Schwächelnde Konjunktur: EZB senkt Zinsen erneut

12.12.2024 14:33

Die Sorgen um die Wirtschaft im Euroraum haben zugenommen. Niedrigere
Zinsen könnten die Konjunktur ankurbeln. Volkswirte gehen davon aus,
dass die unterste Schwelle noch nicht erreicht ist.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Europäische Zentralbank (EZB) reagiert mit
der vierten Zinssenkung in diesem Jahr auf wachsende Sorgen um die
Konjunktur im Euroraum. Volkswirte rechnen damit, dass die Notenbank
die Leitzinsen im nächsten Jahr noch weiter herabsetzen wird. Denn
Handelskonflikte etwa mit den USA und ihrem wiedergewählten
Präsidenten Donald Trump könnten die schwächelnde Konjunktur in
Europa zusätzlich unter Druck setzen.

Vorerst verringert der EZB-Rat den am Finanzmarkt richtungsweisenden
Einlagenzins um 0,25 Prozentpunkte auf 3,0 Prozent. Diesen Zins
erhalten Geschäftsbanken auf Gelder, die sie bei der Notenbank
parken. Sparerinnen und Sparer dürften die erneute Senkung zu spüren
bekommen: Sinkende Einlagenzinsen geben viele Institute in Form
niedrigerer Tages- und Festgeldzinsen an ihre Kundschaft weiter.

Der Zins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB
besorgen können, wird ebenfalls erneut gesenkt: von 3,4 Prozent auf
3,15 Prozent. Tendenziell sind niedrigere Leitzinsen gut für die
Konjunktur: Kredite werden erschwinglicher, Firmen und Privatleute -
etwa Hausbauer - kommen günstiger an Finanzierungen für Investitionen
und können so für Wirtschaftswachstum sorgen.

Experten halten Inflationswelle für beendet

Ökonomen hatten mit der erneuten Zinssenkung gerechnet, teilweise
hatte es Spekulationen über einen noch größeren Schritt von 0,5
Prozentpunkten nach unten gegeben. Dass die große Teuerungswelle in
der Eurozone vorbei ist, eröffnet Spielräume für die Währungshüte
r.

Sorge macht der EZB zudem die schwache Konjunktur im Euroraum. Erst
kürzlich warnte Präsidentin Christine Lagarde vor einer anhaltenden
Wirtschaftsschwäche. Mit Frankreich und Deutschland stecken zudem
Europas Schwergewichte in der Regierungskrise und fallen als Motor
für Reformen in schwierigen globalen Zeiten aus.

Die EZB hat ihre Erwartungen an das Wirtschaftswachstum im Euroraum
weiter nach unten geschraubt. Für das Gesamtjahr 2024 erwartet die
Notenbank nur noch ein Plus von 0,7 Prozent. Auch die Prognosen für
2025 (1,1 Prozent) und 2026 (1,4 Prozent) fallen pessimistischer aus
als noch im September.

EZB optimistisch für Inflationsziel

Die Teuerung im Euroraum wird nach Einschätzung der Notenbank dagegen
etwas schneller zurückgehen als zuletzt erwartet. Für das laufende
Jahr rechnet die EZB mit einer Inflationsrate von 2,4 Prozent, im
September hatte die EZB noch 2,5 Prozent vorhergesagt. 2025 wird eine
Rate von 2,1 Prozent erwartet. Für 2026 rechnet die EZB unverändert
mit einem durchschnittlichen Anstieg der Verbraucherpreise im
Euroraum von 1,9 Prozent. 

Die Notenbank zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Inflation
«nachhaltig im Bereich des mittelfristigen Zielwerts des EZB-Rats von
zwei Prozent einpendeln wird». Die EZB strebt für den Euroraum
mittelfristig eine jährliche Inflationsrate von 2,0 Prozent an - weit
genug entfernt von der Nullmarke. 

Dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur:
Unternehmen und Verbraucher könnten Investitionen aufschieben in der
Erwartung, dass es bald noch billiger wird. Auch wenn Preise zu stark
steigen, ist das Gift für die Wirtschaft: Dann verlieren
Verbraucherinnen und Verbraucher Kaufkraft. Das schmälert den Konsum
als wichtige Stütze der Konjunktur.

Teuerung weit entfernt von Rekordhoch

Zwar hat die jährliche Inflationsrate sowohl in Europas größter
Volkswirtschaft Deutschland als auch im Euroraum insgesamt zuletzt
wieder zugelegt. Doch trotz eines Anstiegs auf 2,3 Prozent im
Euroraum im November erwarten Experten derzeit keine Teuerungswelle
wie nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im
Februar 2022, als sich Energie und Lebensmittel rasant verteuerten.

Vom Rekordhoch bei 10,7 Prozent im Herbst 2022 ist die Inflation im
Währungsraum inzwischen weit entfernt - auch, weil sich die EZB mit
dem kräftigsten Zinsanstieg seit 25 Jahren dagegenstemmte. Im Juli
2022 fand die jahrelange Null- und Negativzinspolitik ein Ende,
zehnmal schraubte die EZB in der Folge die Zinsen nach oben. Höhere
Zinsen verteuern Kredite, was die Nachfrage bremsen und hohen
Inflationsraten entgegenwirken kann. Im Juni 2024 senkte die EZB die
Leitzinsen erstmals wieder.

Sorgen um die Wirtschaft und Trumps Zollpläne

Drohende Handelskonflikte sind nach Einschätzung führender
Notenbanker ein zusätzliches Risiko für die ohnehin schwächelnde
Konjunktur im Euroraum. Der designierte US-Präsident Trump hat hohe
Zölle auf Einfuhren aus Europa angekündigt. Die Europäische Union
könnte mit Gegenmaßnahmen reagieren. Besonders betroffen von einem
solchen Handelskonflikt wäre voraussichtlich die Exportnation
Deutschland.