemäßigt und proeuropäisch. Die
Sozialdemokraten im Parlament wehrten sich aber heftig dagegen, dass
ein rechter Politiker aus der Regierung von Italiens
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine herausgehobene Position wie
die des Vizepräsidenten bekommt.
Im Gegenzug blockierte das Mitte-Rechts-Bündnis EVP, dem auch CDU und
CSU angehören, zunächst die Berufung der Sozialistin Teresa Ribera.
Konservative und rechte Abgeordnete werfen der derzeitigen spanischen
Umweltministerin Versagen bei den schweren Überschwemmungen in der
Region Valencia vor. Durch den Deal der großen Fraktionen kann Ribera
nun als Kommissions-Vize das Portfolio für Wettbewerbspolitik und
grünen Wandel übernehmen.
Umstritten war auch der Ungar Oliver Varhelyi, der wegen seiner
Loyalität gegenüber dem autoritär regierenden ungarischen
Ministerpräsidenten Orban in der Kritik steht. Die großen Fraktionen
einigten sich letztlich darauf, Teile seines Portfolios Gesundheit
und Tierschutz anderen Kommissaren zu übertragen - nach
dpa-Informationen etwa jene zur sexuellen Diskriminierung und
Selbstbestimmung. Kritiker werfen Orban vor, die Rechte von Frauen
und sexuellen Minderheiten in Ungarn beschnitten und unter anderem
das Abtreibungsrecht verschärft zu haben.
Schlüsselrollen für Politiker aus Baltenstaaten
Besonderes Augenmerk dürfte künftig auch auf dem Österreicher Markus
Brunner liegen, der als Kommissar für Migration die umstrittene
Asylreform umsetzen soll. Litauens Ex-Ministerpräsident Andrius
Kubilius wiederum wird sich als erster Chef des Verteidigungsressorts
eines Schlüsselthemas annehmen: Von der Leyen will in ihrer zweiten
Amtszeit die Verteidigungs- und Rüstungspolitik auf EU-Ebene stärken,
Investitionen in Rüstungsprojekte erleichtern und Europa militärisch
unabhängiger machen - insbesondere vor dem Hintergrund des
Wiedereinzugs Donald Trumps ins Weiße Haus.
Kubilius wird voraussichtlich eng mit der Estin Kaja Kallas
zusammenarbeiten. Sie soll EU-Außenbeauftragte werden und als
Chefdiplomatin der Staatengemeinschaft für die Außenpolitik in Zeiten
von Kriegen zwischen Russland und der Ukraine sowie in Nahost
zuständig sein.
Wie sich die EU bei möglichen Handelskonflikten mit den USA oder
China verhält, dürfte auch vom künftigen Kommissar Maros Sefcovic
abhängen: Das Portfolio des Slowaken umfasst auch «wirtschaftliche
Sicherheit» und die Zollpolitik. Weiter eine große Rolle spielen
dürfte ferner der polnische Haushaltskommissar Piotr Serafin, da in
den kommenden zwei Jahren mutmaßlich harte Verhandlungen über das
mehrjährige Budget der EU stattfinden. Und mit Dan Jørgensen bekommt
die Kommission erstmals einen Kommissar für Wohnen.
Wie es jetzt weitergeht
In den nächsten Tagen muss der Kompromiss noch formell abgesegnet
werden. Voraussichtlich am Mittwoch stimmen die Abgeordneten im
Plenum in Straßburg über das ganze Personalpaket ab. Da mit einer
Zustimmung gerechnet wird, sollte die neue EU-Kommission ihre Arbeit
zum 1. Dezember antreten können.