Gerichtsprozess bringt Le Pens Rechtsnationale in Bredouille Von Michael Evers, dpa
27.11.2024 16:25
Frankreichs Rechtsnationale Le Pen macht sich Hoffnung auf einen Sieg
bei der Präsidentschaftswahl 2027. Ein Gerichtsprozess aber könnte
sie ausbremsen. Nun droht sie mit dem Sturz der Regierung.
Paris (dpa) - Die Rechtsnationalen in Frankreich um Marine Le Pen
sind seit langem auf dem Vormarsch und im Parlament inzwischen so
stark vertreten wie noch nie. Ein Gerichtsprozess aber, der in Paris
auf die Zielgerade geht, könnte die Ambitionen der rechten Partei
gehörig ausbremsen. Le Pen muss sich wegen möglicher
Scheinbeschäftigung von Assistenten im EU-Parlament verantworten. Für
einen Schuldspruch und einen jahrelangen Gang durch die Instanzen ist
das Rassemblement National zwar gerüstet, die Strafforderung der
Anklage aber beinhaltet einen Fallstrick.
Strafforderung kann Le Pen ausbremsen - «politische Todesstrafe»
Neben fünf Jahren Haft, teils auf Bewährung sowie einer Geldbuße von
300.000 Euro forderte die Staatsanwaltschaft nämlich zugleich einen
fünfjährigen Verlust des passiven Wahlrechts für die 56-Jährige. Le
Pen könnte bei einer solchen Strafe zeitweise nicht mehr in
öffentliche Ämter gewählt werden - und insbesondere für eine erneut
e
Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2027 könnte es für sie
schwarz aussehen. Denn die Anklage verlangte, die Strafe vorläufig
anzuwenden - also bereits nach dem Urteilsspruch und nicht erst nach
einem möglicherweise langjährigen Lauf durch die gerichtlichen
Instanzen.
Die der rechten Partei von Kritikern unterstellte Strategie, den
Rechtsstreit möglichst in die Länge zu ziehen und dabei die Gerichts-
und Wahlkalender gut aufeinander abzustimmen, würde in diesem Fall
nicht aufgehen. Le Pen warf der Anklagebehörde nach dem Plädoyer
prompt vor, «die Franzosen ihrer Möglichkeit zu berauben, für wen sie
wollen zu stimmen». Das geforderte Strafmaß sei extrem übertrieben.
Außerdem unterstellte sie der Justiz, politisch zu agieren, als sie
sagte, die Staatsanwaltschaft verlange «die politische Todesstrafe
mit vorläufiger Vollstreckung gegen mich».
Verteidiger beklagt Versuch der «politischen Eliminierung»
Am letzten Verhandlungstag plädierte der Verteidiger von Marine Le
Pen, Rodolphe Bosselut, dem es darum geht, einen Freispruch für die
Führungsfigur der rechten Partei zu erwirken. Die Anklage versuche,
die «politische Eliminierung» von Le Pen zu erreichen, sagte der
Verteidiger in seinem mehrstündigen Plädoyer. Die dem Rassemblement
National vorgeworfene Praxis, was den Einsatz der parlamentarischen
Assistenten auch für Parteizwecke angeht, sei lange Zeit auch bei
anderen Parteien im EU-Parlament üblich gewesen. «Sechs Jahre
Ermittlungen, was sind die Beweise? Keine», meinte der Anwalt.
Le Pen normalisierte klar rechtsextreme Partei
Auch wenn der Urteilsspruch erst im kommenden Frühjahr erwartet wird,
und nicht am letzten Verhandlungstag am Mittwoch, ist bei Le Pen
bereits ein Strategiewechsel erkennbar. Seit der Übernahme der
Parteileitung von ihrem Vater und Mitgründer Jean-Marie Le Pen hatte
Marine Le Pen sich um ein gemäßigtes Auftreten der zuvor klar
rechtsextremistischen Partei bemüht, und die einstige Splittergruppe
zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft gemacht, die inzwischen
auch für breite Gruppen der Bevölkerung wählbar erscheint.
Und in der Pariser Nationalversammlung, wo das Rassemblement National
(früher Front National) die inzwischen stärkste Oppositionsfraktion
stellt, hatten Le Pen und die rechten Abgeordneten sich um ein
gemäßigtes Auftreten und den Eindruck von Verantwortungsbewusstsein
für die großen Probleme des Landes bemüht.
Misstrauensvotum als Druckmittel auf Justiz
Nun aber droht Le Pen, die zuvor eher Kooperation signalisiert hatte,
dem neuen Premier Michel Barnier im Zuge schwieriger
Haushaltsberatungen mit einem Misstrauensvotum. Dieses könnte noch in
diesem Jahr zum Sturz der Regierung führen, vorausgesetzt, das linke
und rechte Lager ziehen an einem Strang. Le Pen erweckt damit den
Eindruck, auf die aus ihrer Sicht politisch gelenkte Justiz Druck
machen zu wollen, um ein Urteil in ihrem Sinne zu erwirken.
Hinter Le Pens Kursschwenk und dem Drohen mit einem Misstrauensvotum
steckt letztendlich auch das Bestreben, Macron zum Sturz zu bringen,
gegen den Le Pen bei den beiden vergangenen Präsidentschaftswahlen
als Herausforderin in der Endrunde unterlag. Nun wittert Le Pen - wie
übrigens auch der altlinke Poltergeist Jean-Luc Mélenchon - die
Chance, aus vorgezogenen Präsidentschaftswahlen als Sieger
hervorzugehen. Staatschef Macron zumindest kann nach zwei Amtszeiten
nicht mehr kandidieren.