EU-Parlament gibt grünes Licht für von der Leyens Kommission Von Regina Wank und Ansgar Haase, dpa
27.11.2024 15:06
Die neue EU-Kommission kann mit der Arbeit anfangen. Leicht dürfte es
für Ursula von der Leyens umstrittenes Team nicht werden. Das zeigt
auch das Abstimmungsergebnis.
Straßburg (dpa) - Knapp sechs Monate nach der Europawahl kann die
neue EU-Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen die
Arbeit aufnehmen. Das Europäische Parlament votierte mit 370 von 688
abgegebenen Stimmen in Straßburg für das Team, das neben der
Deutschen aus 10 Frauen und 16 Männern besteht. 282 Abgeordnete
stimmten dagegen, 36 enthielten sich. Damit holte von der Leyens
Kommission zwar deutlich mehr Stimmen als nötig, allerdings war das
Ergebnis schlechter als bei allen anderen Kommissionen in den
vergangenen knapp 30 Jahren.
Dies war unter anderem dem Rechtsruck im Parlament seit der
vergangenen Wahl geschuldet. Die extreme Rechte etwa votierte
geschlossen gegen von der Leyens Kommission.
Außerdem hatte von der Leyen Teile des Parlaments mit der Nominierung
bestimmter Kommissare verprellt, sodass am Ende nur die liberale
Fraktion im Parlament geschlossen für sie stimmte. Auch innerhalb des
Mitte-Rechts-Bündnisses EVP, zu dem von der Leyens CDU gehört,
votierten einige Abgeordnete gegen das Kommissionsteam. Die deutsche
SPD zum Beispiel enthielt sich der Abstimmung größtenteils, auch
einige Grüne wählten die Kommission nicht. Sie begründeten das damit,
dass von der Leyen den rechten Italiener Raffaele Fitto zu einem der
Vizepräsidenten ernannt hatte.
Gleichwohl kann die Kommission nun wie geplant im Dezember starten.
Für die künftige EU-Politik war dieser Schritt entscheidend: Als
einzige Institution der Europäischen Union kann die Kommission
Gesetze für die Staatengemeinschaft vorschlagen. Außerdem überwacht
sie die Einhaltung des EU-Rechts.
Wettbewerb, Autos, Start-ups: Neue Themen für neue Kommission
War bei von der Leyens erstem Amtsantritt 2019 die Klimakrise eines
der treibenden Themen, rücken nun andere Probleme in den Fokus. Als
eine ihrer Prioritäten für die nächsten fünf Jahre nannte von der
Leyen den Kampf um das Überleben der Autoindustrie in Europa. Dazu
soll es zunächst unter ihrer Leitung einen strategischen Dialog
geben. «Die europäische Automobilindustrie ist ein Stolz Europas.
Millionen von Arbeitsplätzen hängen von ihr ab.» Gemeinsam müsse ma
n
sicherstellen, dass die Zukunft des Autos weiterhin in Europa
gestaltet werde.
Dies dürfte besonders relevant sein für den schwelenden
Handelskonflikt mit China, den der neue Handelskommissar Maros
Sefcovic lösen muss: Die EU wirft Peking Wettbewerbsverzerrung durch
Subventionen vor und beschloss im vergangenen Monat Extrazölle auf
chinesische E-Autos. China prüft derzeit Gegenmaßnahmen, von denen
auch deutsche Autobauer betroffen sein könnten. Ein weiteres
Riesenthema könnten neue US-Zölle werden, die der designierte
Präsident Donald Trump einführen will.
Zudem kündigte von der Leyen eine Strategie für mehr
Wettbewerbsfähigkeit an. «Ein Start-up aus Kalifornien kann
expandieren und in den gesamten Vereinigten Staaten Kapital
aufnehmen. Aber ein Start-up in Europa muss mit 27 verschiedenen
nationalen Hürden umgehen», kritisierte von der Leyen. Es müsse
einfacher gemacht werden, in Europa zu wachsen. Dazu sollen auch
weitere Initiativen für niedrigere Energiepreise dienen.
Erstmals Verteidigungskommissar
Ein Zeichen für ihre veränderten Schwerpunkte setzte von der Leyen
bereits vor der Abstimmung mit der Schaffung des neuen Postens des
Verteidigungskommissars. Litauens Ex-Ministerpräsident Andrius
Kubilius soll künftig dafür sorgen, dass Europa militärisch
unabhängiger wird und leichter in europäische Rüstungsprojekte
investiert werden kann.
Von der Leyen warb angesichts des russischen Angriffskriegs auf die
Ukraine um höhere Verteidigungsausgaben der EU-Staaten. «Russland
gibt bis zu neun Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die
Verteidigung aus. Europa gibt im Durchschnitt 1,9 Prozent aus. Da
stimmt etwas nicht in dieser Gleichung», sagte die CDU-Politikerin.
Dass die Unterstützung der kriegsgebeutelten Ukraine nicht nachlässt,
liegt nun auch in den Händen von Kaja Kallas. Die Estin wird neue
Chefdiplomatin der Europäischen Union.
Von der Leyens Nominierungen sorgten für großen Streit
Die Abstimmung erfolgte knapp sechs Monate nach der Europawahl, bei
der von der Leyens Mitte-Rechts-Bündnis EVP die meisten Stimmen
bekam. Sie wurde daraufhin im Juli für ihre zweite Amtszeit als
EU-Kommissionspräsidentin bestätigt und hatte ihr Wunschteam im
September vorgestellt.
Für besonderes Aufsehen sorgte die Nominierung des Italieners Fitto,
der künftig unter anderem für Reformen und den Fördertopf für
regionale Entwicklung zuständig sein soll. Zwar gilt der
Rechtspolitiker vielen in Brüssel als politisch gemäßigt und
proeuropäisch. Die Sozialdemokraten im Parlament wehrten sich aber
heftig dagegen, dass ein rechter Politiker aus der Regierung von
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine herausgehobene
Position wie die des Vizepräsidenten bekommt.
Im Gegenzug blockierte die EVP, dem auch CDU und CSU angehören,
zunächst die Berufung der Sozialistin Teresa Ribera als Kommissarin
für Wettbewerbspolitik und grünen Wandel. Konservative und rechte
Abgeordnete werfen der bisherigen spanischen Umweltministerin
Versagen bei den schweren Überschwemmungen in der Region Valencia
vor. Umstritten war auch der Ungar Oliver Varhelyi, der wegen seiner
Loyalität gegenüber dem autoritär regierenden ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orban in der Kritik stand. Letztlich
einigten sich die großen Fraktionen im Parlament nach langen
Verhandlungen jedoch, sodass Fitto, Ribera und Varhelyi nun ihr Amt
antreten können.
Politiker der extremen Rechten votierten gegen die Kommission von
Ursula von der Leyen. Die deutsche AfD-Abgeordnete und
parlamentarische Geschäftsführerin der ESN-Fraktion, Christine
Anderson, etwa beschimpfte das Team ohne Angabe konkreter Gründe als
«reinste Trümmertruppe».
Der österreichische FPÖ-Politiker Harald Vilimsky warf ihr -
ebenfalls ohne konkrete Belege - vor, für Massenmigration,
Freiheitsentzug, Kriegstreiberei und Deindustrialisierung zu stehen.
Zudem kritisierte er die Größe der Kommission als aufgeblasen. «Sie
hätten Geld sparen können, Sie hätten deregulieren können, Sie hä
tten
Ihre Kommissare mit irgendwelchen Orchideenreferaten hier weglassen
können und dieses Geld für europäische Bürger verwenden können»
,
sagte er in Richtung von Ursula von der Leyen.