EZB zwischen Konjunktursorgen und hartnäckiger Inflation Von Jörn Bender und Alexander Sturm, dpa
12.12.2024 14:49
Die Wirtschaft schwächelt, die Inflation hat wieder angezogen. Für
die Währungshüter der Europäischen Zentralbank eine schwierige
Gemengelage. Der weitere Zinskurs gilt dennoch als ausgemacht.
Frankfurt/Main (dpa) - Die Europäische Zentralbank (EZB) kommt ihrem
Ziel stabiler Preise näher und lockert ihre Geldpolitik weiter. Die
jüngsten Daten zeigen zwar, wie hartnäckig die Inflation ist. Doch
die Notenbank senkt zum vierten Mal in diesem Jahr die Leitzinsen.
Sie ist optimistisch, dass sich die Inflation nachhaltig um ihr Ziel
von zwei Prozent in der Eurozone einpendelt. Was folgt daraus für
Sparer und Hausbauer?
Was waren die jüngsten Schritte der EZB?
Im Juni leitete die EZB die Zinswende ein: Nach knapp neun Monaten
auf Rekordhoch senkte sie angesichts einer abflauenden Inflation den
richtungsweisenden Einlagenzins, den Banken für geparkte Gelder
erhalten, um 0,25 Prozentpunkte auf 3,75 Prozent. Dieser Zins ist für
Sparer relevant, denn Banken orientieren sich daran - und geben
sinkende Einlagenzinsen in Form niedrigerer Tages- und Festgeldzinsen
an Kunden weiter.
Der Zins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB
besorgen können («Hauptrefinanzierungssatz»), sank ebenfalls. Nach
Zinssenkungen im September, Oktober und dem jüngsten Schritt beträgt
der Einlagenzins 3,0 Prozent und der Hauptrefinanzierungssatz 3,15
Prozent.
Was will die EZB erreichen?
Ihr Hauptziel sind stabile Preise und somit eine stabile Währung im
Euroraum. Das sieht die EZB erreicht, wenn die Inflation
mittelfristig bei 2,0 Prozent liegt - weit genug weg von der
Nullmarke. Dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die
Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten Investitionen
aufschieben in der Erwartung, dass es bald noch billiger wird. Doch
auch wenn Preise zu stark steigen, ist das Gift für die Wirtschaft:
Dann verlieren Verbraucherinnen und Verbraucher Kaufkraft.
Angesichts einer Inflationsrate im Euroraum, die bis auf 1,7 Prozent
im September sank, gab es schon warnende Stimmen, die EZB könne ihr
Inflationsziel unterschreiten. Zugleich nahmen Sorgen um die
schwächelnde Konjunktur im Währungsraum zu.
Wer profitiert von den wieder niedrigeren Zinsen?
Kredite werden erschwinglicher, das heißt: Firmen können leichter
investieren und Privatleute bekommen Geld von der Bank günstiger. Für
eine Baufinanzierung mit zehnjähriger Laufzeit beispielsweise waren
der FMH-Finanzberatung zufolge zuletzt 3,18 Prozent pro Jahr fällig
(Stand 12.12.2024), ein Jahr zuvor lagen die Bauzinsen noch fast bei
vier Prozent. Weitere Zinssenkungen der EZB 2025 würden am Markt
erwartet, sagte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Das
Abwärtspotenzial bei den Konditionen für Immobilien- oder
Konsumkredite sei nicht mehr hoch.
Was bedeuten Zinssenkungen für Sparer?
Umgekehrt müssen sich Sparer auf fallende Zinsen bei ihrer Bank und
geringere Renditen etwa bei Lebensversicherungen einstellen. Mit
durchschnittlich 1,62 Prozent haben die Zinsen bundesweit verfügbarer
Tagesgeldangebote dem Vergleichsportal Verivox zufolge den tiefsten
Stand seit mehr als einem Jahr erreicht (Stichtag: 6.12.). Bei einem
Viertel der etwa 800 analysierten Banken und Sparkassen gibt es
demnach für Tagesgeld 0,25 Prozent oder weniger.
Auch beim Festgeld habe sich der Abwärtstrend fortgesetzt. Bundesweit
verfügbare Angebote mit zwei Jahren Laufzeit bringen aktuell im
Schnitt 2,34 Prozent. Niedriger standen die Festgeldzinsen zuletzt im
Februar 2023. Verivox hat Konditionen für eine Anlagesumme von 10.000
Euro ausgewertet.
Wie hat sich die Inflation zuletzt entwickelt?
Sowohl in Deutschland als auch im Euroraum insgesamt hat die
Teuerungsrate wieder zugelegt. Im November lag die Inflationsrate im
Euroraum vorläufigen Zahlen zufolge bei 2,3 Prozent. Ohne die
schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel waren es
2,7 Prozent. Diese Kerninflation stellt den Inflationstrend nach
Ansicht vieler Ökonomen besser dar als die Gesamtrate.
Warum hat die EZB die Zinsen zuvor so stark erhöht?
Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 ließ die
Energiepreise rasant steigen, auch Lebensmittel wurden deutlich
teurer. Die Folge: Die Inflation schnellte nach oben, im Euroraum bis
auf mehr als zehn Prozent. Im Juli 2022 reagierte die EZB und
beendete ihre jahrelange Politik der Null- und Negativzinsen, um die
Teuerungswelle zu brechen. Zehnmal in Folge erhöhte die Notenbank die
Zinsen, ehe sie eine Pause einlegte.
Höhere Zinsen sorgen dafür, dass Kredite mehr kosten, was die
Nachfrage bremsen und hohen Inflationsraten entgegenwirken kann. Den
Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der EZB besorgen können,
erhöhte die Notenbank mit 4,5 Prozent zwischenzeitlich auf den
höchsten Stand seit August 2001. Der Einlagenzins erreichte mit 4,0
Prozent das höchste Niveau seit Bestehen der Währungsunion 1999.
Was bedeutet die Wahl von Donald Trump?
Volkswirte sind in Sorge, dass der designierte US-Präsident Donald
Trump Handelskonflikte mit der Europäischen Union und China
heraufbeschwören wird. Trump hat hohe Zölle auf Importe aus Europa
und China angekündigt und zuletzt schon Mexiko und Kanada ins Visier
genommen.
Die Wirtschaftsprognosen mancher Ökonomen für 2025 für Deutschland
und andere europäische Länder fallen daher pessimistischer aus.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer warnt: «Eine Zollspirale wäre
ein Risiko für die gesamte Weltkonjunktur.»
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel äußerte sich ebenfalls besorgt:
Sollte Trump seine Zollpläne wahr machen, könnte das Deutschland ein
Prozent der Wirtschaftsleistung kosten. Auch könnten Strafzölle die
Teuerung anheizen. Nagel warnt: «Mit Zollerhöhungen machen wir Konsum
teurer und fachen die Inflation an.»